Karl Nolle, MdL

Freie Presse, 26.10.2009

Ein Schutzhelm für den neuen Hoffnungsträger - Martin Dulig will Sachsens SPD aus dem Tief führen

Lob für Vorgänger Jurk und Aufbruch-Appelle auf dem Landesparteitag der Sozialdemokraten in Dresden
 
Dresden. Er gab alles, der neue Hoffnungsträger und Kandidat ohne Mitbewerber. Temperamentvoll die Rede, ohne Manuskript und in schonungsloser Selbstkritik vorgetragen. Und dann das Ergebnis: 74,2 Prozent. Der neue Landesvorsitzende der SPD Sachsens heißt Martin Dulig. Tapfer lächelnd setzte er den roten Helm auf den Kopf, den ihm sein Vorgänger Thomas Jurk überreichte und sagte: "Ein ehrliches Ergebnis, das eine gute Perspektive bietet."

Die Sprachlosigkeit, die der Schock des Machtverlustes und die Bestätigung als Zehn-Prozent-Partei auslöste, ist der ehrlichen Analyse gewichen. Sieben Wochen nach der Landtagswahl hat sich Martin Dulig an die Spitze der Aufarbeitung von Schwachstellen und Chancen gestellt. "Wir sind auf dem Boden angekommen", kommentierte er nüchtern. In diesem Zustand kann man sich ein doppeldeutiges Motto leisten. "Wegen Umbau geöffnet" hieß es auf dem großen Transparent in der schmucklosen Halle der "Zeitenströmung" in Dresden. Passend dazu das Strichmännchen eines Arbeiters mit Schaufel und einem großen Haufen Erde. Die SPD habe sich in den Augen vieler Stammwähler überflüssig gemacht. "Wir brauchen euch nicht", zitierte Dulig einen Betriebsrat. Warum sie ihrer Klientel fremd geworden, warum sie in ihrem historischen Stammland zur Splitterpartei verkommen ist, das erklärte er mit Vertrauensverlust, mit Nischendenken und mit Selbsttäuschung. "Wir hatten ein Vermittlungsproblem, wir haben uns etwas vorgemacht", lautete seine Bewertung.

Dulig kennt die Zweifel, die sich mit ihm als neuen Chef von Fraktion und Partei verbinden. Deswegen schwankte seine Rede mehrfach zwischen Aufbruchsignalen und Rückblicken auf seine kurze, steile Karriere. Ein 15-jähriger Steppke sei er gewesen, als vor 20 Jahren mutige Menschen die politische Wende durchgesetzt hatten. Damals, auch unter dem Eindruck eines Haftaufenthaltes seines Bruders im "gelben Elend" in Bautzen, sei er den Jusos beigetreten. Mut zum Aufbruch nannte er das, und der Seitenhieb fiel Richtung CDU-Blockflöten, "die damals in Kamenz noch Akten unterschrieben haben." Die sächsische SPD habe schon vor der Agenda 2010 unter zehn Prozent gelegen, gab Dulig zu bedenken. Deswegen könne sie sich nicht mit den Folgen von Schröders Reformen herausreden. Und damit nicht Thomas Jurk, der Ex-Wirtschaftsminister, in die Verantwortung gezogen wird, erhielt der bereits am Vorabend gemeinsam mit Ex-Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange viel Lob und Anerkennung.

Etwas diffus wirkte, wie Dulig die SPD neu positionieren will. "Ich will sie als linke Volkspartei in der Mitte der Gesellschaft verankern", beschrieb er sein Vorhaben. Gleichzeitig Links und Mitte? "Wir müssen die Balance zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökologisch-ökonomischer Vernunft halten", fügte er hinzu. Die SPD sei zu elitär, sie benötige "Erdung". Die will der neue Parteichef mithilfe "historischer Bündnispartner" herstellen. Gemeint sind Gewerkschaften und die Arbeiterwohlfahrt. Und die Linken? "Eine Koalition mit den Linken ist nur eine Machtoption" und zwar "nicht aus tiefstem Herzen, sondern mit kühlem Verstand."
Der Neubeginn erfordere langen Atem, und er gelinge nur, wenn die SPD wieder Solidarität, Begeisterung und Verantwortungsbewusstsein wecken könne, betonte Dulig. Das war wieder ein Stichwort in eigener Sache. Mit blutjungen 16 Jahren trat er erstmals in die Vaterrolle, anschließend weitere fünf Mal. Die Familie setzte der gebürtige Plauener diesmal als Wahlhelfer in eigener Sache ein. Ob es geholfen hat?

Dass die SPD mit sich noch längst nicht im Reinen ist, zeigten etliche Diskussionsbeiträge. So schrieb Peter Lames, Fraktionschef im Dresdner Stadtrat, seiner Parteiführung auch die Mitverantwortung für die Folgen des Landesbank-Debakels zu. Und er machte sich zum Fürsprecher für einen Vorstoß des SPD-Ortsvereins Olbernhau. Der wollte durchsetzen, dass künftig bei den Landeslisten Bewerber mit ausreichender Berufserfahrung berücksichtigt werden. "Der Lokführer hätte bei uns keine Chance gehabt", so Lames, "denn wir sind eine Partei der Netzwerker, um nicht zu sagen der Klüngelwirtschaft". Doch der Vorstoß scheiterte an rechtlichen Bedenken.
Von Hubert Kemper

Karl Nolle im Webseitentest
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