Karl Nolle, MdL

spiegel.online.de, 14:32 h, 07.05.2009, 21.08.2009

Grüne 2009 - Partei der Selbstbetrüger

Von Franz Walter
 

Spitzensteuern, Mindestlöhne, mehr Arbeitslosengeld: Die Grünen schreiben rigorose Forderungen in ihr Wahlprogramm. Dabei ticken die Anhänger der Partei in Wahrheit ganz anders. Viele sind saturiert, antiradikal - fast so spießig wie jener Helmut Kohl, den sie einst bekämpften.

Es geht recht radikal zu im Entwurf des grünen Wahlprogramms, der am Wochenende im Berliner Velodrom auf einer Bundesdelegiertenkonferenz der Ökopartei verhandelt wird. Selbst Oskar Lafontaine, der laute Propagandist des politischen Generalstreiks, fand lobende Worte.

Denn die Grünen versprechen das Arbeitslosengeld II zu erhöhen, die Bürgerversicherung einzuführen, Mindestlöhne zu generalisieren, beim Spitzensteuersatz zuzulegen - überhaupt die großen Vermögen stärker heranzuziehen zur Finanzierung eines gigantisches Investitionsprogramm für Bildung und Ökologie.

Man spricht in den Reihen der Ökopartei derzeit gern von "Grün pur", will bewusst - es gehe doch alleine um Inhalte - nicht über Koalitionen reden, wenngleich das den Spitzenleuten zunehmend schlechter gelingt. Entscheidend jedenfalls sei, so Spitzenkandidat Jürgen Trittin mit rhetorischer Inbrunst, der "ökologisch-soziale Politikwechsel".

Nun fragt sich der eine oder andere, warum man mit all dem nicht ernst gemacht hat, als die Gelegenheit bereits da und zudem machtpolitisch äußerst günstig war - während der rot-grünen Regierungsjahre nach 1998.

Warum soll 2009 unter der vermutlich einzig für die Grünen realistischen Koalitionsregierung Rot-Gelb-Grün bei denkbar ungünstigsten Etatbedingungen das möglich sein, was unter Schröder/Fischer aus vermeintlichen Sachzwangsgründen nicht machbar war?

Und außerdem: Wollen die grünen Wähler wirklich und überhaupt das, was die grünen Politiker als wünschenswerte Politik in ihr Wahlprogramm hineingeschrieben haben?

Gewiss, es ist nicht einfach für politische Aktivisten der Ökopartei. Die Anhängerschaft der Grünen lebt unzweifelhaft in einer Art stetem Selbstbetrug. Seit Jahren zeigen etliche Erhebungen, dass die postmaterialistischen Menschen der Republik im Grunde vollauf zufrieden sind mit den Verhältnissen, ihren eigenen gegenwärtigen Lebensumständen, ihren weiten Zukunftsaussichten.

So zufrieden wie die grüne Klientel ist kein Milieu sonst in Deutschland.

Das ist ja auch ganz verständlich. Etliche sind verbeamtet. Das Einkommen ist ordentlich, nicht selten besser als ordentlich. Die Berufe sind meist interessant und selbstbestimmt. Der durchschnittliche Grünen-Anhänger hat wenig Grund zu klagen. Und er tut es auch nicht mehr.

Blickt er zurück, distanziert er sich ein wenig ironisch von den radikalen Flausen der achtziger Jahre, von den eigenen Flegeljahren des fundamentalistischen Protests. Aber er möchte das von anderen, gar Nachgeborenen keineswegs denunziert wissen.

Damals, so pflegt er (oder natürlich auch und erst sie) dann trotzig zu sagen, habe man wenigstens noch Ziele verfolgt, Ideale besessen, für eine Vision gekämpft. Jetzt aber - man geht schließlich auf die 50 und weiter zu - im fortgeschrittenen Alter, mit allerlei Zipperlein, sei man einfach gesetzter und ruhiger geworden. Aber auch vernünftiger!

Früher war alles schwarz oder weiß. Jetzt ist es überwiegend grau.

Geben sich Demoskopen und Sozialforscher auf Erhebungsreisen in die verschiedenen Lebenswelten der Republik und landen dann bei den Sympathisanten der Grünen, so machen sie die immergleiche Erfahrung: Deren Anhänger entscheiden sich bei der Beantwortung der vorgelegten Fragen nicht gern für "stimme voll zu" oder "stimme gar nicht zu". Sie lieben mehr als alle anderen Bevölkerungsteile die Antwort "teils-teils".

Der Durchschnittsgrüne möchte es nicht mehr so radikal, so extrem. Er hält es jetzt wie diejenigen Bürger, die er vor 25 Jahren noch verächtlich als Spießer belächelt hat, lieber mit Maß und Mitte. Ganz bösartig ausgedrückt: Der gemeine Grüne ähnelt Helmut Kohl immer mehr. Jedenfalls will der durchschnittliche Wähler dieser Partei gar keinen grundlegenden ökologisch-sozialen Wechsel in der deutschen Gesellschaft.

Schon 2004, als die Republik in Düsternis und Protest über und gegen die Agenda-Reformen verfiel, war nur eine einzige Lebenswelt ganz überwiegend zufrieden mit der eigenen Partei, mit den Leistungen der Regierung und natürlich mit den sonst höchst umstrittenen Sozialreformen des Schröder-Kabinetts - die grüne.

Allerdings hüteten sich die Anführer der Grünen, diese Ergebnisse einer durchaus aufwendigen regierungsamtlichen Expertise kund zu tun. Ein bisschen peinlich war es ihnen schon, wie saturiert sich der eigene Anhang mittlerweile gerierte.

Doch hat sich der Trend seither nicht umgekehrt. Im Gegenteil. Auch das belegen zahllose Erhebungen. Gäbe es etwa eine Direktwahl, dann hätte der Kandidat der Sozialdemokraten für das Kanzleramt im grünen Milieu wohl keine Chance, sich gegen Angela Merkel durchzusetzen.

Nirgendwo sonst ist außerdem der Vorbehalt gegen einen weiteren Ausbau der sozialen Rechte für die unteren Schichten so groß wie bei den Postmateriellen. Selbst im Anhang von Westerwelle ist der Argwohn gegen zunehmende Sozialstaatlichkeit nicht so ausgeprägt wie hier. In der Skepsis gegen staatliches Engagement in privaten Unternehmen steht die grüne Klientel ganz in der Reihe mit Schwarzen und Gelben - und ist weit von Rot-Rot entfernt.

Und der Anteil von Skeptikern gegen einen staatlich begründeten Mindestlohn ist im Grünen-Anhang exakt so hoch wie im Lager der Union. Auch in dieser Frage gibt es einen signifikanten Unterschied zu den Wählern der Sozialdemokratie und der Linken.

Im Grunde strebt das grüne Milieu im Jahr 2009 ganz gen Jamaika, wie die Koalitionsvariante mit Union und FDP ja genannt wird. Aber wahrscheinlich würden die Anhänger es den Grünen übel nehmen, wenn sie ein solches Bündnis politisch tatsächlich anstreben würden.

Denn wie gesagt: Der Selbstbetrug ist ein verstörender Wesenszug des bundesdeutschen Postmaterialismus.

Karl Nolle im Webseitentest
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