sueddeutsche.de, 26.02.2010
Westerwelle auf Schmusekurs "In Liebe, Ihr Guido"
"Es bleibt immer etwas hängen": Vor der Bundespressekonferenz begegnet Vizekanzler Westerwelle seinen schärfsten Kritikern. Über den missglückten Versuch der Sympathiewerbung.
Liebe ist ein großes Wort. Manche scheuen sich ein Leben lang davor, es in den Mund zu nehmen. Nicht so Guido Westerwelle. "Mit Dank für Ihr Interesse", schreibt er nach seinem Auftritt vor der Bundespressekonferenz an diesem Freitag auf eine Pressemitteilung, die er einer Journalistin übergeben lässt. Und "In Liebe, Ihr Guido Westerwelle". "In Liebe", setzte er in Anführungszeichen, immerhin.
Vorangegangen war der Wunsch einer Kollegin von der Berliner Zeitung, er möge doch bitte noch einmal vorlesen, was er Mitte Februar in der Welt über Hartz IV, "anstrengungslosen Wohlstand" und "spätrömische Dekadenz" geschrieben habe. Zum besseren Verständnis halt. Westerwelle hatte nämlich zuvor mehrfach darauf hingewiesen, dass wer richtig gelesen habe, gar nicht auf die Idee kommen könne, er habe Böses im Schilde geführt.
Der Bitte zur Rezitation aber wollte er nicht nachkommen. Er könne ihr nicht abnehmen, selber zu lesen. "Wenn Sie lesen und hören, was ich gesagt habe, dann kommen Sie zum Schluss, dass die Debatte angestoßen werden musste", erklärt er. Aber er gebe ihr "den Zettel gern und schreibe 'In Liebe, Guido' darauf".
Alles also nur ein Missverständnis? Alles aus dem Zusammenhang gerissen? Hier dazu mal das vollständige Zitat, damit nicht wieder etwas untergeht:
"Wer kellnert, verheiratet ist und zwei Kinder hat, bekommt im Schnitt 109 Euro weniger im Monat, als wenn er oder sie Hartz IV bezöge. Diese Leichtfertigkeit im Umgang mit dem Leistungsgedanken besorgt mich zutiefst. Die Missachtung der Mitte hat System, und sie ist brandgefährlich. Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein. An einem solchen Denken kann Deutschland scheitern. In vielen aufstrebenden Gesellschaften andernorts auf der Welt wird hart gearbeitet, damit die Kinder es einmal besser haben."
Vielleicht sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die angesprochene Kellnerin zwar tatsächlich ein Arbeitseinkommen unterhalb von Hartz IV haben kann. Da aber Hartz IV eine Mindestsicherung darstellt, würde ihr Einkommen auf Hartz-IV-Niveau angehoben werden. Höhere Hartz-IV-Sätze kämen also auch ihr zugute. Aber das meint Westerwelle ja nicht.
Westerwelle wird gefragt, ob er nachvollziehen könne, wenn ihm Rechtspopulismus oder Demagogie vorgeworfen werde. Seine Antwort: Es sei immer so, wenn der politische Gegner feststelle, dass eine Mehrheit der Menschen hinter einem stünde, dass man dann in die rechte Ecke gestellt werde. Er werde das "nicht akzeptieren". Wie seine "Man wird ja noch sagen dürfen"-Sätze, oder der Verweis auf die angeblich "schweigende Mehrheit" ist auch dieses rhetorische Instrument dem Baukasten der Demagogie entnommen. Westerwelle beherrscht das Instrumentarium eben perfekt.
Kritische Fragen von Journalisten nach dem Krisentreffen von Kanzlerin Angela Merkel, Westerwelle und CSU-Chef Horst Seehofer in dieser Woche im Kanzleramt wischt Westerwelle beiseite mit dem wenig glaubwürdigen Hinweis, sein Verhältnis zur Bundeskanzlerin sei "sehr gut". Bei dem Satz müssen einige Journalisten hörbar hüsteln.
Außerdem müssten die Journalisten ja "Krisentreffen" schreiben, weil sie sonst keinen Platz in ihren Zeitungen für die Geschichte bekämen. Westerwelle kennt sich eben aus. Um noch etwas Heiterkeit in den Saal zu bringen, erzählt er freimütig, es habe neben alkoholfreiem Bier auch Saft, Wasser und Käse gegeben. Er habe Wasser getrunken. Die Heiterkeit bleibt diesmal aus.
Noch schlimmer als die Berichterstattung über diverse "Krisentreffen" dürfte es für Westerwelle sein, wenn gar nicht über ihn berichtet würde. Dass ein Außenminister nach einer Mandatsverlängerung für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr im Bundestag die große Bühne der Bundespressekonferenz nutzt, ist eher ungewöhnlich.
Aber das ist jetzt natürlich eine bedeutungsvolle Mandatsverlängerung. Als er darüber spricht, schließt Guido Westerwelle nach jedem Wort, jedem Halbsatz den Mund, presst die Lippen zusammen, deutet ein Nicken an und schaut mit vorgerecktem Kinn in die Runde. Erst nach dieser kurzen Pause ist er bereit für das nächste Wort, den nächsten Halbsatz.
Schmallippige Reaktion? Nur einmal.
Andere setzen solche Kunstpausen ein, um einzelnen Wörtern eine gewisse Bedeutungsschwere zu geben. Bei Guido Westerwelle aber ist bekanntlich jedes Wort, jeder Halbsatz von Bedeutung. In seinem Leben gibt es nichts, was ohne Bedeutung wäre.
Die Wörter "ich" und "hartes Stück Arbeit" fallen häufig. Nicht unerwähnt lässt er auch, mit welch wichtigen Persönlichkeiten er sich so alles getroffen hat. Soll ja keiner glauben, er würde auf der faulen Haut liegen. Nicht schnöder Außenminister, Weltstaatsmann ist Westerwelle in diesen Sekunden. Als habe er alleine die Afghanistan-Konferenz in London zum Erfolg geführt. Er habe ja dort die "Gespräche geführt". Und es "ist schon keine Kleinigkeit, dass man 70 Staaten auf eine gemeinsame Strategie vereinigen kann".
Kritik perlt an Westerwelle ab wie Wasser an der Teflonpfanne. Nur einmal reagiert er schmallippig, als er darauf angesprochen wird, wie er seine mit Vorträgen leicht verdienten horrenden Nebeneinkünfte in seiner Zeit als Fraktionschef der FDP im Bundestag von mindestens 250.000 Euro mit seinem Anspruch an Leistungsgerechtigkeit vereinbaren könne. Vielleicht wolle er bei der Gelegenheit auch sagen, wie viel genau er mit seinen Nebentätigkeiten verdient und wie viel von dem Geld er behalten habe.
"Semper aliquid haeret"
Westerwelle fokussiert sich auf den Fragesteller und gibt zur Antwort, er habe sich immer an die Regeln des Deutschen Bundestages gehalten, sämtliche nebenberuflichen Tätigkeiten seien unverzüglich dem Bundestagspräsidenten angezeigt worden. Er habe sich in vollem Umfang an Recht und Gesetz gehalten. Nun, das hat auch niemand bestritten. Es ging ja um die genaue Höhe der Einnahmen.
Er sehe da keinen weiteren Klärungsbedarf. Er wolle nur verhindern, dass mit ihm nach dem Motto verfahren werde, es bleibe immer etwas hängen. Oder, "um es im Römischen auszusprechen: Semper aliquid haeret".
Das ist zwar Latein und der Urheber des Satzes ist auch kein Römer, sondern der griechische Philosoph Plutarch, aber die Übersetzung stimmt: "Es bleibt immer etwas hängen." Darüber könnte Westerwelle mal nachdenken.
Von Thorsten Denkler, Berlin