Agenturen dpa, 17:36 Uhr, 09.09.2011
Neuer Zündstoff in Sachsens Handydaten-Affäre
Der Streit um die massenhafte Auswertung von Handy-Daten in Sachsen hat neue Nahrung. Der Datenschützer greift Polizei und Justiz an. Die Staatsanwaltschaft wehrt sich. Ein Gutachten ist angekündigt.
Dresden (dpa/sn) - Polizei und Justiz haben sich nach Ansicht des sächsischen Datenschutzbeauftragten bei der massenhaften Erhebung und Auswertung von Handydaten nicht an Recht und Gesetz gehalten. «Es wurde mehrfach gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen», sagte Datenschützer Andreas Schurig am Freitag zu den Ermittlungen gegen Gewalttäter bei einer Anti-Neonazi-Demonstration im Februar in Dresden. Sein Vorwurf: Es wurden de facto Daten unzulässig auf Vorrat gesammelt.
Die Staatsanwaltschaft Dresden wehrte sich umgehend. Es sei nicht Aufgabe des Datenschutzbeauftragten, die Entscheidungen unabhängiger Gerichte zu überprüfen, sagte Sprecher Lorenz Haase der Nachrichtenagentur dpa. Das Innenministerium kündigte eine sorgfältige Prüfung des Berichtes an. Es machte aber zugleich deutlich, dass es gegenteilige Auffassungen gebe: In der kommenden Woche solle dazu ein Gutachten des Berliner Verfassungsrechtlers Ulrich Battis vorgestellt werden.
Die Abfrage der Daten bei den Mobilfunkbetreibern - mehr als eine Million Datensätze kamen zusammen - sei unverhältnismäßig und die Begründung dafür unzureichend gewesen, monierte Datenschützer Schurig. Das Landeskriminalamt (LKA) habe kein erkennbares Konzept zur Auswertung der Daten gehabt, stellte er in seinem Prüfbericht für den Landtag fest. Zudem hätten nicht nötige Daten längst gelöscht und davon Betroffene benachrichtigt werden müssen, sagte Schurig und verwies auf die Gesetzeslage. Die Staatsanwaltschaft Dresden habe sogar den Erlass der richterlichen Anordnung zur Datenerhebung selbst vorformuliert.
Schurig beanstandete damit die Arbeit der Polizeidirektion Dresden, des LKA und der Staatsanwaltschaft Dresden. Umfang und Ausmaß der Datenverarbeitung seien «herausragend», wenn man etwa bislang bekanntgewordene Abfragen vergleiche, stellte der Datenschützer fest. Polizei und Justiz hätten die Erhebung der Daten unzulässig als «Standardermittlungsmaßnahme» betrachtet. Die Abfragen hätten zudem mindestens zeitlich und örtlich eingegrenzt werden müssen, um nicht zu viele Unbeteiligte zu erfassen.
Damit gab Schurig letztlich den Kritikern Recht, die nach Bekanntwerden der Handy-Datenaffäre im Sommer schwere Vorwürfe gegen die Behörden erhoben hatten. So hatten Bundestags- und Landtagsabgeordnete, Rechtsanwälte und Journalisten sowie andere an den Ausschreitungen Unbeteiligte protestiert, weil sie sich in ihren Rechten verletzt sahen.
Hintergrund der Datenabfrage und -auswertung sind noch immer laufende Ermittlungen gegen Gewalttäter am Rande einer Demonstration am 19. Februar sowie gegen eine kriminelle Vereinigung aus dem linken Spektrum. Einmal wurden auf Anregung einer Sonderkommission der Dresdner Polizei Abfragen angeordnet, die mehrere Zeiträume von zusammen etwa neun Stunden und 14 Orte in der Dresdner Südvorstadt umfassten. Die Südvorstadt war das Zentrum der gewalttätigen Ausschreitungen. Zudem erhob das LKA bei seinen Ermittlungen gegen eine kriminelle Vereinigung Daten an drei Februartagen, einmal über 48 Stunden, einmal zwölf Stunden lang.
Die Affäre hatte bereits Konsequenzen: Weil er seine Vorgesetzen unzureichend über das Ausmaß informiert hatte, musste Dresdens Polizeipräsident Dieter Hanitsch im Sommer seinen Hut nehmen. Er wurde versetzt. Innen- sowie Justizministerium räumten Änderungsbedarf bei künftigen Datenabfragen ein. Sachsen hatte zudem kürzlich eine Bundesratsinitiative vorgestellt, um die Bedingungen für Datenabfragen in der Strafprozessordnung klarer zu formulieren. Von Petra Strutz
dpa stz yysn z2 bf
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