Agenturen, ddp-lsc, 12:22 Uhr, 15.11.2009
Genossen zu Besuch im Stammland
Sachsens gebeutelte SPD gibt sich auf Bundesparteitag optimistisch - Lob von Gabriel fürs Umbau-Motto
Dresden (ddp-lsc). Juliane Pfeil wusste vor dem SPD-Parteitag noch nicht, ob sie Sigmar Gabriel zum Parteichef wählen wird. Sie sei nicht sicher gewesen, ob der Ex-Bundesumweltminister «integrieren» könne. Nach seiner knapp zweistündigen Rede am Freitagabend glaubte die Plauenerin daran und wählte Gabriel, so wie es auch 471 weitere Delegierte taten. Ihr habe gefallen, dass «Gabriel viele Fragen aufgeworfen hat, ohne die Antworten vorzugeben». Aber die Parteiflügel, die müsse es weiter geben. «Ich bin froh, dass die SPD so viele Flügel hat», sagt die bekennende SPD-Linke.
Die 22-Jährige ist die jüngste der gerade einmal neun sächsischen Delegierten. Beim Parteitag in Dresden darf der Heimatverband in der ersten Reihe sitzen - und hält auch in den stundenlangen Debatten fast vollzählig die Stellung. Die Delegierten-Anzahl berechnet sich nach dem Mitglieder-Schlüssel, und deshalb wird Sachsen sogar noch von drei anderen ostdeutschen Landesverbänden - Mecklenburg-Vorpommern (fünf), Thüringen und Sachsen-Anhalt (je sieben) - unterboten.
SPD-Landeschef Martin Dulig macht in seiner Eröffnungsansprache aus dem Dilemma keinen Hehl: «So viele Sozialdemokraten» hätten die sächsischen Genossen lange «nicht mehr auf einem Haufen gesehen». 4248 Mitglieder zählt der Landesverband - und hat nach Angaben des neuen Bundesvorsitzenden Gabriel damit in etwa die Größe eines SPD-Unterbezirks im Ruhrgebiet.
In Juliane Pfeils SPD-Unterbezirk im Vogtland gibt es nicht mal 300 SPD-Mitglieder, in der Stadt Plauen sind es um die 70. Wenn sich der Ortsverband treffe, kämen etwa zehn Leute, sagt die Geschichtsstudentin: «Nur beim Schlauchbootfahren und Wandern sind immer fast alle da.» Es gebe gerade in kleineren Orten kaum «funktionierende SPD-Strukturen», vor allem stünden derzeit auch viele Genossen nicht zu ihrer Parteimitgliedschaft.
Die Sachsen-SPD hat im Unterschied zu allen anderen ostdeutschen Landesverbänden außer der schwachen Mitgliederzahl noch ein weiteres Handicap: Sie regiert nicht mit. Wie die Bundespartei musste auch der Landesverband gerade den Wechsel der Union zu Wunschpartner FDP verkraften.
Dazu kommt, dass die SPD ausgerechnet in Sachsen, wo sie im Mai 1863 als Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein von Ferdinand Lasalle gegründet worden war, bei Wahlen besonders schlecht abschneidet: 2004 gab es mit 9,8 Prozent das bisher einzige einstellige SPD-Ergebnis bei Landtagswahlen in der Geschichte der Bundesrepublik - und am 30. August folgte mit 10,4 Prozent das zweitschlechteste. Am 27. September waren es mit 14,6 Prozent für die SPD so wenig wie noch nie bei einer Bundestagswahl in Sachsen.
Noch vor der Bundespartei hatte auch Sachsens SPD auf die eigene Wahlpleite mit der Kür eines neuen Parteichefs reagiert. Vor drei Wochen wurde der 35-jährige Dulig auf einem unter dem Motto «Wegen Umbau geöffnet» stehenden Landesparteitag gewählt. Für diesen Slogan gibt es nun sogar ein ausdrückliches Lob von Gabriel. Die Politik dürfe nicht immer so tun, als ob sie fertige Antworten hätten, Sachsen sei im Übrigen «wichtiger Bestandteil der Sozialdemokratie». Und auch Dulig zeigt sich optimistisch: Unter Verweis auf die desaströsen Wahlergebnisse sagt er, damit habe die SPD in Sachsen «ihr höchstes Wachstumspotenzial».
Juliane Pfeil hat seit April Wahlkampf für die SPD in Sachsen gemacht. Zur Stadtratswahl in Plauen bekam der bekannteste Linke-Politiker «achtmal so viele Stimmen wie unser bester Kandidat». Für die Linke sitzt seit 2005 auch das vorherige SPD-Mitglied und die örtliche DGB-Chefin Sabine Zimmermann im Bundestag - dabei waren gerade Gewerkschafter jahrzehntelang klassische SPD-Klientel.
Juliane Pfeil nennt die «Reaktivierung» der SPD-Mitglieder und ihre «Vernetzung» in die Gesellschaft das Hauptproblem ihrer Partei. Die Jusos im Vogtland seien vor acht Jahren aus dem Freundeskreis einer einzigen Schule entstanden. Sie war damals noch nicht dabei, wohl aber ihr Bruder. Nun will sie stellvertretende Juso-Landeschefin werden.
Von ddp-Korrespondent Tino Moritz
ddp/tmo/pon
151222 Nov 09