Süddeutsche Zeitung, 28.09.2009
Bundestagswahl: Gelb-Gelb-Schwarz - Ein Kommentar von Heribert Prantl
Mehrheit gesichert: Mit ihrem absoluten Bekenntnis zur Union ist die FDP mittel- und langfristig ein hohes Risiko eingegangen. Der Preis, den die FDP zahlen wird, ist hoch.
Was der Pyrenäenpass Tourmalet für die Tour de France ist, das ist der Wahlsonntag für die deutschen Parteien. Bisweilen stürzt er die allzu Siegesgewissen, bisweilen belohnt er die Außenseiter und lässt den gewinnen, der die zweite Luft hat. Diesmal nicht.
In der letzten Phase des Wahlkampfs hatte Frank-Walter Steinmeier zwar diese zweite Luft. Aber sie hat nur eine vielleicht noch größere Niederlage der SPD verhindert. Eine schwächelnde Union und, vor allem, die unglaubliche FDP haben das Rennen mit langem Atem geschafft.
Das Westerwelle-Paradoxon
Die zweite Luft ist ein Phänomen, das man im Sport kennt: Wenn es dem Sportler gelingt, seinen toten Punkt samt Atemnot und Leistungsabfall zu überwinden, spürt er neuen Schub und neue Kraft. Steinmeier hat das Phänomen auf die Politik zu übertragen versucht; er hat in der Schwäche der SPD unverdrossen weitergemacht - und im Fernsehduell zu neuer Energie gefunden.
Die reichte aber mitnichten für ein Weiterregieren, sie reicht nur dafür, um die SPD mit traurigem Stolz in die Opposition zu führen; da gehört sie schon lange hin. Die SPD hat, trotz Steinmeiers Leistung, krachend verloren, aber: Die Sozialdemokratie hat eine neue Führungsfigur gewonnen.
Nicht Angela Merkel und ihre CDU, sondern Guido Westerwelle und die FDP haben eine neue große Koalition verhindert. Westerwelles FDP sichert der schwarz-gelben Koalition die Mehrheit. Guido Westerwelle ist ein Phänomen, ein personifiziertes Paradoxon. Er hat es geschafft, eine neoliberale Partei nach dem Zusammenbruch des Neoliberalismus zum großen Wahlsieger zu machen.
Ausgerechnet nach der globalen Entlarvung des Marktradikalismus gelang ihm, was ihm vor dessen Entlarvung nicht gelungen ist. Dieser Wahlsieg ist Westerwelle mit einfachsten Mitteln geglückt. Er hat im Wahlkampf nur das gesagt, was er immer gesagt hat: "Mehr Markt" und "weniger Steuern". Wegen der Simplizität der Aussage hat ihm die erste Luft genügt.
Vergebliche Versuche
Er hat sich nicht irritieren lassen vom Bankencrash; und er hat so getan, als habe die Wirtschaftskrise gar nichts zu tun mit der FDP und ihren Lehren. Westerwelle ist schlicht bei seinen Kernaussagen geblieben. Viele Wähler haben das offenbar als die freidemokratische Ausprägung der Nachhaltigkeit goutiert.
Zweimal schon hatte Westerwelle vergeblich versucht, mit der Union eine Bundestagswahl zu gewinnen. 2002 ist er gescheitert, weil seine FDP versagte. 2005 ist er gescheitert, weil die Merkel-CDU einbrach. Auch diesmal steht die CDU nicht gut da, sie ist eine bröckelnde und bröselnde Volkspartei; dafür aber ist die FDP zu einer starken Mittelpartei geworden. Im dritten Anlauf reicht es für Schwarz-Gelb.
Das mag zu tun haben mit der eigentlich nicht berechtigten Enttäuschung über die Merkel/Steinmeier-Koalition. Vielleicht ist es auch so, dass die Wähler in den Freidemokraten weniger die Verfechter einer Ideologie gesehen haben als die Vertreter von Positionen, die ihnen, den Wählern, ganz persönlich nützen - zumal in der Steuerpolitik.
Mit ihrem absoluten Bekenntnis zur Union ist die FDP mittel- und langfristig ein hohes Risiko eingegangen. Der Preis, den die FDP zahlen wird, ist hoch. Der Wahlsonntag mit seinem glänzenden FDP-Sieg markiert sowohl den Höhe- als auch schon wieder den Wendepunkt der Geschichte des Guido Westerwelle. Der Parteichef hat die FDP der mürben CDU ausgeliefert. Am Beginn ihrer neuen Regierungzeit mit der Kanzlerin Angela Merkel ist die FDP so eng an diese CDU gekettet wie am Ende ihrer Regierungszeit mit Helmut Kohl.
Das bringt ihr zunächst viel ein: einen Vizekanzler, etliche Ministerposten - und die Macht. Aber: Ab sofort ist es vorbei mit den luftigen Versprechungen und den liberalen Steuersenkereien, denen sich (zu ihrem Schaden) auch die CSU im Wahlkampf angeschlossen hatte.
Die Steuern zu senken, angesichts von hundert Milliarden Euro Schulden, um so angeblich einen mächtigen Aufschwung auszulösen - das wäre russisches Roulette mit der deutschen Gesellschaft. Kanzler und Minister dürfen kein Gewerbe ausüben, heißt es in Artikel 66 Grundgesetz. Also ist ihnen das gewerbliche Glücksspiel mit dem deutschen Volk nicht gestattet.
Westerwelle hat, weil er seinen Treueschwur für die CDU unnötigerweise mit einem Ausschluss jedweder Koalition mit der SPD verbunden hat, die Position seiner FDP für die Koalitionsverhandlungen geschwächt. Es mag sein, dass er mit der Proklamation, es gebe für die FDP keine Alternative zum Bündnis mit der Union, aus dem Unionslager Stimmen abgezogen hat. Dafür wird die Union jetzt bei den Koalitionsverhandlungen die FDP über den Tisch ziehen.
Angela Merkel hat nun die Koalition, die sich ihre Partei gewünscht hat. Der Kanzlerin schmeckt die kleine Koalition nicht, aber sie muss so tun, als ob es so wäre. Künftig kann sie sich nicht mehr hinter der SPD verstecken. Künftig werden die Forderungen aus der CDU lauter werden, einen sehr wirtschaftsfreundlichen Kurs zu fahren. Spielt die Kanzlerin weiter die Rolle der Mutti der Nation, hat sie also Schwierigkeiten mit der FDP und mit ihrer Partei. Wird sie aber zur eisernen Lady, verliert sie ihr Renommee und ihre Reputation in der Bevölkerung.
Von der Mutti zur eisernen Lady
Das heißt: Die goldenen Zeiten der Angela Merkel sind vorbei. Die CDU hat nun lange von der Schwäche der SPD profitiert und ihre Stärke vor allem daraus bezogen; es war eine geliehene Stärke. Der Verfall der SPD ließ die Union stärker aussehen als sie war: Die CDU erodiert, die CSU in Bayern auch. Die schwarze Volkspartei verblasst so, wie die rote schon verblasst ist. Die Union bräuchte wieder einen Halt, der aus ihr selber kommt. Es sieht nicht so aus, als ob Merkel ihr diesen Halt geben könnte. Die politische Mitte wird neu besetzt - mit den mittelgroßen Parteien.
Für die SPD, die an Schröders Agenda 2010 leidet wie an einer furchtbaren Erbkrankheit, beginnt nun das, was sie bisher als ,,Mist‘‘ bezeichnet hat: die Zeit der Opposition. Diese muss gar nicht so mistig sein, wenn die SPD sich auf die Tugenden besinnt, die sie in den letzten zwei Wahlkampfwochen gezeigt hat.
Langeweile ist vorbei
In der Opposition wird die SPD ihre Bundesbündnis-Starre lösen müssen. Sie muss einen Modus vivendi mit den Linken finden, wenn sie wieder an die Macht gelangen will. Die schwarz-gelbe Regierung ist wahrscheinlich eine Übergangsregierung. Sie überbrückt die Zeit der allseitigen Koalitionsverweigerung - die Zeit, in der alle Parteien lernen müssen, dass eine koalitionspolitische Selbstfesselung in einem Fünf-Parteien-System schädlich ist. Die immer weiter schrumpfende Wahlbeteiligung hat auch mit dieser Bündnisstarre der Parteien zu tun.
Die Bundesbündnisstarre der Parteien wird sich in den nächsten Jahren beim Anblick neuer, farbenfroher Landesregierungen lösen. Dann werden die Karten, die heute wie festgeklebt daliegen, neu gemischt. Willy Brandts altes Wort ,,Mehr Demokratie wagen‘‘ - es gilt heute für die Parteien und ihr Verhältnis zueinander. Die Zeit der Langeweile, im Wahlkampf heftig beklagt, ist vorbei.