Sächsische Zeitung, 21.05.2010
Verfahren gegen Thierse wegen Sitzblockade eingestellt
Nach der Sitzblockade von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) am 1. Mai will die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen geringer Schuld einstellen. (Nolle: "Gelten in Sachsen andere Gesetze als in Berlin?")
Berlin. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse muss wegen seiner Sitzblockade gegen Neonazis am 1. Mai nicht mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Das Verfahren werde - vorbehaltlich der noch einzuholenden gerichtlichen Zustimmung - „wegen geringer Schuld“ eingestellt, teilte die Berliner Staatsanwaltschaft am Donnerstag mit. Dafür sei die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten nicht erforderlich.
Da eine Sitzblockade nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als Gewalt zu bewerten sei, liege der Anfangsverdacht einer Nötigung nicht vor, hieß es weiter. Thierse (SPD) hatte zusammen mit anderen Politikern, darunter der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland, am 1. Mai eine Zeit lang die Demonstrationsroute der Neonazis durch einen Berliner Bezirk blockiert.
Das hatte ihm nicht nur scharfe Kritik der Union eingebracht, sondern auch von Parteifreunden. Thierse selbst hatte seine Aktion damit verteidigt, er habe als Bundestagsvizepräsident die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wie alle anderen auch.
Die Staatsanwaltschaft erklärte, maßgeblich für die beabsichtigte Entscheidung sei, dass die Blockade nur von kurzer Dauer gewesen sei. Die Abgeordneten hätten sich schließlich auf polizeiliche Aufforderung entfernt. Eine Strafverfolgung der Abgeordneten sei nur aufgrund ihres Bekanntheitsgrades möglich gewesen, weil die Personalien der übrigen Gegendemonstranten nicht festgestellt worden seien.
Die Staatsanwaltschaft hatte nach Prüfung des Sachverhalts den Anfangsverdacht einer Straftat nach dem Versammlungsgesetz festgestellt. Dem Verfahren lag der Vorwurf zugrunde, dass die Abgeordneten den angemeldeten Demonstrationszug durch eine dreizehnminütige Sitzblockade gemäß Paragraf 21 Versammlungsgesetz „grob gestört“ hätten. (apn)
Freitag, 30. April 2010
Staatsanwaltschaft ermittelt weiter zum 13. Februar gegen den Fraktionschef der Linken im Landtag, André Hahn.
Die Ermittlungen zur Blockade des Neonazi-Aufmarsches am 13. Februar in Dresden ziehen sich hin. Der Dresdner Oberstaatsanwalt Christian Avenarius will keine Prognose abgeben, wann die Fälle abgeschlossen sind. Bislang ist nur ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet – gegen den Fraktionschef der Linken im Landtag, André Hahn. Er hatte als Erster eine Offerte der Staatsanwaltschaft ausgeschlagen, das Verfahren gegen Zahlung von 500 Euro an einen Verein für Opfer rechtsextremer Gewalt einzustellen. Wegen der Blockade konnten Neonazis am 13.Februar nicht durch Dresden marschieren. (SZ/dpa)
Mittwoch, 21. April 2010, (Chemnitzer Morgenpost)
Staatsanwalt ermittelt gegen Linken-Chef
DRESDEN - Noch immer beschäftigt die Blockade des Dresdner Neonazi-Aufmarsches vom 13. Februar die Justiz: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat gegen Linke-Fraktions-Chef André Hahn ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet - wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.
Der Linke-Politiker soll den genehmigten Aufzug von Rechtsextremen blockiert haben. Zuvor hatte Hahn das Angebot zurückgewiesen, 500 Euro Geldauflage an einen Verein zu zahlen, damit Vorermittlungen gegen ihn eingestellt werden - für ihn sei es richtig gewesen, sich gegen den geplanten Aufmarsch mit friedlichen Mitteln zur Wehr zu setzen.
Die Ermittlungen und Prüfverfahren betreffen Linke-Politiker bundesweit. Auch Thüringens Linke-Fraktions-Chef Bodo Ramelow hat ein entsprechendes Einstellungs-Angebot abgelehnt. Gestern lehnten auch die beiden hessischen Linke-Fraktions-Chefs Janine Wissler und Willi van Ooyen die Aufforderung ab, bis zum 30. April je 500 Euro an einen Verein zu zahlen. Nun droht den Politikern eine Anklage.
mor
Freitag, 16. April 2010
Ermittlungen gegen Ramelow nach Dresden-Demo
Das juristische Nachspiel der Anti-Nazi- Demonstration am 13. Februar in Dresden geht in die nächste Runde.
Erfurt. Die Staatsanwaltschaft Dresden wirft dem Thüringer Linke- Fraktionschef Bodo Ramelow vor, die Blockade des Neonazi-Aufmarsches mitorganisiert zu haben. Gleichzeitig bot sie ihm an, das Verfahren gegen Zahlung von 500 Euro an einen Verein für Opfer rechtsextremer Gewalt einzustellen. Ramelow wies dieses Ansinnen zurück. Gleiches hatte zuvor schon der Fraktionschef der Linken im sächsischen Landtag, André Hahn getan.
Er habe sich nichts zuschulden kommen lassen, erklärte Ramelow am Freitag. Die Staatsanwaltschaft versuche offenbar, Demonstranten gegen Rechts einzuschüchtern. „Wir lassen uns auch durch solche Verfahren nicht mundtot machen und werden weiterhin mit ganzer Kraft friedlichen Protest und Zivilcourage gegen menschenverachtende Ideologien zu unterstützen“, erklärte er.
Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hat Ramelow gemeinsam mit Parteifreunden in Dresden zu einer „Fraktionssitzung unter freiem Himmel“ auf er Hansastraße aufgerufen. Diese Straße gehörte zur Route des genehmigten Aufmarsches der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland, der daraufhin abgebrochen werden musste. Mit dem Angebot der Einstellung gegen Geldauflage wolle die Staatsanwaltschaft ein klares Signal setzen, dass die Gegendemonstranten nicht kriminalisiert werden, sagte deren Sprecher Christian Avenarius. „Wir würden uns sehr freuen, wenn Ramelow das Angebot annehmen würde.“ Es gehöre doch zum zivilen Ungehorsam, Gesetze zu verletzen im Sinne eines höheren Ziels. Dafür könne Ramelow jetzt mit erhobenem Haupt die Verantwortung übernehmen.
Einen ähnlichen Brief hatte die Staatsanwaltschaft bereit im März dem sächsischen Fraktionschef der Linken, André Hahn, zugeschickt. Der lehnte gleichfalls ab. Dabei hatte er darauf hingewiesen, dass es solche juristischen Konsequenzen bei ähnlichen Blockaden in anderen Städte noch nie gegeben habe. „Dieses zivilgesellschaftliche Engagement darf nicht kriminalisiert werden.“
Für Ramelow hat die Staatsanwaltschaft nichts gegen ihn in der Hand. Er habe zu keiner Blockade aufgerufen, und er sei auch zu keiner Zeit des Platzes verwiesen worden, machte der Politiker geltend. Vielmehr habe er im ständigen Kontakt mit der Einsatzleitung der Polizei gestanden und zwischen ihr und Demonstranten vermittelt. (dpa)
Samstag, 20. März 2010
Linkspolitiker droht Prozess wegen Blockade
Von Karin Schlottmann
Die Justiz wirft André Hahn vor, eine Neonazi-Demo behindert zu haben. Der Chef der Links-Fraktion findet das absurd.
Der Fraktionschef der Linkspartei, André Hahn, muss sich wegen der Blockade des Neonazi-Aufmarsches am 13. Februar möglicherweise demnächst vor Gericht verantworten. Er teilte gestern mit, dass er der Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage in Höhe von 500 Euro nicht zustimmt. Deshalb kann die Staatsanwaltschaft jetzt Anklage gegen ihn erheben.
Zuständig ist Oberstaatsanwalt Jürgen Schär; er leitet die Abteilung für „Politische Straftaten“. Ob es tatsächlich zu einem Prozess kommt, blieb gestern offen. Behördensprecher Christian Avenarius sagte, Hahns Erklärung zu den Vorgängen am 13. Februar werde jetzt juristisch ausgewertet. Vor einer Anklage müsste der Landtag zudem die Immunität des Abgeordneten aufheben. Hahn ist der Erste, der von der Staatsanwaltschaft angeschrieben wurde. Weitere Fälle anderer prominenter Demonstranten sind noch offen.
„Kein Krimineller“
Hahn sagte, er habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, zumal er wenig Zeit und Lust auf einen jahrelangen Rechtsstreit habe. Aber er könne es nicht hinnehmen, kriminalisiert zu werden, nur weil er mit Tausenden anderen Demonstranten friedlich einen Neonazi-Aufmarsch verhindert habe. Er berief sich auf die Meinungs- und Gewissensfreiheit sowie auf sein Widerstandsrecht im Grundgesetz.
In anderen Bundesländern habe die Justiz bei ähnlichen Aktionen auf Anklagen verzichtet. Hahn: „Sachsen hätte hier ein unrühmliches Alleinstellungsmerkmal.“ Die Geldauflage sollte an die Aktion Zivilcourage in Pirna gehen. Das Bündnis „Dresden-nazifrei“ hatte Hahn jedoch aufgefordert, nicht zu zahlen. Die Meinung des Bündnisses sei ein ausschlaggebendes Argument für ihn gewesen, sagte der Politiker.
Vor etwa fünf Wochen hatten Tausende Demonstranten aus dem ganzen Bundesgebiet mit Sitzblockaden den Aufmarsch der rechtsextremen Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland gesprengt. Die Polizei ging gegen die Blockierer nicht vor und lobte sogar deren gewaltfreies Verhalten. Die Organisatoren haben das als Freibrief verstanden und sehen sich deshalb jetzt umso mehr im Recht.
Mittwoch, 17. März 2010
Geldbuße für Blockierer des Nazi-Aufmarsches
Teilnehmer der Blockaden gegen den Dresdner Neonazi-Aufmarsch vom 13. Februar müssen jetzt mit einer Geldbuße rechnen.
Dresden. Erste Zahlungsaufforderungen wurden bereits versandt, teilte die Staatsanwaltschaft Dresden am Mittwoch mit und bestätigte damit einen Bericht der „Bild“-Zeitung vom selben Tag. Betroffen ist auch der Fraktionschef der Linken im Landtag von Sachsen, André Hahn. Wie viele Blockierer betroffen sind, blieb zunächst unklar. Die Staatsanwaltschaft machte dazu keine Angaben.
Nach Paragraf 153 der Strafprozessordnung kann ein Verfahren gegen Zahlung eines Bußgeldes eingestellt werden. Im konkreten Fall geht es um Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Da der Aufmarsch der rechtsextremen Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland genehmigt war, hatte die Staatsanwaltschaft bereits im Vorfeld Aufrufe zu einer Blockade als Straftat eingestuft. Trotzdem stellten sich am Jahrestag der Zerstörung Dresdens Tausende Menschen den Rechtsextremen entgegen. Aufgrund der Massen sah sich die Polizei außerstande, die Blockaden aufzulösen.
Hahn will die vom Staatsanwalt gesetzte Frist ausschöpfen und erst dann entscheiden, ob er die Geldbuße zahlt. Er war am 13. Februar bei mehreren Aktionen präsent und stand mit Ministerpräsident Stanislaw Tillich und der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz (beide CDU) auch in einer Menschenkette in der Dresdner Altstadt. Die Neonazis wurden am Bahnhof Neustadt auf der anderen Elbseite blockiert. Dort hatten die Linken eine „öffentliche Fraktionssitzung“ anberaumt. Die Partei hält das für angemessen und geht davon aus, dass Engagement gegen Rechts Anerkennung und nicht Strafverfolgung verdient. (dpa)
Sonntag, 28. Februar 2010
Warum der gute Zweck nicht die Mittel heiligt
Von Christoph Enders
Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die Sächsische Zeitung kontroverse Essays, Kommentare und Analysen zu aktuellen Themen. Heute: Die Blockaden des Aufmarsches von Rechtsextremisten am 13. Februar in Dresden waren sicherlich legitim – aber waren sie auch legal? Eine kritische Betrachtung des Jura-Professors Christoph Enders von der Universität Leipzig.
Rufen rechtsextreme Kräfte zum Gedenken an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, etwa an die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 auf, bleibt die Verantwortlichkeit des NS-Regimes für das Unheil typischerweise ausgeblendet. Die demonstrative und exklusive Solidarisierung mit den Opfern der alliierten Bombenangriffe ignoriert die maßgebliche historische Rolle des NS-Terrors und verleugnet seine Opfer.
Die Gefahr, dass auf diese Weise Gedenkveranstaltungen umfunktioniert werden und sie dann der Weltöffentlichkeit eine falsche Botschaft übermitteln, liegt auf der Hand. Der missbräuchlichen Vereinnahmung solcher Gedenktage nach Möglichkeit einen Riegel vorzuschieben, wird darum zu Recht von vielen als Bürgerpflicht verstanden.
Doch welches sind die adäquaten Mittel dieses Bürgerprotests? Sind insbesondere Blockadeaktionen, zu denen vielfach aufgerufen wird, um den Rechtsradikalen den Aufmarschweg zu versperren und sie so ihres öffentlichen Forums zu berauben („Keinen Fußbreit den Faschisten“, Ingo Schulze in der SZ v. 16.2.2010, S. 11), nicht nur in ihrem Anliegen legitim, sondern auch rechtens?
Die Frage zerfällt bei näherem Hinsehen in zwei Teile: Zum einen fragt sich, ob es (straf)rechtlich zulässig ist, zur Verdeutlichung einer Protesthandlung andere gezielt in der Ausübung ihrer Freiheit zu behindern, indem etwa der Zugang zu einem Raketendepot oder zu einer Wiederaufarbeitungsanlage für Nuklearbrennstoffe oder eben auch ein Aufzug auf seiner nicht behördlich verbotenen Route blockiertwird.Diese Frage ist, bei Unklarheiten im Einzelnen, vom Bundesverfassungsgericht entschieden: Ein solches Verhalten ist rechtlich als Gewalt und damit strafbare Nötigung zu qualifizieren, wenn es über die psychische Zwangswirkung hinausgeht, wie sie durch bloße körperliche Anwesenheit der Blockierer erzeugt wird. Das Anketten an einem Zufahrtstor, das Errichten von Hindernissen sind danach im Grundsatz strafbare Akte der Gewalt, weil zum psychischen Zwang das Moment körperlicher Kraftentfaltung hinzutritt („physische Barriere“). Das gilt sicher ebenso, wenn Versammlungen durch (brennende) Barrikaden verhindert werden sollen, die auf ihrem Aufzugsweg errichtet werden.
Unabhängig von der Beurteilung im Lichte des strafrechtlichen Gewaltbegriffs ist zu überlegen, was daraus folgt, dass ja auch die Blockierer sich als Versammlung verstehen. Sind also solche Blockadeaktionen durch die Versammlungsfreiheit gerechtfertigt? Diese Frage ist für die hier angenommene Situation zu verneinen. Das folgt – wieder nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – nicht nur daraus, dass die Absicht Einzelner, eine Versammlung zu verhindern, ihrerseits nicht durch die Freiheit, sich zu versammeln, geschützt ist.
Zu Recht hat das Gericht darüber hinaus betont: Der Schutzzweck der Versammlungsfreiheit würde verfehlt, wenn sich mit ihr ein Verhalten rechtfertigen ließe, das nicht nur zu bloß „symbolischen“ oder als Nebenwirkung unvermeidlichen, beiläufigen Behinderungen Dritter führt, sondern das es nach seinem ganzen Zweck darauf anlegt, die eigene Forderung zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnlich durchzusetzen.
Ein solches Verhalten ist, auch wenn es sich unterhalb der Schwelle zur strafrechtlichen Gewalt (Errichtung „physischer Barrieren“) abspielt, nicht durch die Versammlungsfreiheit geschützt.
Das bedeutet im Ergebnis, dass Gegendemonstrationen, die den Verhinderungszweck verfolgen, unterbunden werden dürfen und sogar müssen. Denn dem Staat – den Behörden, der Polizei, den Gerichten – obliegt eine Gewährleistungs- und Schutzverpflichtung zugunsten zulässiger (friedlicher, auch sonst nicht gegen das Gesetz verstoßender) Versammlungen, gleich welcher politischer Couleur. Durch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit geschützte Bekundungen und seien sie noch so anstößig und empörend, dürfen auch von einer Mehrheit, die es besser weiß, nicht gezielt mundtot gemacht werden.
Aber liegt nicht die Blockade rechtsradikaler Demonstrationen, eben weil sie gezielt nur die Freiheit derer behindert, die die gleiche Freiheit aller nicht respektieren, am Ende doch im Interesse des freiheitlich-demokratischen Prozesses? Einfach deshalb, weil in dessen Licht die Regelverletzung durch den Akt eines bürgerschaftlich engagierten Ungehorsams vergleichsweise geringfügig erscheint?
Allerdings stellt das Grundgesetz den Grundsatz auf, dass Feinden der Freiheit keine unbedingte Freiheit eingeräumt wird und sieht daher die Möglichkeit von Partei- und Vereinsverboten und sogar der Verwirkung von Grundrechten vor. Aber die Schwelle für staatliche Zwangsmaßnahmen ist hoch. Bis dahin gilt eine nahezu unbegrenzte Gedanken-, Rede- und insoweit auch Demonstrationsfreiheit.
Vorbehaltlich der allerdings mit gutem Grund strafrechtlich verbotenen dezidierten Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft haben auch als abstoßend und skandalös empfundene Standpunkte, die aus dem Spektrum der allgemein gebilligten moralisch-politischen Positionen herausfallen, das Recht auf Aktion und Propaganda.
Das Recht, sie mit Witz und Ironie und vor allem der Überzeugungskraft des besseren Arguments zu bekämpfen, bleibt dabei nicht nur unbenommen, es gehört zu jener ständigen geistigen Auseinandersetzung, die das Bundesverfassungsgericht einmal als Lebenselement der freiheitlich-demokratischen Ordnung bezeichnet hat.
Ob aber verwerfliche Standpunkte aus dem öffentlichen Leben verdrängt und zwangsweise unterdrückt werden dürfen, haben nicht die einzelnen Bürgerinnen und Bürger im Wege der Selbsthilfe zu entscheiden. Darüber ist vielmehr, so wollen es die Spielregeln des demokratischen Rechtsstaats, in den dafür vorgesehenen staatlichen Verfahren und nicht zuletzt durch das Bundesverfassungsgericht zu befinden.
Donnerstag, 18. Februar 2010
Keine Ermittlungen nach Selbstanzeige
Trotz seiner Selbstanzeige ermittelt die Staatsanwaltschaft nicht gegen den Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi von den Grünen. „Wenn er am 13. Februar nur auf dem Albertplatz war, hat er nicht blockiert“, sagte Behördensprecher Christian Avenarius. „Wir können nicht gegen ihn ermitteln.“
Lichdi hatte am Dienstag erklärt: „Ich fordere die Staatsanwaltschaft Dresden auf, endlich Ermittlungen gegen mich als Unterzeichner des Blockade-Aufrufs des ,Bündnis – nazifrei‘ und aktiven Teilnehmer einzuleiten oder die verbale Kriminalisierung friedlicher Demonstranten zu unterlassen.“ Lichdi gestand, er habe am Albertplatz gegen den Nazi-Aufmarsch demonstriert.
Doch der Platz lag nicht auf der blockierten Nazi-Route. Vielleicht klappt es ja mit Lichdis Unterzeichner-Geständnis. (lex)
Montag, 25. Januar 2010
Anti-Nazi-Bündnis kritisiert 'Zensur' im Internet
Das Bündnis 'Dresden Nazifrei' hat der Justiz in Sachsen vor dem Neonazi-Aufmarsch am 13. Februar 'Internetzensur' vorgeworfen.
Dresden. Das Landeskriminalamt (LKA) habe veranlasst, eine Seite mit dem Aufruf zur Blockade der Demonstration in Dresden zu sperren, teilte das Bündnis mit und sprach von „Einschüchterungsversuchen“. Man habe die betroffene Seite daraufhin selbst abgeschaltet. Der gleiche Inhalt ist allerdings auf anderen Seiten im Netz weiter zu sehen. Die Staatsanwaltschaft Dresden bestätigte der dpa eine entsprechende Anweisung ans LKA.
Die Polizei hatte am vergangenen Dienstag bereits Räume der Organisatoren in Berlin und Dresden durchsucht. Aus Sicht der Ermittler ruft das Bündnis mit dem Slogan „Gemeinsam blockieren“ zu einer Straftat auf, weil eine zulässige Demonstration behindert werden solle. Rechtsextreme waren zuletzt wiederholt zu Jahrestagen der Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 in der Stadt aufmarschiert.
Mehrere Politiker kritisierten die Justiz am Wochenende scharf. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele nannte den Vorgang „rechtlich nicht nachvollziehbar und politisch instinktlos“. (dpa)
Donnerstag, 21. Januar 2010
Bündnis „Dresden nazifrei“ ist über die Razzia entsetzt
Eine Sprecherin erklärte, die Mitglieder würden trotz der Durchsuchungen an ihren Zielen festhalten.
Die Razzia bei Gegnern des Neonazi-Aufmarsches in dreieinhalb Wochen sorgt für heftige Reaktionen. Sprecher von SPD, Grünen, Linkspartei, Gewerkschaften und ihren Jugendorganisationen kritisierten die Durchsuchung beim Bündnis „Dresden nazifrei“ als unangemessen und empörend. An dem Aufruf werde festgehalten, erklärte eine Sprecherin.
Gestern Abend demonstrierten etwa 60 Sympathisanten des Bündnisses in Dresden. Sie zogen vom Hauptbahnhof über die Prager Straße bis in die Neustadt. 20 Polizisten sicherten die friedliche Demo ab.
Die Landtagsabgeordnete und Mitglied des Bündnisses Julia Bonk (Linke) bezeichnete es unterdessen als „böswillige Auslegung“ der Polizei, in einem entschiedenen Auftreten gegen Nazis ein strafbares Behindern einer Demo zu sehen. „Wir werben dafür, den Nazis friedlich entgegenzutreten. Unsere Sprache ist von der Meinungsfreiheit gedeckt.“ Zahlreiche Abgeordnete, Künstler und Politiker, wie Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter unterstützen das Bündnis, dem neben linken Parteien, Gewerkschaften auch Antifagruppen und andere Vereine angehören.
Die Staatsanwaltschaft hatte in einem Büro in Dresden und einem Laden in Berlin am Dienstag Computer und Material beschlagnahmt. Nun wird geprüft, wer für den Aufruf zur Blockade einer Versammlung, der einen Straftatbestand darstelle, verantwortlich ist.
„Dem Protest gegen den Neonazi-Aufmarsch wird es wieder einmal schwer gemacht“, sagt Christian Demuth, Chef von Bürger.Courage. Doch das wirkliche Problem werde verkannt. Die Gefahr gehe vom Neonazi-Aufmarsch aus, nicht vom friedlichen Protest. Bürger.Courage zufolge werden die Auswirkungen nicht auf das Bündnis beschränkt bleiben: „Bewusst oder unbewusst: Auch Oberbürgermeisterin Orosz fällt man damit in den Rücken. Ihre Bemühungen zu einer Menschenkette werden torpediert.“
Helma Orosz (CDU) selbst sieht durch die Razzia ihre Bemühungen für eine Menschenkette nicht gefährdet. „Was rechtswidrig ist, muss geahndet werden.“ Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten sprach von einem „fatalen Signal der Verharmlosung, ja Unterstützung von neofaschistischen Umtrieben“. Ziviler Ungehorsam gegen Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus dürfe nicht kriminalisiert werden. Der Bischof der evangelischen Landeskirche, Jochen Bohl, warnte derweil vor einer „Verfälschung des Gedenkens“ an die Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg nicht nur durch Rechtsextremisten. (lex/ale/dpa)
Mittwoch, 20. Januar 2010
Nach Blockade-Aufruf: Polizei-Razzia beim Bündnis „Dresden nazifrei“
Von Alexander Schneider
Mit Empörung reagieren Politiker und Betroffene auf die Durchsuchung im Büro der Linken-Geschäftsstelle.
Gestern Nachmittag hat die Polizei das Büro in der Landesgeschäftsstelle der Linken auf der Großenhainer Straße durchsucht. Die Fahnder suchten Daten, mit denen das Bündnis „Dresden nazifrei“ zur Blockade der geplanten Nazi-Demo am 13. Februar in Dresden aufruft. Das Bündnis hat dort seinen Sitz. Ein Computer, Speicher und Plakate wurden sichergestellt. Auch in Berlin wurde ein Laden gefilzt.
„Wir mussten handeln. Der Aufruf zur Blockade einer Demo ist eine Straftat“, sagte Christian Avenarius, Sprecher der Staatsanwaltschaft. „Auch braune Dumpfbacken können die Versammlungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen, wenn ihre Demo nicht verboten wurde.“ Es werde gegen unbekannt ermittelt. „Uns interessiert, wer hinter dem Aufruf steht.“
Bei der Linkspartei und dem Bündnis, dem Parteien, Gewerkschaften und Vereine angehören, löste die Razzia Entsetzen und Empörung aus. „Wir haben immer betont, zu deeskalieren und uns Nazis gewaltfrei entgegenzustellen“, sagte Bündnissprecher Axel Roth. Erst kürzlich hatten Künstler wie Konstantin Wecker, Bela B. von den Ärzten oder Jenas Bürgermeister den Bündnis-Aufruf unterstützt.
Landtagsabgeordnete Julia Bonk (Linke) sagte, es sei politisch nicht hinnehmbar, dass nun ein breites demokratisches Spektrum mit polizeilichen Mitteln kriminalisiert werde. Es gehöre zur Meinungsfreiheit, deutlich aufrufen zu können.
Mittwoch, 20. Januar 2010
Gut gemeint
Alexander Schneider über die Razzia bei dem Bündnis „Dresden nazifrei“.
Da klafft es wieder auseinander, das Gutmeinen und Gutmachen. Kein Wunder, wir sind in Dresden. Hier gibt es noch Dinge wie den Großaufmarsch der Neonazis, die anderswo, etwa in Köln, Leipzig oder Jena, mit einem breiten Bündnis aus Staat und Zivilgesellschaft abgestellt wurden.
Die Dresdner Staatsanwaltschaft hat dem Kampf gegen Rechts gestern einen Bärendienst erwiesen: Eine Razzia bei dem linken Bündnis, das bundesweit aufruft, sich am 13. Februar einem der größten Ärgernisse dieser Stadt gezielt in den Weg zu stellen. Die Polizeiaktion ist die beste Werbung für den Aufruf. Jetzt wird sich wohl der letzte gewaltbereite Autonome fragen, ob er nicht doch besser am 13. nach Dresden reisen soll, um Staat und Polizei die Stirn zu bieten.
Doch auch das Bündnis „Dresden nazifrei“ muss sich fragen, ob es seine Sprache gut gewählt hatte, wenn es „jetzt erst recht“ zur „Blockade“ der Nazis aufruft. Zumal es erst 2009 bei diesem Anlass zu erheblichen Krawallen von links gekommen war. Gut meinen und gut machen – das sind verschiedene Paar Stiefel.