spiegel online, 22:22 Uhr, 27.09.2009
Opposition: Linke feiert, Grüne hadern
Von Florian Gathmann und Björn Hengst
Die Linke jubelt, der scharfe Kurs von Lafontaine & Co. ist aufgegangen. Die Grünen sind dagegen enttäuscht: Sie konnten weder Schwarz-Gelb verhindern noch drittstärkste Kraft werden. Jetzt müssen sie klären, zu welchem Lager sie gehören wollen.
Berlin - Sogar die Leuchtreklame von Rewe über ihren Köpfen passt: strahlendes Rot, ganz wie ihre Parteifarbe - am Sonntagabend stehen die Obergenossen Oskar Lafontaine, Gregor Gysi, Lothar Bisky und Klaus Ernst für einen Moment zusammen vor der Berliner Kulturbrauerei und feiern einen weiteren Triumph ihrer Linken. Ein paar Meter weiter im Wahlparty-Zelt bejubeln die Anhänger jede neue Hochrechnung, draußen freuen sich die vier Parteioberen wie kleine Jungs: fallen sich um den Hals, tätscheln sich die Oberarme. "In Bayern liegen wir über sechs Prozent", sagt der Franke Ernst zu Lafontaine. Der Parteichef setzt eine gespielt verblüffte Miene auf. "Was?", sagt Lafontaine - dann lachen sie alle und lassen sich ins Zelt führen.
Die Linke hat viel zu lachen: Mit einem zweistelligen Ergebnis zieht sie in den Bundestag ein und verbessert damit ihr Ergebnis von 2005 deutlich. Damals landete die Partei bei 8,7 Prozent. Dazu kommen an diesem Wahlabend Erfolge in Schleswig-Holstein und Brandenburg. "Wir haben die Schallmauer durchbrochen und sind zweistellig", sagt Bisky im Zelt vor den jubelnden Anhängern, Gysi wertet das Abschneiden seiner Linken als "historisches Ereignis".
Neben ihnen auf dem Podium steht Lafontaine, er lässt zuerst seinen Co-Parteichef sprechen, dann seinen Co-Fraktionschef. Knapp zehn Minuten sind es, die Lafontaine so wortlos auf dem Podium steht. Er schaut mal nach links, mal nach rechts, mal nach hinten, das Lächeln aus seinem Gesicht will dabei gar nicht weichen. Der Triumph der Linken, das weiß Lafontaine in diesem Moment genau, ist vor allem sein Erfolg. "Wir wollen, dass das linke Lager stärker wird", sagt er den Anhängern - aber dafür müsse es zunächst überhaupt ein linkes Lager werden.
"Die SPD braucht jetzt eine Rebellion"
Es ist ein Mahnruf an die SPD - und Gysi spricht ihn noch deutlicher aus: "Die SPD braucht jetzt eine Rebellion und muss sich resozialdemokratisieren."
Für die Linke ist die Bundestagswahl eine deutliche Kursbestätigung, die SPD dagegen kassierte eine historische Niederlage. Eine Annäherung zwischen den beiden Parteien kann sich nach Lesart der Linken deshalb allein durch einen deutlichen Linksschwenk der Sozialdemokraten vollziehen. "Wir werden unseren Kurs halten, die SPD muss ihren Kurs ändern", sagt etwa Partei-Vize Ernst, der früher selbst Sozialdemokrat war. Andernfalls drohe der SPD ein weiterer Absturz. "Dann sind sie irgendwann bei 15 Prozent, dann kann der Letzte das Licht ausmachen." Ernst ist sich sicher, dass die SPD schnell Konsequenzen aus dem Wahldebakel ziehen wird: "Es wird zu einem Führungs- und Richtungswechsel in der SPD kommen." Der Richtungswechsel, den sich die Linke bei den Sozialdemokraten wünscht, ist klar - den hat sie oft genug gefordert: Weg von Hartz IV, Schluss mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan.
Für einen großen Sozialdemokraten gibt es dann aber doch noch viel Applaus: Die Linke wolle "mehr Demokratie wagen", sagt Lafontaine und bedient sich bei diesem Zitat bei Willy Brandt - dies gehe aber nur mit einer "neuen Wirtschafts- und Sozialordnung".
Ein ganzes Stück südöstlich ist die Stimmung weit weniger euphorisch, im alten Postamt des heutigen Ostbahnhofs haben die Grünen zu ihrer Wahlparty geladen. Und das liegt nicht am mangelnden Publikum in dem roten Klinkergebäude. Die Grünen sind stark in Berlin, auch bei dieser Wahl; im benachbarten Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat der alte Parteirecke Hans-Christian Ströbele auch 2009 - das dritte Mal in Folge - ein Direktmandat geholt.
Bundesweit sind die Grünen ebenfalls stark - sie holen das beste Ergebnis ihrer Parteigeschichte, kommen zum ersten Mal auf einen zweistelligen Wert. Aber als Claudia Roth um kurz vor sieben an das Mikrofon auf der Bühne tritt, sagt sie: "Das ist bitter." Neben ihr steht Co-Parteichef Cem Özdemir und sieht sehr schmal aus nach den Strapazen der vergangenen Wochen. Für ihn ist bitter, dass er in Stuttgart-Süd knapp das Direktmandat gegen den CDU-Kandidaten verloren hat - obwohl er mehr als 30 Prozent der Erststimmen holte. Bitter für seine Partei ist, dass die Grünen zwar besser abschneiden als je zuvor - aber die zwei wichtigsten Wahlziele verpassen: Sie wollten Schwarz-Gelb verhindern. Und, wie bei der Europawahl Anfang Juni, drittstärkste Kraft im Bundestag werden.
Künast und Trittin sollen die Leute bei Laune halten
Stattdessen müssen Roth und Özdemir nun mit ansehen, wie Guido Westerwelles FDP nicht nur als neuer Juniorpartner der Union in die Regierung geht, sondern auch noch mit großem Abstand vor den Grünen liegt. Und auch die Linke-Fraktion wird im neuen Bundestag größer sein.
Die Spitzenkandidaten Renate Künast und Jürgen Trittin zeigen sich an diesem Abend als erstes. Aber es dauert länger als geplant, bis sie den Raum in der großen Postbahnhofshalle verlassen, wo die Parteiprominenz beratschlagt. Für einen Moment sieht es ein bisschen wie eine Leichenprozession aus, als Spitzenkandidaten, Kameraleute und Fotografen im Gefolge, auf die Bühne zu steuern. Dann beginnt Künast zu klatschen - und der Saal fällt ein.
Man hat sich offenbar abgesprochen: Künast und Trittin sollen die Leute bei Laune halten, das Parteichef-Duo ist für den Klartext zuständig.
Also ruft Künast ins Mikrofon: "Wir haben was zu bieten, deshalb sind wir zweistellig in den Bundestag gewählt worden." Trittin, der wohl gemeinsam mit Künast die neue Parlamentsfraktion führen wird, assistiert. "Wir haben grandios zulegt", sagt er, "um über 25 Prozent". Das stimmt im Vergleich zu dem 2005er-Ergebnis - und muss nun über die Enttäuschung hinweghelfen.
Manchem reicht das nicht. "Das ist ein beschissenes Ergebnis für uns", sagt ein Grüner. Aber es gibt auch Stimmen wie diese: "Wenigstens gibt es jetzt klare Verhältnisse in Deutschland."
Die Grünen müssen in den kommenden Jahren klären, wie sie wieder in Regierungsverantwortung kommen sollen. Weil Rot-Grün mit der morbiden SPD bis auf weiteres unmöglich ist, schielen viele auf die Linke. "Aber das geht nicht automatisch Richtung linkes Lager", sagt ein Stratege. Realos wie Parteichef Özdemir oder Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer werden nun vermehrt die Annäherung an die Union suchen - wohl auch mit der FDP mit Blick auf ein Jamaika-Bündnis.
Selbst der Parteilinke Trittin sieht rot-rot-grüne Gedankenspiele weiterhin skeptisch: "Ich sehe bei denen wenig Bereitschaft", sagt er. "Die Linke ist doch als Protest-Partei gestärkt worden." Mit Blick auf Thüringen, wo eine rot-rot-grüne Regierung möglich ist, spricht Trittin allerdings auch von einer "gewachsenen Verantwortung für andere Mehrheiten".
Bodo Ramelow jedenfalls sieht Rot-Rot-Grün in Thüringen nach diesem Abend näher rücken. Das Bundestagswahlergebnis "wird Einfluss haben müssen auf den Realitätssinn von SPD und Grünen, um eine andere Art von Mehrheit im Bundesrat abbilden zu können", sagt der Thüringer Linke-Spitzenmann.
Die Frage ist dabei allerdings auch, welchen Realitätssinn seine eigene Partei zeigt.