Süddeutsche Zeitung, Seite 6, 05.06.2010
Schlampige Staatsanwälte (in Dresden)
Wegen zahlreicher Formfehler kann die Immunität des umstrittenen SPD-Politikers Karl Nolle in Sachsen nicht aufgehoben werden
Dresden - In den Ermittlungen gegen einen sächsischen SPD-Abgeordneten hat das Justizministerium des Landes eine Niederlage erlitten. Die Parlamentarier in Dresden lehnten einen Antrag der Staatsanwaltschaft ab, die Immunität des SPD-Politikers
Karl Nolle aufzuheben.
Der Grund für die Absage: Das über das Justizministerium eingereichte Gesuch der Ermittler sei so voller Formfehler gewesen, dass es die Abgeordneten aller Parteien ablehnten, sich überhaupt damit zu befassen. Entsprechend wurde der Antrag an das Justizministerium zurückgereicht - 'ein sehr ungewöhnlicher Vorgang', wie der sächsische Landtagssprecher Ivo Klatte bestätigt.
Bereits seit mehr als einem Jahr ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den 65-jährigen Nolle. Dem Dresdner Druckereibesitzer wird 'leichtfertiger Subventionsbetrug' vorgeworfen. Zwar gilt als unstrittig, dass der Sozialdemokrat, der nach der Wende eine Druckerei in Dresden aufbaute, keinen Cent Fördermittel zu viel bekommen hat. Indes verdächtigen die Ermittler den Politiker, teilweise Formulare falsch ausgefüllt zu haben. Nolle gilt als höchst unbequemer Akteur im sächsischen Parlament. Manchen Politiker im Freistaat stürzte der Sozialdemokrat mit seinen bohrenden Fragen schon vom Sockel, selbst Ministerpräsidenten lehrte er das Fürchten: Ob es um den Rücktritt des ersten sächsischen Regierungschefs Kurt Biedenkopf (CDU) ging oder den Sturz seines Nachfolgers Georg Milbradt (CDU) - stets war es Nolle gewesen, der die entscheidenden Informationen zusammentrug, die schließlich zum Amtsverzicht führten.
Auch den amtierenden Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich hatte Nolle bereits ins Visier genommen. So befasste er sich in einem Buch mit Tillichs DDR-Vergangenheit als einstigem stellvertretenden Vorsitzenden im Rat des Kreises Kamenz - eine Tätigkeit im politischen Management der DDR, die der Regierungschef zuvor so nicht bekannt gegeben hatte. Einige Zeit später sah sich Nolle dann mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft konfrontiert. Sie gehen auf eine Prüfung aus dem Jahr 2007 zurück. Damals untersuchte das Dresdner Finanzamt Idie Gewährung von Investitionszulagen für betriebliche Anschaffungen. Die Prüferin kam zu dem Ergebnis, dass einige angeführte Posten - etwa Bürostühle und eine Druckmaschinen-Software - nicht berechtigt seien. Entsprechend wurden sie gestrichen, Geld floss auch nicht dafür.
Für die Prüferin war die Angelegenheit erledigt. Später hatte sich jedoch eine Vorgesetzte über die Formulare gebeugt und handschriftliche Veränderungen darin vorgenommen - diese brachten die Staatsanwälte auf den Plan. Nach einem Jahr Ermittlungen erhielt Nolle einen Zahlungsbescheid über 181000 Euro - eine Summe, die tödlich wäre für seine Druckerei. Dabei waren Nolle nie zu viele Subventionen ausgezahlt worden, wie sein Anwalt Daniel Krause betont.
Nun wollte die Staatsanwaltschaft Anklage erheben, weshalb die Immunität aufgehoben werden müsste. Statt jedoch wie vorgeschrieben den Beschuldigten Nolle zunächst anzuhören, hatten die Ermittler ihren Antrag direkt ans Parlament gereicht. Und dies auch nicht über den Minister persönlich, wie es die Geschäftsordnung des Parlaments verlangt hätte, sondern mit der Ministeriumspost. Es war nicht die erste Panne der Justiz, schon vor einem Jahr, bei der Eröffnung des Verfahrens war es zu Peinlichkeiten gekommen: Damals hatten die Staatsanwälte vergessen, ihren Antrag zu unterschreiben.
Von Christiane Kohl