Sächsische Zeitung, 04.02.2010
Wem nützt die Spaltung der deutschen Linken?
Von Christoph Meyer,
Spannung und Misstrauen haben in der deutschen Linken eine jahrzehntelange Tradition. Warum es so schwer ist, sich die Hand zu reichen, beschreibt der Dresdner Historiker Christoph Meyer.
Lafontaine tritt ab, Gysi will nicht mehr führen. Langweilig erscheint das neue Personaltableau an der Spitze der Linkspartei. In der Opposition ist die im Westen ungleich stärkere SPD eine gefährliche Konkurrenz, und inhaltlich sonderlich festgefügt ist die Basis der „Linken“ nicht. Im Osten eine Rentnerpartei, im Westen ein bunter Haufen. Die Umfrageergebnisse dort nähern sich im Sinkflug der Fünf-Prozent-Hürde, der Zenit der Linkspartei scheint überschritten.
Historische Gründe
Soll die SPD abwarten, bis sich das Problem der Konkurrenz im eigenen Lager von allein erledigt? Vielleicht. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger, und insbesondere in Ostdeutschland hat die „Linke“ eine starke Stellung in Kommunal- und Landesparlamenten. Eine andere Frage ist: Soll die SPD die „Linke“ links liegen lassen?
Die historischen Gründe für die Spaltung der Sozialdemokratie waren kurz gefasst der Streit um die Haltung zum Ersten Weltkrieg, zur Diktatur in der Sowjetunion und der Aufbau einer kommunistischen Diktatur nach russischem Vorbild in der DDR.
Die Staatspartei SED wendete sich 1989/90 schnell zur PDS, doch die neu gegründete SPD in den neuen Bundesländern verweigerte den Altkommunisten die Zusammenarbeit. Mit Recht, denn welcher Revolutionär verhilft schon den Vertretern des ancien régime freiwillig wieder in den Sattel? Die politische Konkurrenz war da weniger zimperlich. CDU und FDP übernahmen Inventar und Mitglieder der SED-Blockparteien, womit sie sich einen wesentlichen organisatorischen Vorsprung gegenüber der SPD sicherten.
Vor allem der Streit um die Reformagenda der Regierung Schröder fügte der Spaltung dann ein neues Moment hinzu, nämlich die Gründung der WASG mit Schwerpunkt in Westdeutschland, welche sich mit der PDS zur Partei „Die Linke“ vereinigte – PDS/ML, also „mit Lafontaine“, wie die Grünen und Franz Müntefering spotteten. Nun ist aber die SPD im Bund in der Opposition, und in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise wandelt sich die Diskussion um zukunftssichere Sozialsysteme. Heute geht es um die Frage, wie entfesselten Finanzmärkten im Interesse der breiten Mehrheit Einhalt geboten werden kann – und wie es gelingen kann, soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Teilhabe zu stärken.
Will sagen: Die historischen Gründe zur Spaltung der Sozialdemokratie haben sich im Wesentlichen erledigt. Der Kommunismus ist untergegangen, und niemand redet mehr ernsthaft von einer staatssozialistischen Systemalternative. Die SPD war nach 1945 in der Lage, Ex-Kommunisten wie Ernst Reuter, Herbert Wehner und Richard Löwenthal, Linkssozialisten wie Willy Brandt aufzunehmen. Mehr als zwanzig Jahre nach 1989 wird es einer solchen Partei möglich sein, ehemalige SED-Mitglieder zu integrieren, die ehrlich die Geschichte aufarbeiten und sich klar auf den Boden des Grundgesetzes stellen.
Konservative freuen sich
Wem also nützt die Aufrechterhaltung der Spaltung? Zum einen sind da die Konservativen. Sie können bei jeder sich bietenden Gelegenheit Mediendebatten über Koalitionen anzetteln, vor rot-roten Schreckgespenstern warnen. Dabei zeigen sie mit dem Finger auf die SPD, welche dann wiederum in Erklärungs- und Rechtfertigungsnot gerät. So treibt die Angst vor den „roten Socken“ die Wähler in die Arme der vermeintlich Sicherheit garantierenden CDU. Und nebenbei, wenn doch mal eine „Große Koalition“ ansteht, dann garantiert die Existenz der Linkspartei, die eben vor allem der SPD Stimmen wegnimmt, in den meisten Fällen das Übergewicht der Union.
Die zweite Gruppe, der die Spaltung nützt, sind die linken Sektierer und Ewiggestrigen, diejenigen alten SED-Mitglieder, die sich im Grunde genommen nach der DDR mit ihren Privilegien für die Kader zurücksehnen. Sie nutzen die Mitgliedschaft bei der „Linken“ zur Selbstdarstellung. Letztlich wollen sie leninistischen und antiparlamentarischen Auffassungen den Anschein von Salonfähigkeit verschaffen und zwar auf Kosten der Durchsetzungsfähigkeit sozialdemokratischer Politik.
Für die Aufrechterhaltung der Spaltung spräche in der Sozialdemokratie selbst: Der Wunsch, sich mit all den „Verrückten“ nicht auseinandersetzen zu müssen und die Erwartung, dass die Klein- und Splitterparteien in der alten Bundesrepublik in den Sog der großen Volksparteien geraten – wie damals in den 1950er-Jahren. Doch der Trend ist heute gegenläufig. Das spricht eher dafür, dass die Volkspartei SPD bewusst gegensteuern sollte.
Übrigens: Es ist ganz richtig, vernünftigen Linken wie Dietmar Bartsch das Angebot zu machen, in die SPD einzutreten. Weniger sinnvoll sind Flügelspielereien über die Parteigrenze hinweg – wie die „Denkfabrik“ von Andrea Ypsilanti. Das sind Minderheitenprojekte. Besser wäre doch ein organisierter Übergang der Sozialdemokraten innerhalb der Linkspartei in die SPD. Und damit verbunden am besten gleich der Übergang der gesamten Parteiorganisation mit Ausnahme der Unverbesserlichen. Das bedeutet natürlich: Die Linkspartei muss bei sich die Voraussetzungen dafür schaffen, und die SPD muss es dann wollen.
Die Voraussetzungen: Erstens eine ehrliche Aufarbeitung der diktatorischen, undemokratischen Vergangenheit. Und eine klare inhaltliche Positionierung für die von Willy Brandt und Herbert Wehner maßgeblich vorangebrachten Grundsatzentscheidungen der deutschen Sozialdemokratie von 1959/60. Nämlich, zweitens: Die verlässliche Mitarbeit der Bundesrepublik in Nato und Europäischer Union mit dem Ziel der dauerhaften Sicherung des Friedens und der internationalen Zusammenarbeit. Drittens: Einigkeit darüber, dass Sozialismus nicht als Systemalternative zu verstehen ist, sondern dass der Ausbau von Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie hin zur gesellschaftlichen Gleichberechtigung aller eine bleibende Aufgabe ist. Schließlich viertens das Verständnis der SPD als Volkspartei, die unabhängig von Weltanschauungen die Interessen breiter Bevölkerungsschichten vertritt, nicht ausschließlich aber darin eingeschlossen die Arbeitnehmer mit ihren Organisationen.
Versöhnung ist jedoch keine Einbahnstraße. Ein gemeinsamer Verständigungsprozess wird dazu notwendig sein. Wie dieser im Einzelnen vonstatten geht, kann ich nicht sagen, dafür gilt allerdings, anders als bei Ulbricht 1945: Es muss nicht nur demokratisch aussehen, es muss auch alles demokratisch sein.
Denkanstöße geben
Der Schlusssatz des Godesberger Programms von 1959 muss wieder seine Gültigkeit erhalten: „Auf deutschem Boden sammeln sich die Sozialisten in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die jeden in ihren Reihen willkommen heißt, der sich zu den Grundwerten und Grundforderungen des demokratischen Sozialismus bekennt.“
Was ich hier schreibe, ist das Gedankenspiel eines Einzelnen. Vielleicht ärgert es manche Menschen, überfordert andere, auch aufgrund der Beharrungskraft des Bestehenden. Aber, so wird der Sachse Herbert Wehner zitiert: „Wer Anstöße geben will, muss auch bereit sein, anstößig zu wirken.“