Karl Nolle, MdL

spiegel-online.de, 15:50 Uhr, 02.02.2010

Finanzkrise: BGH-Richter hält mehr Ermittlungen für vorstellbar

"Es gibt Indizien, dass den Handelnden das Risiko gleichgültig war"
 
Für die Verantwortlichen der Finanzkrise wird es eng, Gerichte wollen die Vorgänge juristisch aufarbeiten. "Es gibt Indizien, dass den Handelnden das Risiko gleichgültig war", sagt BGH-Richter Thomas Fischer im SPIEGEL-ONLINE-Interview.

SPIEGEL ONLINE: Herr Fischer, derzeit wird in Deutschland wegen der Finanzkrise gegen Bankenvorstände strafrechtlich ermittelt, gegen andere aber nicht. Wird zu viel oder zu wenig getan?

Fischer: Die Finanzkrise hat prinzipiell auch strafrechtliche Relevanz. Ohne damit die Fälle im einzelnen beurteilen zu wollen, könnte ich mir vorstellen, dass es sogar noch weit mehr Anlässe gäbe, strafrechtlich zu ermitteln, als dies im Moment geschieht.

SPIEGEL ONLINE: Bei der Finanzmarktkrise hat vor allem das System versagt - kann man dafür überhaupt einzelne Personen verantwortlich machen?

Fischer: Natürlich, handelnde Personen waren ja Teil dieses Systems. Prinzipiell kommen verschiedene Straftaten in Betracht: Betrug gegenüber den Anlegern und Untreue entweder gegenüber dem eigenen Unternehmen, oder, bei Fremdgeschäften, gegenüber dem verwalteten Vermögen. Im Fall von Untreue kann es allerdings Unterschiede geben, je nachdem, ob man einen Bankberater, einen Vorstand oder ein Aufsichtsratsmitglied in den Blick nimmt. Das muss in jedem Einzelfall geklärt werden.

SPIEGEL ONLINE: Welche Pflichten könnten denn verletzt worden sein?

Fischer: Ganz allgemein sind Bankvorstände, aber auch Mitglieder eines Aufsichts- oder Verwaltungsrats, zu sorgfältigem und gewissenhaftem Handeln verpflichtet. Dagegen könnten sie in den vorliegenden Fällen etwa dadurch verstoßen haben, dass sie ein sogenanntes "Klumpenrisiko" gebildet haben, also zu viele Anlagen aus demselben Risikobereich hatten, dass sie kein ausreichendes Risikomanagement hatten, dass sie also die Spekulationsrisiken - vor allem das drohende Platzen der Spekulationsblase - nicht im Blick und sich zu sehr auf die Wertungen der Rating-Agenturen verlassen hatten; und auch das kurzfristige Gegenfinanzieren langfristiger Engagements könnte bereits ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht gewesen sein. Und wenn Schutzvorschriften nicht eingehalten wurden, ist auch das ein Indiz für eine Pflichtverletzung.

SPIEGEL ONLINE: Untreue setzt aber Vorsatz voraus. In Düsseldorf etwa wurde gegen den Vorstand der Mittelstandsbank IKB jetzt zwar wegen Börsenmanipulation und kleinerer Untreue-Fälle Anklage erhoben. Das Ermittlungsverfahren aber, in dem es um den eigentlichen Vorwurf der Fehlspekulationen mit US-Hypothekenpapieren gegangen wäre, wurde schon eingestellt, weil man der Ansicht war, Untreue-Vorsatz sei hier nicht nachzuweisen, die Verantwortlichen hätten allenfalls fahrlässig gehandelt.

Fischer: Ohne dass ich diesen konkreten Fall beurteilen will, gilt allgemein, dass bedingter Vorsatz ausreicht, dass also ein Manager die Umstände kennt, die seine Pflichtverletzung und die daraus entstehende Vermögensgefährdung begründen, und dass er dies billigend in Kauf nimmt, also bereit ist, die drohenden Folgen hinzunehmen.

SPIEGEL ONLINE: Nun wird von Strafverteidigern, aber auch aus der Rechtswissenschaft eingewendet, man könne nicht einfach so unterstellen, dass ein Bankvorstand durch den Umgang mit modernen Finanzinstrumenten den Ruin seines Hauses in Kauf nimmt.

Fischer: Das kommt darauf an. Ein Bankberater oder auch ein Vorstand wird jedenfalls kaum behaupten können, er habe ernsthaft geglaubt, das könne gar nicht scheitern. Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Geschäfte gut gehen können, aber nicht müssen. Es kommt also im Einzelfall darauf an, die Einstellung der Betroffenen zu diesem - objektiv extrem hohen - Risiko festzustellen. Es scheint eine Reihe von Indizien zu geben, die dafür sprechen könnten, dass es den Handelnden gleichgültig gewesen sein könnte, ob sich das Risiko verwirklicht. Zu diesen Indizien kann insbesondere der Umstand gehören, dass Berater und Manager selbst keinerlei Risiko trugen, sondern im Gegenteil aus Eigeninteresse, etwa an Bonus- oder Provisionszahlungen, zu besonders hohen Risiken für das betreute Vermögen tendierten.

SPIEGEL ONLINE: Vertreter einer zurückhaltenderen Linie berufen sich auch auf Urteile, die aus Ihrer eigenen Feder stammen. Unter anderem im Fall des ehemaligen Vorsitzenden der Hessen-CDU, Manfred Kanther, haben Sie und Ihre Senatskollegen einen strafbaren Vorsatz ausgeschlossen, wenn der Täter zwar für möglich hält, aber "gerade vermeiden will", dass es zu einem endgültigen Vermögensnachteil kommt.

Fischer: Das ist richtig, und daran ist auch weiter festzuhalten. In bestimmten Fällen kann es sein, dass auch bei Kenntnis der Gefahrenlage ein bedingter Vorsatz ausgeschlossen ist, wenn die Realisierung des Vermögensschadens das Letzte ist, was derjenige will. In den Fällen der Finanzspekulation, die nun zur Finanzmarktkrise geführt haben, wird man aber eine völlig andere Konstellation sehen müssen. Das weist doch eher eine Nähe zum Zockerunwesen auf: Man kann ja nicht ein Vielfaches seines Eigenkapitals bei nicht durchschaubaren Risikogeschäften einsetzen, alles verlieren, und nachher sagen: "Wir waren gutgläubig und haben es für völlig ausgeschlossen gehalten, dass sich das Risiko, das wir nicht verstanden haben, verwirklicht." Ich sehe deshalb bei den Spekulationsgeschäften im Rahmen der Finanzkrise eher keinen Anwendungsfall für die Kanther-Rechtsprechung.

SPIEGEL ONLINE: Und durften sich die Banken nicht auf die Bewertungen der Rating-Agenturen verlassen, die diese Papiere als höchst verlässlich eingestuft hatten?

Fischer: Zu sagen, man habe sich quasi "blind" auf die Rating-Agenturen verlassen, ist ein törichtes Argument, wenn gerade diese Bewertungen Teil der Risikoverschleierung waren. Diese Bewertungen gehörten ja zum Spiel, als Methode, schlechte Bewertungen in gute umzuwandeln, indem man die Risiken unsichtbar macht.

"Wer ein Geschäft nicht versteht, darf es nicht machen"

SPIEGEL ONLINE: Kann man überhaupt einzelnen Banken und ihren Vorständen einen Vorwurf machen, wenn doch alle die Geschäfte mit den Hypothekenderivaten gemacht haben?

Fischer: Zu sagen, das haben alle so gemacht, ist keine sinnvolle Entlastung. Zum einen stimmt das so nicht einmal. Zum anderen kommt es eben auch darauf an, wie man das macht, ob man wirksame Vorsorge betreibt, es mit der Anhäufung der Risiken nicht übertreibt, so dass man auch rechtzeitig wieder aussteigen kann, und nicht immer noch mehr dieser Papiere hortet, wenn die Märkte schon bröckeln.

SPIEGEL ONLINE: Und was ist, wenn die Verantwortlichen die Komplexität dieser Finanzinstrumente einfach nicht durchschaut haben, wie es immer wieder heißt?

Fischer: Jemand, der in der Investmentabteilung einer Bank arbeitet, kann sich meines Ermessens kaum darauf berufen, er habe nicht verstanden, was er tut. Im Übrigen ist dieses Argument ein Eigentor: Wenn er es nicht verstanden hat, hätte er es erst recht nicht machen dürfen.

SPIEGEL ONLINE: Jahrelang sind die Geschäfte mit diesen Papieren aber gut gegangen und haben enorme Gewinne beschert. Kann es da nicht auch erlaubt sein, dafür eben auch mal ein größeres Risiko einzugehen?

Fischer: Natürlich darf eine Bank bei Eigenschäften prinzipiell auch Risiken eingehen - da gelten dann aber die erwähnten Pflichten. Dabei ist auch denkbar, dass der Geschäftsherr, also bei einem privaten Bankhaus die Eigentümerfamilie oder bei einer Aktiengesellschaft der Vorstand, diesen Risikogeschäften zustimmt, und damit sogar gewisse Pflichtverstöße, die damit verbunden sind - etwa die Bildung von Klumpenrisiken - genehmigt. Eine solche Genehmigung ist aber ausgeschlossen in Fällen, wo die Existenz des Unternehmens auf dem Spiel steht. Wenn in Kenntnis des Risikos, das existenzbedrohende Ausmaße annehmen kann, auf die notwendigen Sicherungsmaßnahmen bewusst verzichtet worden ist, dann kann der Vorstand solchen Geschäften nicht zustimmen, und der Aufsichtsrat darf das nicht abnicken. Und bei Fremdgeschäften kommt es im Einzelfall darauf an, über welches Risiko der Anleger informiert war und welche Risiken er genehmigt oder angeordnet hat. Es steht jedermann frei, sein eigenes Geld spekulativ einzusetzen. Voraussetzung für eine wirksame Genehmigung ist aber natürlich, dass der Betroffene überhaupt zutreffend und umfassend informiert ist. Die Anlageempfehlung 'Es ist bisher immer gut gegangen' scheint mir da wenig geeignet, vor allem wenn sie nun nachträglich damit erklärt wird, man habe gar nicht verstehen können, was man da empfahl.

SPIEGEL ONLINE: Der 1. Strafsenat hat einmal geurteilt, dass in bestimmten Fällen nur eine "gravierende" Pflichtverletzung zu Untreue führt - könnte das auch hier gelten?

Fischer: Wenn es um existenzgefährdende Risiken geht, sind entsprechende Pflichtverletzungen selbstverständlich schwerwiegend. Das gilt gerade bei Spekulationen, die ein Vielfaches des Stammkapitals ausmachen, wenn also so große Räder gedreht werden, dass ein einziger Fehler zum Totalschaden führen kann.

SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie denn, dass es auch zu Anklagen und Verurteilungen kommen könnte?

Fischer: Ich kann da dem Ergebnis der Ermittlungen nicht vorgreifen. So viel aber ist sicher: Gegen Bankmitarbeiter und -vorstände wurde schon wegen Dingen, die im Vergleich zu diesen Schäden geradezu Lappalien darstellen, konsequent und mit kriminalistischer Akribie vorgegangen. Daran muss sich, schon um Wiederholungen zu vermeiden, die strafrechtliche Aufarbeitung auch hier messen lassen. Nicht jeder Schaden deutet gleich auf eine kriminelle Tat hin. Aber andererseits dürfen bedingt vorsätzliche Veruntreuungen von Hunderten von Milliarden Euro nicht vorschnell zu einer Art schicksalhafter Naturkatastrophe umgedeutet werden.

Das Interview führte Dietmar Hipp

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: