LVZ/DNN, 29.03.2010
Liberaler Wirklichkeitsverlust
Kommentar von Jürgen Kochinke
Holger Zastrow hat sich mit seinem Brachial-Auftritt von Chemnitz keinen Gefallen getan. Zwar hat der FDP-Chef nach innen Wirkung erzielt, hat die verunsicherten Truppen noch mal hinter sich versammelt. Doch der Preis ist hoch. Mit seiner bizarren Mischung aus Populismus und Verdrehung hat er sich und seiner FDP den Blick auf die Tatsachen verbaut; statt einer Bestandsaufnahme der ersten 180 Regierungstage hat er ein Schwarz-Weiß-Bild gezeichnet - jenseits jeglicher Selbstkritik.
Dahinter steht eine erschreckend banale, vordemokratische Weltsicht. Zastrow geriert sich wie ein Sektenführer, aber nicht wie der Chef einer offenen, zumal liberalen Partei. War sich die FDP-Riege früher nicht zu schade, mit Hilfe der Medien auf den politischen Gegner einzudreschen, sieht sich Zastrow von Feinden umstellt. Jetzt, wo er im Fokus der Kritik steht, zieht er sich schmollend in die Ecke zurück und schiebt den schwarzen Peter weiter. Schuld sind dabei die anderen: die Opposition, die Besitzstandswahrer und die Medien natürlich -- so, als gäbe es einen großen Meinungslenker, der beschlossen habe, der FDP Böses zu wollen.
Verschwörungstheorien dieser Art sind das Gegenteil von Souveränität: Schwäche, gepaart mit Wirklichkeitsverlust. Das gilt umso mehr, als Zastrow auch programmatisch wenig zu bieten hat. Außer seiner Staatsreform, von der keiner weiß, wie sie endet, erging er sich in Nörgelei an überteuerten Ampelanlagen und Parkbuchten. Der FDP-Chef ist zu schnell zu hoch geflogen. Irgendwann wird er dies einsehen - oder scheitern.
kochinke@lvz.de