Berliner Zeitung, 20.04.2010
Ermittlung nach Wunsch
In Dresden stehen zwei Journalisten in der Affäre um den "Sachsen-Sumpf" vor Gericht
Um viel oder sogar übertriebenen Eifer geht es in einem derzeit vor dem Dresdner Amtsgericht laufenden Medienprozess. Der Richter muss klären, ob zwei Leipziger Journalisten bei ihren Recherchen über das Ziel hinausgeschossen sind und ihre Sorgfaltspflicht verletzt haben. Es steht aber auch die Frage im Raum, ob nicht die Staatsanwaltschaft selbst ein wenig zu eifrig war bei der Verfolgung der Angeklagten.
In dem Verfahren in Dresden wird den freien Journalisten Arndt Ginzel und Thomas Datt üble Nachrede und Verleumdung zur Last gelegt. Zwei Ex-Richter und der Leipziger Polizeipräsident fühlen sich von ihnen ins falsche Licht gerückt. Es geht in dem Fall um Artikel über jene kriminellen Netzwerke im Freistaat, über die der sächsische Verfassungsschutz Tausende von Seiten starke Dossiers angelegt hatte. Als die Existenz dieser Dossiers vor drei Jahren bekannt wurde, beherrschte der "Sachsen-Sumpf" über Monate hinweg bundesweit die Schlagzeilen.
Die sächsische Justiz ging seitdem ungewöhnlich rigide gegen Journalisten vor, die im "Sachsen-Sumpf" recherchiert hatten. Insgesamt leitete sie gegen mindestens 17 Redakteure Verfahren ein, es ging um Beleidigung, üble Nachrede und Anstiftung zur Verletzung von Dienstgeheimnissen. Journalistenvertreter sprachen von dem Versuch der Einschüchterung, zumal die meisten Verfahren nach einer gewissen Zeit eingestellt wurden.
Das Verfahren gegen Ginzel und Datt gehört jedoch nicht dazu. Sie hatten 2008 als Mitautoren in einem Artikel im Spiegel über das Leipziger Bordell "Jasmin" berichtet, in dem Anfang der Neunzigerjahre minderjährige Zwangsprostituierte einer honorigen Kundschaft - darunter Juristen und städtische Beamte - zugeführt worden sein sollen. Die Journalisten hatten mit zweien der Opfer gesprochen, die anhand von Fotos einige ihrer damaligen Freier identifiziert haben sollen. In einem weiteren, von Zeit online publizierten Artikel berichteten Datt und Ginzel unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten Polizeibeamten davon, dass die Ermittlungen gegen einen Richter, der Kunde des Kinderbordells gewesen sein soll, manipuliert worden sein könnten.
Die beiden Artikel von Datt und Ginzel nahm die Dresdner Staatsanwaltschaft 2008 jedoch nicht zum Anlass, um die früheren "Jasmin"-Ermittlungen noch einmal aufzurollen. Im Gegenteil: Die Behörde forderte vielmehr Polizeibeamte reichlich unverhohlen dazu auf, Anzeige zu erstatten, damit die Staatsanwaltschaft gegen die Journalisten strafrechtlich vorgehen kann.
Der Berliner Zeitung liegen mehrere Schreiben vor, in denen sich der ermittelnde Staatsanwalt schon zwei Tage nach der Veröffentlichung des Zeit-online-Artikels im Juni 2008 an Beamte der Polizeidirektion Leipzig wandte. Darin heißt es, dass eine wie in dem Artikel beschriebene Vorgehensweise der Beamten "den Tatbestand der Strafvereitelung im Amt erfüllen" könnte. Vor diesem Hintergrund bittet der Staatsanwalt "um Prüfung, ob Sie wegen der Berichterstattung Strafantrag . wegen des Verdachts der üblen Nachrede stellen".
Die angeschriebenen Beamten wiesen damals den Vorschlag zurück. "Ich werde, gegen wen auch immer, keinen Strafantrag stellen", teilte einer von ihnen recht rüde in einer E-Mail dem Dresdner Staatsanwalt mit. Auch Leipzigs Polizeipräsident zögerte zunächst. Nach einem Telefonat mit dem Innenministerium in Dresden aber stellte er schließlich im September 2008 Strafantrag gegen die beiden Journalisten.
Ähnliche Briefe wie die Polizeibeamten sollen auch zwei Ex-Richter, die in den Artikeln auftauchen, sowie ein Leipziger Unternehmer erhalten haben. Über den Unternehmer war zwar nicht berichtet worden; eine der früheren Zwangsprostituierten hatte jedoch in einer Zeugenvernehmung vor der Staatsanwaltschaft ausgesagt, dass dessen Foto ihr von Datt und Ginzel vorgelegt worden sei, als diese sie nach "möglichen Freiern" befragt hatten. Dank der Anzeigen konnte die Dresdner Staatsanwaltschaft noch im Jahr 2008 ein Ermittlungsverfahren gegen die beiden Journalisten einleiten. Es mündete in einen Strafbefehl gegen Datt und Ginzel über jeweils 4 800 Euro wegen übler Nachrede und Verleumdung. Als Straftaten wurden darin nicht nur die in den Artikeln aufgestellten Behauptungen gegen die Richter und die Polizei gewertet; auch die Recherchefrage der Journalisten nach dem Unternehmer als einem "möglichen Freier" der Zwangsprostituierten war demnach bereits eine strafbare Handlung.
Datt und Ginzel haben den Strafbefehl nicht akzeptiert, weshalb sie jetzt vor dem Dresdner Amtsgericht stehen. Die beiden Richter, über die sie geschrieben haben, sitzen als Nebenkläger im Gerichtssaal. Vor der Verhandlung in der vergangenen Woche sah man sie beim Plaudern mit dem Präsidenten des Amtsgerichts, Richter R., in der Kantine. Man kennt sich schließlich aus gemeinsamen Zeiten in Leipzig.
Auch Gerichtspräsident R. hat übrigens Anzeige erstattet - gegen die beiden früheren Zwangsprostituierten, die auch ihn als Freier wiedererkannt haben wollen. Die Verhandlung gegen die beiden Frauen soll demnächst stattfinden - in Dresden, am Amtsgericht von Richter R.
von Andreas Förster
Verfassungsschutz löste Affäre aus
2007 wurden Akten des sächsischen Verfassungsschutzes öffentlich, in denen ein Netzwerk aus organisierter Kriminalität und Justizapparat beschrieben wurde. Es ging um Korruption, dunkle Immobiliengeschäfte und Prostitution.
Die Medien berichteten unter dem Schlagwort "Sachsen-Sumpf" darüber. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Behördenmitarbeiter wurden allerdings bereits im April 2008 eingestellt, weil es keine Hinweise auf Straftaten gebe.
Nun gerieten Verfassungsschützer in Verdacht, zu eifrig und zu einseitig geforscht zu haben. Ein Ausschuss, der etwaiges Fehlverhalten untersuchte, konnte die Vorwürfe nicht erhärten. Ein neuer Ausschuss soll die Untersuchung fortsetzen.