Süddeutsche Zeitung, 15.01.2010
CDU und Konservatismus - Merkels schwarze Seele
Nur eine Minderheit verlangt von der Kanzlerin eine konservative Haltung. Viele wünschen sich überhaupt eine Haltung. Deren Absenz ist Kern der Irritationen in der CDU. Ein Kommentar von Heribert Prantl.
Stellen wir uns einen Leitartikel lang vor, dass nicht mehr Angela Merkel an der Spitze der CDU steht. Stellen wir uns vor, die CDU-Vorsitzende sei abgelöst worden von Joachim Kardinal Meisner, dem Erzbischof von Köln.
Meisner klagt gern über die Verworfenheit von Zeit und Welt, er kritisiert den rechtlichen Schutz der Homosexuellen, er protestiert gegen die eingetragenen Lebenspartnerschaften. Ihm ist alles suspekt, was dem "natürlichen Sittengesetz" widerspricht.
Die Familienpolitik der Bundesregierung bezeichnet er als "Scheckbuchpolitik", multireligiöse Feiern an Schulen hat er verboten. In einer Dreikönigspredigt hat er Parallelen hergestellt zwischen dem Schwangerschaftsabbruch und dem Holocaust. Und auch bei der Beurteilung von Kunst ist Meisner rigoros. Wenn Kultur von Gottesverehrung abgekoppelt wird, sagt er, "verliert sie ihre Mitte" und sei "entartet".
Mehr Meisner, weniger Merkel? Kein Mensch würde dann noch behaupten können, die CDU wäre zu wenig konservativ. Die CDU würde allerdings dann, wie der Politologe, frühere RCDS-Vorsitzende und Merkel-Biograph Gerd Langguth meint, an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Das mag ein wenig übertrieben sein. Als eine Art "Partei bibeltreuer Christen" wäre die CDU aber gewiss nicht mehr Volkspartei. Sie wäre auch dann nicht mehr lange Volkspartei, wenn sie sich betont national-konservativ gebärden würde, wenn sie also einen wie Thilo Sarrazin zu ihrem neuen Dregger-Lummer-Kanther machen und mit anzüglichen Sprüchen gegen die Neubürger im Land agitieren würde.
Die CDU war nie eine rein nationalkonservative Partei, sie war nie eine rein klerikale Partei und sie war nie eine rein wirtschaftsliberale Partei. Sie war immer, mit wechselnden Schattierungen und Schwerpunkten, eine multipolitische Partei.
Die CDU hat in den fünfziger und sechziger Jahren einen großen Teil des Bürgertums zur Demokratie geführt und dort gehalten. Zum ersten Mal in der deutschen Parteiengeschichte existierte in Deutschland eine politische Bewegung, die konservativ-nationale, christlich-soziale und bürgerlich-liberale Elemente in einer großen Volkspartei vereinte.
Natürlich gab es viele Jahre, in denen die Union viel ideologischer war als heute. Es war die Zeit, in der ein Franz Josef Strauß Wahlkampf machte mit dem Motto "Freiheit statt Sozialismus".
Das ist 33 Jahre her. Die Welt hat sich verändert und die Gesellschaft hat sich verändert. Die Mitte der Gesellschaft ist viel größer geworden, die Gesellschaft ist viel weniger ideologisch geprägt als damals, sie hat sich liberalisiert, auch der Kleinbürger ist liberaler geworden; die gewandelte Einstellung zur Homosexualität ist nur ein Beispiel von vielen.
Konservativ heißt: die CDU als Volkspartei erhalten
Eine Re-Ideologisierung der CDU nach dem Muster der Strauß-Jahre wäre eine Narretei. Angela Merkel definiert daher "konservativ" für sich und die CDU ganz simpel: Konservativ kommt vom lateinischen "conservare", erhalten; und ihr geht es daher darum, angesichts schwindender Bindungen der Menschen an Kirchen, Gewerkschaften, Ideologien, Bekenntnisse, Parteien und Lager die CDU als Volkspartei und sich selber die Macht zu erhalten.
Das ist ihr bisher geglückt. Sie hat die CDU für die jungen urbanen Schichten des Bürgertums zu öffnen versucht, sie hat die Familien- und Frauenpolitik neu justiert, sie hat hier fortgesetzt, was Helmut Kohl in seinen frühen Kanzlerjahren mit Heiner Geißler als Generalsekretär begonnen hat.
Ihre Politik ist also durchaus "schwarz". In der älteren Heraldik wird diese Symbolfarbe der CDU als "kohlschwarz" bezeichnet.
Weniger Konservativismus wagen: Merkel hat die Modernisierung der CDU ohne großes Trara betrieben, ohne einen programmatischen Über- oder Unterbau.
Wenn ihr Bekenntnisse, manche nennen es auch Machtworte, abverlangt werden, dann entwickelt sie eine Devise von Konrad Adenauer fort. "Einfach reden ist eine Gabe Gottes", hat der CDU-Ahnherr gesagt. Und: Einfach reden und einfach denken sei eine doppelte Gabe Gottes.
Schweigen reicht manchmal nicht
Angela Merkel hat dem noch eine dritte Gabe angefügt: "einfach Schweigen". Einmal freilich hat sie nicht geschwiegen: Das war vor gut zehn Jahren, als sie anlässlich des CDU-Parteispendenskandals ein hartes, aber gerechtes Urteil über die Rechtsverachtung von Helmut Kohl sprach.
In der Stunde der größten Not der Partei hat sie klargemacht, was konservativ auch bedeutet: Die Achtung des Rechts. Recht darf nicht mit Mauscheleien weggeräumt werden, auch nicht von einem Altkanzler und Ehrenvorsitzenden. Angela Merkel hat damals auf ihre Weise die CDU als Partei bewahrt und erhalten. Sie war also in wohlverstandenem Sinn - konservativ.
Solche beredte Klugheit wünscht man der Kanzlerin heute beim Umgang mit existentiellen Problemen. Es gibt einige, die man mit dem Motto "einfach schweigen" nicht löst: den Afghanistan-Einsatz, die notwendigen legislativen Konsequenzen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise, die Zukunft der Atomenergie.
Nur eine sehr kleine Minderheit verlangt von Merkel konservative Haltung. Viele wünschen sich überhaupt eine Haltung: eine Aussage, an die man sich halten kann. Deren Absenz ist Kern der Irritationen in der CDU.
(SZ vom 15.01.2010/dmo/odg)