Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 18.07.2009

„Scheibchenweise neue Geschichten“

Wirtschaftsminister Jurk zu Tillich-Vergangenheit, SPD-Wahlchancen und Quelle-Rettung
 
Leipzig. Keinen weiteren Kredit kann das angeschlagene Versandhaus Quelle vom Freistaat erwarten, erklärt Sachsens Wirtschaftsminister. Trotz schlechter Umfragewerte wünscht sich Thomas Jurk bei der Landtagswahl für seine SPD 15 bis 20 Prozent.

Frage: Laut neuester Umfragen sieht es so aus, dass nach der Wahl die SPD nicht mehr an der Regierung beteiligt ist. Was ist schief gelaufen?

Thomas Jurk: Umfragen sind das Eine, Wahlergebnisse sind das andere. Natürlich sind Umfragen als Standortbestimmung wichtig. Vergleicht man die heutigen Zahlen mit dem Wahlergebnis von 2004, sieht es momentan für uns positiver aus.
Die SPD könnte gewinnen und müsste trotzdem die Regierung verlassen...
Das entscheidet der Wähler. Ich kämpfe für meine Partei, damit sie mehr Zuspruch erfährt und wir mehr Möglichkeiten haben.

Was ist Ihr Wahlziel?

Wir wollen 15 bis 20 Prozent.

Haben sich einige in der SPD verkalkuliert mit ihren Attacken auf die Vergangenheit des Ministerpräsidenten?

Ganz ehrlich: Mich interessiert derzeit die Situation am Arbeitsmarkt viel mehr. Zu Tillich habe ich erklärt, dass ich erwarte, dass jeder souverän mit seiner eigenen Biografie umgeht. Das heißt, man steht dazu und sagt alles. Vieles ist für mich akzeptabel, es gibt nur eine klare Grenze zu den Stasi-Schnüfflern, die anderen geschadet haben.

Man hat das Gefühl, die SPD ist nicht nur bei diesem Thema zerstritten, wenn nicht gespalten. Viele wollen eine deutliche Abgrenzung zur CDU.
Die SPD ist eine pluralistische Partei, Grenzen werden aus meiner Sicht überschritten, wenn das Leben von Familienmitgliedern in die politische Auseinandersetzung hineingezogen wird.

Steht Tillich zu seiner Biografie?

Ich will mir dazu kein Urteil erlauben. Ich erwarte, dass man bei denjenigen Experten Rat einholt, die sich in vielen vergleichbaren Fällen mit den Fragebögen beschäftigt haben. Was ich von Tillich erwarte, ist, dass nicht scheibchenweise immer wieder neue Geschichten kommen.

Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass Akten zu Tillichs Vergangenheit nicht aufzufinden sind?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in sächsischen Behörden zugeht wie bei Hempels unterm Sofa. Es kann nicht sein, dass solche brisanten Akten aus dem Archiv des Landkreises Kamenz nicht vorgelegt werden. Irgendwo müssen die sein.

Hält die Staatskanzlei Dokumente zurück?

Das weiß ich nicht. Ich wundere mich nur, dass man sich zuerst gerichtlich gegen die Veröffentlichung des Fragebogens wehrt, um ihn dann überraschend in einer Zeitung abdrucken zu lassen.

Hat in der SPD nach Ihrer öffentlichen Unterstützung für Tillich die Hütte gebrannt?

Nein. Ich habe die bisherige Koalitionsarbeit eingeschätzt und habe auch die Leistung des Koalitionspartners anerkannt. Die Arbeit war zugegebenermaßen nicht immer einfach. Die CDU hat uns das kostenlose Vorschuljahr nicht geschenkt. Das mussten wir uns erkämpfen. Die CDU wollte Studiengebühren und keinen Kommunal-Kombi. Die SPD hat sich durchgesetzt. Darüber werden wir im Wahlkampf reden.

Was wollen Sie noch erreichen, was bisher an der CDU scheiterte?

Wir sorgen dafür, dass die Gemeinschaftsschule zur Regelschule wird. Längeres gemeinsames Lernen bringt bessere Bildungserfolge. Das kennen viele aus ihrer DDR-Biografie. Man kann sich über die Pisa-Ergebnisse freuen, bei denen Sachsen in Deutschland vorne liegt. Wenn Deutschland in Europa nur Mittelmaß verkörpert, nutzt uns das aber wenig.

Wie geht es bei Quelle weiter, nachdem Sanierungsexperte Piepenburg bei Arcandor hingeschmissen hat? Sind die Standorte Leipzig und Dresden gefährdet?

Wenn Piepenburg aufgibt, klingt das nicht gut. Ich bin besorgt um die Arbeitsplätze. Doch Quelle und Arcandor muss man jetzt auseinander halten. Sachsen hat mit Bayern und der Bundesregierung der Arcandor-Tochter Quelle mit dem Massedarlehen eine Chance geben.

Ist der Massekredit gefährdet?

Nein, er ist auf Quelle begrenzt. Das Unternehmen muss die begrenzte halbjährige Laufzeit des Kredites nutzen, um sich neu aufzustellen, damit es im schwierigen Versandhandelsgeschäft seine Kunden behält und über neue Geschäftsfelder wie das Internet neue Kunden gewinnt. Um es klar zu sagen: Wir wollen das Geld der Steuerzahler zurück haben. Mit einem weiteren Kredit können wir aber allein wegen der EU-Vorschriften nicht helfen.

Warum geben die Banken derzeit so zögerlich Kredite?

Über die Banken hat der Bund einen Schutzschirm gespannt. Deshalb erwarte ich, dass die Banken die Kredite an die Unternehmen ausreichen und die Wirtschaft ankurbeln. Künstlich die Hürden zu erhöhen, darf nicht sein. Die Banken können mit Mittelständlern gute Geschäfte machen, sie müssen aber auch bereit sein, Risiko mitzutragen.

Wie hilft die Landesregierung?

Wir geben Bürgschaften, inzwischen bis zu 90 Prozent. Wenn die Banken mit zehn Prozent nicht ins Risiko gehen wollen, dann fehlen mir einfach die Worte.

Interview: Bernd Hilder,
Anita Kecke, Andreas Friedrich
@Das komplette Interview unter www.lvz-online.de/download

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