welt-online.de, 13.11.2009
Münteferings Rede besiegelt Ende seines Abstiegs
Kommentar von von Daniel Friedrich Sturm
Schlecht war die Rede nicht, mit der Franz Müntefering seinen Abschied vom SPD-Vorsitz zelebrierte. Über das Wahldebakel und den künftigen Kurs der Partei sprach er konstruktiv und motivierend. Doch es fehlte Münteferings Rede an Emotionen. Sie war der Endpunkt eines langen Abstiegs.
Mancher hatte eine Abrechnung von Franz Müntefering erwartet. Sollte der scheidende SPD-Vorsitzende mit harschen Worten den Parteitag der Sozialdemokraten erschweren, ja der künftigen Führung Steine – oder gar Felsbrocken – in den Weg legen?
Müntefering tat in seiner Abschiedsrede nichts dergleichen. Er hielt eine konstruktive, moderate Rede und erwies damit der SPD und sich selbst einen Dienst. Müntefering, leicht nervös, lieferte eine durchaus kritische Analyse der SPD nach ihrem 23-Prozent-Debakel bei der Bundestagswahl. Mit allerlei Allgemeinplätzen bemühte er sich daneben um die Gunst der Delegierten. Kritik an seiner eigenen Arbeit aber ließ er – wenig verwunderlich – vermissen.
„Bitter“ nannte Müntefering das schlechteste Ergebnis in der bundesdeutschen Geschichte, das die Sozialdemokraten vor sieben Wochen eingefahren hatten.
Vor allem aber gab er zu, für Aufsteiger sei die SPD offenbar nicht interessant genug. Die Menschen, die einen sozialen Abstieg fürchteten, trauten der SPD nicht mehr. Genau das bringt das Dilemma der Partei auf den Punkt.
Die fehlenden Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg, die Notwendigkeit, dass die Deutschen länger arbeiten müssen und der Hinweis auf 82 Milliarden Euro Steuergelder für die Rente – Müntefering lieferte eine fundierte Analyse. Gleiches galt für den Hinweis, das Fördern mache „uns“ mehr Freude als das Fordern. Neue Ansätze aber bot er nicht.
Die heiklen Themen (Agenda 2010, Hartz IV, Rente mit 67, Afghanistan, aber auch das Wort Hessen), die die interne Auseinandersetzung in der SPD bestimmen, aber vermied Müntefering. Er hält eben alles, was er selbst getan hat, für grundsätzlich gut und richtig.
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Diese Halsstarrigkeit, die seine kurze Vorsitzenden-Zeit geprägt hat, offenbarte der scheidende Parteichef bei seiner Rede insofern nur indirekt. Einen ordentlichen Applaus am Ende von eineinhalb Jahrzehnten in führenden Funktionen wollte sich Müntefering nicht verscherzen. Das ist menschlich verständlich, politisch aber überzeugt es wenig.
Vor gut einem Jahr trat Müntefering an der Spitze der SPD in die Fußstapfen Kurt Becks. Er sei nicht auf „Montage“, Müntefering stellte eine lange Amtszeit in Aussicht.
Doch bereits mit seiner Wahl begann sein Abstieg. Die angestrebte Ära Müntefering wurde zur Episode. Insofern lieferte nach einer ausgesprochen unglücklichen Amtszeit eine geschäftsmäßige Abschiedsrede ohne Emotion und Empathie.