Karl Nolle, MdL

HAZ Hannoversche Allgemeine Zeitung, 05.08.2009

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat nur einen ernsthaften Gegner im Wahlkampf: seine Vergangenheit

Dunkle Flecken auf einer ostdeutschen Biographie
 
Dresden/Leipzig. Die Ausstellung in Leipzigs „Panometer“ zeigt ein Baumhaus im Dschungel, ein hölzernes Gebäude, das nach und nach vom Grün des Urwalds überwuchert wird. „Das hat Symbolkraft“, sagt der Künstler Yadegar Asisi zu seinem prominenten Gast, dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich: „Was wir Menschen geschaffen haben, ist nie von Dauer, es wird mit der Zeit automatisch wieder verschwinden.“ Der CDU-Politiker lächelt, die Botschaft gefällt ihm offensichtlich.

Manchmal wird sich Tillich in diesen Wochen vor der Landtagswahl wohl wünschen, auch seine eigene Vergangenheit wäre so vergänglich wie das von Asisi geschaffene Baumhaus, das die Natur bald unkenntlich machen wird. Sachsens Ministerpräsident hat vor der Wahl am 30. August nämlich nur einen einzigen ernsthaften Gegner: seine eigene Biografie. Es ist nicht so, dass der 50-Jährige einst in der SED oder in führender Funktion für die Diktatur tätig gewesen wäre. Aber Tillich war zur Zeit der friedlichen Revolution immerhin Mitglied der Blockpartei CDU und als Vertreter der sorbischen Minderheit in einer wichtigen Staatsfunktion im Osten Sachsens. Er wirkte als „Ratsmitglied für Handel und Versorgung“ im Rat des Kreises Kamenz – also als das, was man heute Dezernent in der Kreisverwaltung nennen würde. Dabei legt doch Tillichs Partei, die CDU, gerade in Wahlkampfzeiten wie diesen großen Wert auf ihre Distanz zum DDR-Sozialismus und zur Nachfolgerin der SED, der heutigen Linkspartei. Und das passt alles nicht so recht zusammen.

Zwar hat Tillich nach 1990 seine eigene Mitwirkung im DDR-Staatsapparat nie verheimlicht, aber seine Kritiker behaupten, er habe sie verniedlicht. Und es ist – nicht zum ersten Mal – der aus Hannover stammende SPD-Politiker Karl Nolle, der dem sächsischen Ministerpräsidenten zusetzt. Nolle ist Landtagsabgeordneter und Druckereibesitzer und hat Tillich seit dessen Amtsantritt im Mai 2008 auf dem Kieker. Er stellte im Parlament Fragen zur Biografie des Regierungschefs, erhielt ausweichende Antworten und fand in Tillichs offiziellem Lebenslauf den Hinweis, er sei „Mitarbeiter der Kreisverwaltung“ gewesen – eine Untertreibung, wie Nolle zu Recht anmerkte. „Bei seinem Vorleben wäre der heutige Ministerpräsident Anfang der neunziger Jahre wohl kaum in den öffentlichen Dienst etwa in der Stadt Dresden übernommen worden“, folgerte der Sozialdemokrat.

Als die Debatte im Herbst 2008 heftiger wurde, beging Tillich einen entscheidenden Fehler: Anstatt in die Offensive zu gehen, seine Rolle im SED-Staat offen einzugestehen und Zusammenhänge zu erläutern, ließ er sich auf einen monatelangen Kleinkrieg mit einzelnen Medien ein – etwa um die Frage, ob der Fragebogen, den er seinerzeit für die Personalakte ausfüllen musste, veröffentlicht werden darf oder nicht. Das gab Nolle den Anlass, über Tillichs Salamitaktik zu klagen: „Der gibt nur zu, was ihm vorher schon nachgewiesen worden ist.“

Trotzdem bleibt es fraglich, ob der unter Druck geratene sächsische Ministerpräsident nicht doch klug taktiert. Tillich selbst verweist auf eine Umfrage des MDR, wonach 70 Prozent der Zuhörer angegeben haben, sie interessiere die Debatte über die Vergangenheit nicht. Mehr noch: Der Christdemokrat scheint auf der Welle derer zu reiten, die solche Debatten, wie der Hannoveraner Nolle sie angestoßen hat, als einen Angriff auf ostdeutsche Biografien schlechthin abwehren und so die Solidarität der Ostdeutschen wecken wollen. Ähnlich hat es einst Manfred Stolpe in Brandenburg gehalten, als er wegen Stasi-Vorwürfen unter Druck geriet. Genau so mobilisiert seit vielen Jahren auch die heutige Linkspartei ihre Unterstützer.

Auf seine Plakate hat Tillich den Titel „Der Sachse“ drucken lassen. Das ist unausgesprochen auch eine Distanzierung zum Niedersachsen Nolle. Der gehört zwar auch zur kleinen SPD-Landtagsfraktion, die Tillichs CDU in einer Koalition verbunden ist. Aber Nolle ist das Hassobjekt der Union, denn er hat mit seinen energischen und enthüllenden Anfragen, die so ganz dem Harmoniebedürfnis der ostdeutschen Politikkultur widersprechen, im Parlament schon zwei CDU-Ministerpräsidenten gestürzt: Kurt Biedenkopf 2002 und Georg Milbradt im vergangenen Jahr. Trotzdem wirkt Tillich in der Debatte um ihn nicht so, als freue er sich über eine willkommene Polarisierung in einem ansonsten langweiligen Wahlkampf. Der Christdemokrat selbst mag den Streit über seine Biografie nicht.

Bei vielen einfachen Menschen auf der Straße spielt die Vergangenheit des Regierungschefs denn auch keine große Rolle. Das spürt Tillich, der bei seiner Sommerreise die Schauplätze des Tourismus betrachtet – etwa die Seenlandschaft im Naherholungsgebiet Cospuden, das noch Anfang 1990 wegen des Braunkohle-Tagebaus zu den dunkelsten und schmutzigsten Ecken der DDR gehörte. Heute zieht die Gegend mit ihren schmucken Ferienhäusern am Wasser Urlauber aus ganz Europa an.

Tillich hat sich zur Besichtigung angemeldet, die Betreiberin der Ferienanlage spricht ihn mit „Herr Staatspräsident“ an, aber der Regierungschef nimmt es mit Humor. Er bleibt freundlich, schüttelt gern Hände, lächelt oft und hört aufmerksam zu. Die Tour geht vorbei an einigen Urlaubern, und Tillich steuert instinktsicher auf eine junge Frau mit Baby zu, stellt sich vor und plaudert ein bisschen. Später, in der großen Urwaldausstellung im „Panometer“, stupsen sich die Besucher gegenseitig an: „Guck mal, unser Ministerpräsident.“ Und im Gespräch mit Leipziger Fremdenführern vermittelt der Regierungschef in seiner verbindlichen, aber bestimmten Art die Kernbotschaft: Der Tourismus in Sachsen könne noch stärker gedeihen, wenn die Gastfreundlichkeit des Personals in den Hotels und Pensionen ausgeprägter wäre. Bei diesem Thema nennt Tillich viele Details, kniet sich tief in die Debatte – und wirkt dabei wie ein Landesvater, der sich um die Probleme kümmert.

Die Vergangenheit kommt dann noch einmal im Gespräch mit Journalisten zur Sprache. „Unpolitisch“ sei sein Wirken gewesen, betont Tillich im Interview – auch wenn er als „Ratsmitglied für Handel und Versorgung“ beispielsweise mit Enteignungen zu tun hatte. „Es ging in der Mangelwirtschaft DDR doch vor allem um Alltagsprobleme, etwa die Frage, warum es keine Plastikbecher für Fleischsalat gab.“ Dann sagt Tillich noch, er habe sich „nichts vorzuwerfen“, und er betont, dass er als knapp 30 Jahre alter Familienvater Ende der achtziger Jahre eine Aufgabe in der Verwaltung übernommen habe. „Wenn ich aber Karriere in der Diktatur hätte machen wollen, hätte ich in die SED gehen müssen.“

Im Leipziger „Panometer“, dem zur Kunsthalle umgebauten alten Braunkohle-Gasometer, geht es um das Heute, das Gestern und das Morgen. Wenn die Urwaldausstellung endet, wird sämtliches Inventar vernichtet. So hat es der Künstler entschieden. Stanislaw Tillich würde sich gerne auf das Heute und das Morgen konzentrieren. Aber sein Gestern lässt sich nicht so leicht aus der Welt schaffen.
Von Klaus Wallbaum

Karl Nolle im Webseitentest
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