Karl Nolle, MdL

spiegel-online.de, 14:30 Uhr, 09.01.2011

Dioxin-Skandal: Foodwatch wirft Bundesregierung Mitschuld vor

Zwei Wochen nach ersten Giftfunden in Tierfutter rückt der politische Streit ins Zentrum des Dioxin-Skandals.
 
Die Verbraucherorganisation Foodwatch hält der Regierung schwere Versäumnisse vor: Sie kümmere sich mehr um die Interessen der Futtermittelindustrie als um die Sicherheit der Bürger.

Berlin - Der Dioxin-Skandal heizt die Debatte um den Verbraucherschutz in Deutschland an. Dabei geht es nun auch um die Verantwortung der Bundesregierung. Die Verbraucherorganisation Foodwatch erhebt schwere Vorwürfe gegen die Politik: Sie bediene einseitig die Interessen der Futtermittelindustrie. Um den Export deutscher Fleischprodukte nicht zu gefährden, habe die Regierung kein Interesse, die Futtermittelindustrie stärker zu belasten, sagte Foodwatch-Chef Thilo Bode der Nachrichtenagentur dpa.

Bode beklagt, dass es viel zu wenig staatliche Kontrollen der 1700 Futtermittelbetriebe in Deutschland gebe. Er verlangt, dass jeder Hersteller jede Charge einer Futtermittelzutat verpflichtend auf Dioxin testet, dokumentiert und bei Überschreitungen verpflichtend die Behörden informiert. "Nur das würde weiterhelfen, damit die schleichende Dioxinvergiftung durch Futtermittel aufhört." Schon heute würden die Bürger etwa 80 Prozent des Dioxins über Futtermittel aufnehmen. "Waren früher die Müllverbrennungsanlagen für die Dioxinbelastung der Bevölkerung verantwortlich, haben diese Rolle mittlerweile die Futtermittelhersteller übernommen."

Aigner fordert harte Strafen

Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) betont dagegen, Verbraucherschutz und Aufklärung hätten Priorität. Sie sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", wenige "schwarze Schafe" hätten enormen wirtschaftlichen Schaden angerichtet. "Danach werden wir über die Konsequenzen zu sprechen haben. Die Verursacher müssen zur Rechenschaft gezogen und in Haftung genommen werden. Sie haben für die entstandenen Schäden geradezustehen." In der "Bild am Sonntag" forderte sie ein hartes Durchgreifen der Justiz.

Die Bürgermeisterin von Uetersen, Andrea Hansen, hat am Sonntag dauerhafte Konsequenzen aus dem Dioxin-Skandal gefordert. Uetersen leidet unter den Negativschlagzeilen über den dort ansässigen Futterfetthersteller Harles und Jentzsch. Hansen forderte, wirksame Regelungen, Kontrollen und Strafen zu schaffen. Bisher sei bei Lebensmittelskandalen auf die erste Aufregung oft wenig bis nichts gefolgt.

Neue Vorwürfe gegen Futtermittelfirma

Gegen die Futterfettfirma Harles und Jentzsch sind inzwischen neue Vorwürfe erhoben worden. Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium verdächtigt das Unternehmen des Betrugs und der Steuerhinterziehung. Der Sprecher des Ministeriums, Gert Hahne, sagte, es spreche vieles dafür, dass die Firma ihre Kunden betrogen und technische Mischfettsäure als teures Futterfett verkauft habe.

Für eine Tonne Industriefett habe die Firma bloß 500 Euro erlösen können, für eine Tonne Futterfett aber 1000 Euro. Der Verdacht der falschen Rechnungsstellung und somit der Steuerhinterziehung liege nahe. Die Justiz ermittelt sowieso wegen Verstoßes gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz.

Vor diesem Hintergrund kommen europäische Futterfetthersteller an diesem Montag zu einem Krisentreffen mit der EU-Kommission zusammen. Die EU-Behörde setze sich dafür ein, die Produktion und den Transport von Industrie- und Futterfetten besser zu trennen, sagte der Sprecher von EU-Verbraucherkommissar John Dalli. Außerdem gibt es von Brüssel aus Kontakte, um Blockaden deutscher Lebensmittel in Drittstaaten zu vermeiden.

In den Proben dreier Legehennen aus Nordrhein-Westfalen wurde der zulässige Grenzwert laut den Behörden um das 2,5-Fache überschritten. Tests bei Hähnchen, Puten oder Schweinen zeigten bislang keine Überschreitungen, viele Ergebnisse stehen aber noch aus. Die Zahl der gesperrten Höfe sank derweil von 4700 auf rund 4000, wie das Bundeslandwirtschaftsministerium mitteilte.

Der Verband der Öl- und Fetthändler versicherte inzwischen, Rohstoffe für Futtermittel würden ausreichend kontrolliert. "Alle Betriebe in der Lebensmittelkette haben in den vergangenen zehn Jahren ein umfangreiches Qualitätsmanagement aufgebaut", sagte Christof Buchholz, Geschäftsführer des Deutschen Verbandes des Großhandels mit Ölen, Fetten und Ölrohstoffen (Grofor), in Hamburg. In den größeren Handelsbetrieben würden die Lieferungen genau kontrolliert. Kleinere Betriebe würden ihre Handelswaren stichprobenartig überprüfen.

Nach Informationen des SPIEGEL hat das Unternehmen Harles und Jentzsch staatlichen Kontrolleuren überhöhte Dioxin-Werte vorenthalten. Bereits am Freitag war bekannt geworden, dass der Skandal um dioxinverseuchtes Tierfutter viel früher begonnen hat als bislang bekannt.
ler/dpa/AFP

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