Karl Nolle, MdL

Agenturen dapd, 17:164 Uhr, 04.11.2010

"Tillich flüchtet in Nestwärme der Fraktion"

- Opposition kritisiert Ministerpräsidenten - Anlass war Artikel Tillichs im "Focus"
 
Dresden (dapd-lsc). Umstrittene Thesen von Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) zur Durchsetzung von Großprojekten haben im sächsischen Landtag nachträglich für Wirbel gesorgt. Tillich habe mit jüngsten Äußerungen im Nachrichtenmagazin "Focus" den Eindruck erweckt, sich pflegeleichte Bürger zu wünschen, sagte Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau am Donnerstag im Dresdner Landtag. Auch Linkspartei und SPD übten scharfe Kritik. Der Ministerpräsident selbst nahm keine Stellung zu dem Thema. Für ihn sprang Vize-Regierungschef Sven Morlok (FDP) in die Bresche.

Der Ministerpräsident hatte vor drei Wochen im "Focus" betont, dass die sächsische CDU in den vergangenen Jahren bei Wahlen stets erfolgreich gewesen sei, obwohl es großen Streit um den Bau der Waldschlößchenbrücke gegeben habe. Für den Erfolg bei solchen umstrittenen Vorhaben gelte: "Die Politik sollte umfassend ein solches Projekt erklären und auf dem einmal eingeschlagenen Weg nicht umkehren.".

Außerdem hatte Tillich den Westdeutschen im Zusammenhang mit den Protesten gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21" vorgeworfen, zu bequem für Veränderungen zu sein. "Bei uns gibt es noch mehr Motivation", schrieb Tillich. In Sachsen gebe es kein Großprojekt, das erfolgreich durch Klagen gestoppt wurde. "Wir haben Kohlekraftwerke gebaut, Straßen und Autobahnen, Braunkohle-Tagebaue erweitert. Das ist in anderen Bundesländern nicht mehr möglich", schrieb der Ministerpräsident.

Zwtl: "Mündige Bürger unerwünscht"

Die Grünen beantragten daraufhin einen Landtagsdebatte unter dem Titel "Mündige Bürger unerwünscht - das Demokratieverständnis des sächsischen Ministerpräsidenten". "Das war vordemokratisches DDR-Sprech" sagte Hermenau mit Blick auf den "Focus"-Artikel. Der Ministerpräsident scheine es für einen wirtschaftlichen Standortvorteil zu halten, wenn es keine Proteste in Sachsen gebe. Demonstrationen seien aber ein wichtiger Bestandteil der demokratischen Kultur. "Und jetzt stellen Sie sich der Debatte nicht, sondern flüchten sich in die Nestwärme ihrer Fraktion", kritisierte Hermenau Tillichs Schweigen im Landtag.

Auch Linke-Fraktionschef André Hahn bemängelte, dass sich Tillich erneut einer Debatte über seine Politik im Landtag verweigert habe. Es hätte von Respekt vor dem Parlament gezeugt, wenn Tillich selbst Stellung zu den Vorwürfen genommen hätte. "Sie sind eben eine Pantoffel-Partei", die sich von Protesten schnell bedroht fühle, fügte der Linke-Abgeordnete Gerhard Besier hinzu. SPD-Fraktionschef Martin Dulig bezeichnete Tillich in einer satirisch gehaltenen Rede als "lupenreinen Demokraten".

Zwtl: Stellvertreter verteidigt den Chef

Vizeregierungschef Morlok erklärte, es sei dem Ministerpräsidenten darum gegangen, ob die Durchsetzung von Großprojekten wie die Dresdner Waldschlößchenbrücke oder "Stuttgart 21" in Deutschland noch möglich sei. Einmal gefällte Entscheidungen könnten wegen Bürgerprotesten nicht einfach zurückgenommen werden. "Wenn alle Beteiligten feierlich versichern: ¦fürchtet euch nicht, es bleibt wie es ist¦, sind die Allermeisten rundum zufrieden. Aber wehe, jemand mit Veränderung droht", zitierte Morlok aus einer jüngst gehaltenen Rede des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU). Die Staatsregierung werde daher auch künftig mit den Sachsen über anstehende Projekte diskutieren.
Rückendeckung bekam Tillich auch vom rechtspolitischen Sprecher der FDP, Carsten Biesok. Er nannte es dreist von den Grünen, eine solche Debatte anzuzetteln. Einmal getroffene Entscheidungen müssten auch durchgesetzt werden. Das habe Tillich in seinem Gastbeitrag klar gemacht, sagte Biesok.

Von Gregor Klaudius

dapd/grk/nik /4
041716 Nov 10

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