www.quo-vadis-dresden.de, 06.05.2011
Der alte Kämpfer
Ein Kommentar von Johannes Hellmich
Einen guten Ruf kann man sich schnell erarbeiten und noch schneller verlieren. Ihn zu halten, ist bekanntlich der schwierigste Part. Dass die Welt in Sachsen so in Ordnung ist, wie Tillichs Regierung in Baden-Württemberg verbreiten ließ, ist kein Selbstläufer. Dafür muss man manchmal die Samthandschuhe ausziehen.
Die Einladung an Unternehmer, in den Osten zu kommen, hat schon bei der letzten größeren Umzugsaktion vor zwanzig Jahren nicht nur „brave Bürger“ angelockt, sondern auch manchen roten Wolf im kapitalistischen Schafspelz. Einer, der den größten politischen Flurschaden angerichtet und manches unschuldige christdemokratische Lämmchen gerissen hat, ist nun zur Strecke gebracht worden. Nicht ganz, aber die Sächsische Zeitung beschreibt den Landtagsabgeordneten Karl Nolle in ihrer heutigen Ausgabe immerhin als gebrochenen Mann. Was immer er jetzt noch an Aufklärungsarbeit leistet, wird von den Angesprochenen unter den Verdacht Pawlowscher Rachereflexe gestellt. Beamte jener Bank, deren Aktivitäten er hartnäckig verfolgte, haben ihn an die kurze Kette gelegt.
Die Jagd auf den Sozialdemokraten und Unternehmer Nolle fand vor unser aller Augen statt. In Zeitlupe. Seine Gegner wurden mutiger, je offensichtlicher war: Nolles Partei würde keinen Finger für ihn krümmen. Wie auch. Ihr früherer Vorsitzender, Thomas Jurk, bettelte vor zwei Jahren der bei der Union um eine Fortsetzung der Regierungskoalition. Für Würde und Solidarität war da kein Platz. Stattdessen rechtfertigte sich Nolle und legte einen peinlichen Treueschwur für Tillich ab. Beiden SPDlern hat es nichts genutzt. Jurk führte die SPD nicht aus dem historischen Tiefstand heraus. Auch die Hoffnung Nolles, mit Tillich den dritten Ministerpräsidenten zu stürzen, musste scheitern: Langeweiligkeit und fehlendes Rückgrat des Angepassten sind des Polarisierers Feind. Bei Tillich blieb selbst dessen frühere Systemtreue merkwürdig belanglos.
Die (inzwischen eingestellten) Ermittlungen wegen Subventionsbetrugs, wirtschaftliche Isolation durch das Ausbleiben von Aufträgen der öffentlichen Hand, öffentliche Demontage oder Krankheiten können für sich allein einen Mann verzweifeln lassen. Zusammengenommen reicht das allemal, um mit den subtilen Waffen der Demokratie aus jedem Querulanten einen braven Bürger zu machen. Beschämend, dass Nolle vorgehalten wird, er wäre zu gradlinig und undiplomatisch vor- und überhaupt zu weit gegangen. Das Opfer ist selbst schuld.
„Ganz der alte Kämpfer.“, schließt aufmunternd die SäZ-Redakteurin. Es ist genau diese Mischung aus Unverständnis, Verniedlichung und verschleierter Distanz in dieser kumpelhaften Anerkennung, die Karl Nolle alleine ließ.