www.quo-vadis-dresden.de, 20.09.2011
Mit grobem Knüppel - Update Aufarbeitung 13./19. Februar
Die ungeheure Wucht, mit der Justiz und Regierung in Sachsen auf Andreas Schurigs Datenschutzbericht reagiert haben, erschreckt.
Mit ihren teils persönlichen Angriffen auf den Landesbeauftragten verschärfen sie eine Vertrauenskrise, deren Ausgang nun noch unkontrollierbarer wird.
Als der sächsische Datenschutzbeauftragte dem Landtag 9. September seinen lange erwarteten Bericht zum sogenannten Handyskandal übergibt, scheint für einen Moment eine Annäherung im Konflikt möglich. Sachsens oberster Datenhüter hat – um einen nach allen Seiten bestimmten, aber moderaten Ton bemüht – das Ausmaß der Grundrechtseingriffe detailliert beschrieben, Vorwürfe versachlicht, sozusagen konstruktive Kritik geübt und den notwendigerweise Gerügten gleichzeitig die Hand gereicht.
Mehr noch: Schurig sucht peinlichst jeden Eindruck zu vermeiden, er erfülle politische Erwartungen oder beuge sich öffentlichem Druck. Die Verkehrsdatenverwertung zur Ermittlung von Blockadeteilnehmern nimmt er beispielsweise bereits deshalb von einer Beanstandung aus, weil er entgegen eigener Auffassung die Bewertungen der Polizei zumindest für vertretbar hält. Er entlastet die Soko 19/2 vom Vorwurf einer Rasterfahndung und schätzt die Funkzellenabfrage des LKA am 13. Februar als rechtmäßig ein. Dazu gehört: Der Rechtsschutz informationeller Selbstbestimmung schließt für ihn selbstverständlich auch die Teilnehmer genehmigter rechtsextremistischer Demonstrationen ein.
Intention des Datenschutzberichtes ist erkennbar der Blick nach vorn, eine weitere politische Eskalation auf dieser Grundlage deshalb schwer möglich. Das Regierungslager könnte sogar von einer Art Abschluss profitieren: Schurigs Vorschlag, gesetzliche Grundlagen zu präzisieren, hat sich die Landesregierung längst in Form einer Bundesratsinitiative zu eigen gemacht. Im Zentrum des Orkans bietet sich plötzlich die Chance, mit Blick auf den nächsten 13. Februar eine aus den Fugen geratene Staatsanwaltschaft einzubinden, die im Falle ergebnisloser Ermittlungen gegen den Jenaer Pfarrer Lothar König oder Linken-Fraktionschef André Hahn einem unabsehbaren Imageschaden der Behörde mit all seinen Folgen entgegentreibt.
Das System hätte, zumindest nach außen, seine Fähigkeit zur Selbstkontrolle und -korrektur bewiesen.
Die Hoffnung auf einen Vergleich im längst bundesweit mit Staunen verfolgten Dauerstreit währt ganze zwei Tage. Dann platzt per Pressmitteilung sonntags dem Vorsitzenden des Sächsischen Richtervereins, Reiner Schade, der Kragen. Er liest als erster aus Schurigs Bericht jenen Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz heraus und fühlt sich nun offenbar selbst nicht mehr an einen respektvollen Umgang mit anderen Verfassungsorganen gebunden:
Mit dem groben Knüppel, mit dem der Datenschutzbeauftragte auf den Sack von Staatsanwaltschaft und Polizei einschlägt, will er in Wahrheit den Richter treffen, der die beanstandeten Maßnahmen angeordnet hat.
Damit überschreitet er aber in nicht hinnehmbarer Weise seine Kompetenzen und schädigt das Ansehen der Sächsischen Justiz. Er muss sich bei der Sächsischen Justiz entschuldigen.
Am Tag darauf spricht der Präsident des Oberlandesgerichtes, Ulrich Hagenloch, den Datenschutzbeauftragten direkt an – wieder per Pressemitteilung. Der Vorwurf wird präzisiert: Schurig greife ins Prinzip der Gewaltenteilung ein:
Ihr Vorgehen verstößt in zentralen Bereichen gegen § 27 Absatz 4 SächsDSG und stellt einen Eingriff in das verfassungsrechtliche Gewaltenteilungsprinzip dar. Meine Verantwortung für die Dritte Staatsgewalt und meine Fürsorgepflicht gegenüber den Richtern gebietet, Ihrem Einwirken in den justiziellen Kernbereich mit Entschiedenheit entgegenzutreten.
Am Dienstag endlich darf sich Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann in der Sächsischen Zeitung unter dem Titel „Ohne jeden Beweis“ Luft machen. Er unterstellt Schurig unter anderem Inkompetenz. Auf eine Entschuldigung verzichtet Fleischmann, nicht aber auf einen öffentlichen Widerruf:
Der Datenschutzbeauftragte versucht mit einer nicht überzeugenden Begründung, die beantragenden Staatsanwälte einer Gesetzesverletzung zu bezichtigen. Der Vorwurf ist für Juristen nicht nachvollziehbar. Überhaupt ist seine Rüge inhaltlich an vielen Stellen widersprüchlich und beruht zum Teil auf nicht überprüften Annahmen. Ich vermisse letztlich die gebotene Objektivität. Herr Schurig bewegt sich offensichtlich auf einem für ihn fremden Gebiet, für das er zudem gar nicht zuständig ist.
…
Herr Schurig sollte öffentlich richtigstellen, dass die Staatsanwaltschaft Dresden nicht gegen Gesetze verstoßen hat. Eine Entschuldigung brauche ich persönlich nicht.
Seine eigenes Objektivitätsverständnis hatte Generalstaatsanwalt Fleischmann schon kurz nach der Hausdurchsuchung in Jena im August deutlich gemacht. Mutig schreibt er in einem Offenen Antwortbrief an Tillichs Stelle:
Nicht zutreffend ist auch, dass die Funkzellenabfrage im Zuge friedlicher Protestaktionen gegen Neonazis erfolgte. Die Funkzellenabfrage erfolgte im Gegenteil nur für Bereiche, in denen es zu Auseinandersetzungen im Ausmaß eines Landfriedensbruchs kam und auch nur für die Zeiträume, in denen diese Delikte andauerten.
Schurig kann freilich mit dieser Art der Wahrheitsfindung nicht mithalten, wenn er in seinem Bericht nüchtern feststellt:
Zum 13., 18. und 19. Februar fanden auf Anregung des LKA Sachsen und auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden mehrere nichtindividualisierte Funkzellenabfragen statt. U. a. wurde ein Gebiet in Dresden über volle 48 Stunden, ein anderes, in dem Versammlungen und Gegendemonstrationen stattfanden, über 12 Stunden abgefragt.
Für den 18. und 19. Februar erhob das LKA Sachsen 896.072 Verkehrsdatensätze, 257.858 Rufnummern und 40.732 Bestandsdaten. Dies geschah im Rahmen von Strukturermittlungen“ gegen eine kriminelle Vereinigung.
Am Tag 4 schließlich, Mittwoch, dem 14. September, fährt auch die Landesregierung schweres Geschütz auf. Vor der anberaumten Landtagssitzung darf der Rechtsexperte Ulrich Battis ein Gegengutachten präsentieren; erstellt im Auftrag des sächsischen Innenministeriums. An sich bereits ein seltsames Vorgehen. Dass das Prinzip zwei Gutachter – drei Meinungen die entstandene Lage durch weitere Verunsicherung der Bevölkerung eher verschlimmern würde, dürfte Minister Ulbig dabei klar sein. Die Umstände lassen schnell weitere Zweifel am Wert der Gegendarstellung aufkommen: Obwohl der Datenschutzbericht Schurigs erst seit einigen Tagen öffentlich ist, setzt sich das Regierungsgutachten umfangreich mit den Bewertungen des Datenschutzbeauftragten auseinander und folgt in wesentlichen Punkten den über die Medien verbreiteten Auffassungen von Justiz und Landesregierung bzw. den Stellungnahmen von Polizei und Staatsanwaltschaft.
Für den Berliner Rechtswissenschaftler mag das Gegengutachten nicht mehr als scholastische Fingerübung gewesen sein. Das politische Signal aber ist verheerend. Dem sächsischen Datenschutzbeauftragte werden nun auch von Regierungsseite Kompetenzüberschreitung, Fehleinschätzung und mangelndes rechtsstaatliches Verständnis attestiert.
Kalkulierte Verunsicherung
Warum Battis? Positiv aufgefallen ist der Donsbach unter den Rechtsgelehrten dem Minister möglicherweise durch die Absegnung der sächsischen Gesinnungsklausel bei staatlichen Förderungen und eine verwaltungsfreundliche Grundhaltung zu Großprojekten. Professor Battis enttäuscht den sächsischen Innenminister nicht. Er folgt brav der großen Linie, dass der gute Zweck die Mittel heiligen müsse und gibt sich – ganz Profi – stellenweise nachdenklich (3b; aa, S.16):
Dennoch ist nicht zu verkennen, dass es sich bei der nachträglichen Funkzellenabfrage um eine heimliche Maßnahme handelt. Solche sind geeignet das Vertrauen der Bürger in die Telekommunikationsfreiheit zu erschüttern. Dies gilt um so mehr bei der Verwendung von Telekommunikationsmitteln im Rahmen einer grundrechtlich geschützten Versammlung, denn grds. schützt Art. 8 Abs.1 GG auch das Recht an einer Demonstration unerkannt teilzunehmen. Hinsichtlich der Intensität der Beeinträchtigungen … gilt es … zu beachten, dass ein gewisser Einschüchterungseffekt im Hinblick auf zukünftige Teilnahmen an öffentlichen Versammlungen nicht von der Hand zu weisen sind.
Dieser Einschüchterungseffekt findet im Schurig-Bericht eingehende Würdigung. Der Datenschutzbeauftragte stellt ihn aufgrund vielfacher öffentlicher Reaktionen auf die Überwachungsmaßnahmen bereits als in hohem Maße eingetreten fest. Battis rechnet die Einschüchterung der ihr Grundrecht ausübenden Demonstranten gleich mit mehreren Kunstgriffen auf gegen eine – auch künftig potentiell mögliche – Einschüchterung durch Gewalttäter, um daraus sein Fazit abzuleiten:
Der sächsische Datenschutzbeauftragte fürchtet einen besonderen Einschüchterungseffekt durch staatliche Registrierung und Überwachung von Versammlungsteilnehmern. Dieser Gedanke ist durchaus nachvollziehbar. Er hinterfragt aber nicht den Einschüchterungseffekt, der von gewaltbereiten Versammlungsteilnehmern ausgeht, die vermummt mit Eisenstangen und Pflastersteinen auf Polizeibeamte und unbeteiligte Dritte losgehen.
Hierin liegt endgültig die größere Bedrohung demokratischer Werte.
Im Bewusstsein dieses Verhältnisses müssen dann aber die Grundrechte der Drittbetroffenen insbesondere das Recht auf Versammlungsfreiheit der friedlichen Demonstranten und Gegendemonstranten hinter das Strafermittlungsinteresse der Allgemeinheit zurücktreten. In die Freiheit sich friedlich zur Kundgabe einer Meinungsäußerung in der Öffentlichkeit versammeln zu können, greifen auch militante Gegendemonstranten ein und zwar auch mittelbar im Hinblick auf zukünftige Versammlungen. Um diesem Eingriff entgegenzutreten, müssen die sich friedlich Versammelnden vor den Randalierern geschützt werden. Diesen eher generalpräventiven Aspekt kann der Staat aber nur gewährleisten, wenn seinen Strafermittlungsbehörden nicht die einzig aussichtsreiche Maßnahme zur Sachverhaltsaufklärung genommen wird.
Einen Nachweis darüber, dass die Funkzellenabfrage tatsächlich die einzig aussichtsreiche Maßnahme wäre, hatte Schurig allerdings nicht erhalten. Dafür einen Hinweis auf Personalnot.
Aufgrund der Auslastung der Polizeibeamten mit Aufgaben der Gefahrenabwehr hätten Täter nicht auf frischer Tat ergriffen und andere Strafverfolgungsmaßnahmen nur in geringem Umfang umgesetzt werden können.
Einen weiteren interessanten Aspekt zur Einschüchterungsproblematik hatte im Bericht bereits die Polizeidirektion Dresden beigesteuert – Motto: was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß:
In ihrer Stellungnahme vom 29. Juli 2011 verteidigt die PD Dresden die Anregung der Funkzellenabfrage als verhältnismäßig. Sie vertritt die Auffassung, dass durch die Funkzellenabfrage nicht in Schutzbereiche der Art. 5 und 8 GG eingegriffen worden sei. Zudem schließe die Heimlichkeit der verdeckten Maßnahme einen unmittelbaren Einschüchterungseffekt „argumentativ“ aus. Ein Präventiveffekt repressiver Maßnahmen werde im Übrigen naturgemäß bei potentiellen Straftätern erzielt, nicht jedoch bei friedlichen Demonstranten.
Schlägt Schurig und meint das Weihnachtsgeld
Die dünnhäutigen Reaktionen von Politik und Justiz auf Kritik, das komplette Versagen beim Krisenmanagement des Handyskandals bis hin zur bewusst in Kauf genommenen Beschädigung des Datenschutzbeauftragten, um ihn womöglich „mitzureißen“, verwundern. Das eigentliche Problem zerstörten oder noch nicht einmal entstandenen Vertrauens in tatsächliche Unabhängigkeit von Ermittlungsbehörden und Richtern in Sachsen ist offenkundig noch immer nicht erfasst. Eine Art schwäbisch-sächsischer Kauzigkeit der Justiz nimmt stattdessen immer groteskere Züge an.
Dass nun durch Stellungnahmen von Richtern die Justiz selbst Teil der Vertrauenskrise wird, zeigt darüber hinaus einen nicht für möglich gehaltenen Mangel an Selbstreflektion. Natürlich muss es irritieren, wenn Anträge der Staatsanwaltschaft bereits in Beschlussform auf Kopfbögen des zuständigen Amtsgerichtes ausgedruckt werden! Was denn sonst. Es ist nun gerade nicht Aufgabe des Datenschutzbeauftragten, aus Personalnot geborene Fehlentwicklungen hinzunehmen oder eine Art Geheimjustiz zu fördern.
Einen Zusammenhang zwischen chronischer Arbeitsüberlastung und den heftigen Ausfällen der Justiz gegen seinen Nachfolger stellt auch der ehemalige Datenschutzbeauftragte Sachsens, Thomas Giesen her. Die Klagen über Personalnot sind nicht neu. Richter Reiner Schade, der das Ansehen sächsischer Justiz ausgerechnet durch Andreas Schurig beschädigt sieht, aber des Balkens im eigenen Auge nicht gewahr wird und der das Signal zum Angriff gegeben hatte, beklagte in der Vereinszeitung sächsischer Richter 2008 (S.3):
Angesichts des Spardrucks in den öffentlichen Haushalten und dem damit verbundenen Personalabbauprogramm des Justizministeriums ist die gegenwärtige Situation in der sächsischen Justiz schwierig.
…
Viele von uns haben das Gefühl, zum juristischen Fließbandarbeiter degradiert worden zu sein, bei dem nur noch medial verwertbare Erledigungszahlen von Bedeutung sind und Bürgernähe nur eine populistische Worthülse ist. Quantität statt Qualität, Effizienz statt Rechtsfrieden und mediale Verwertbarkeit statt inhaltliche Richtigkeit scheinen die wesentlichen Leitlinien einer fortschreitenden Ökonomisierung der Justiz zu werden.
Diese Personalnot ist auch Inhalt eines Brandbriefes Schades an Stanislaw Tillich. Diesmal deckt der Richter nebenbei einen Zusammenhang auf zwischen dem gestrichenen Weihnachtsgeld 2011 und dem Ansehen des Freistaates:
Die Streichung ist ungerecht, betrifft sie doch nur einen Teil der im öffentlichen Dienst Tätigen. Gespart wird auf Kosten derjenigen, deren Möglichkeiten sich zu wehren, eingeschränkt sind. Diese Sparpolitik ist kontraproduktiv und beschädigt das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des Freistaates Sachsen.
…
Weitere Personaleinsparungen gehen unmittelbar zu Lasten eines zeitnahen und hochwertigen Rechtsschutzes, auf den sächsische Bürger und Unternehmen jedoch gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten lebensnotwendig angewiesen sind.
Abgesehen davon, dass sich viele Arbeitnehmer der so umsorgten freien sächsischen Wirtschaft an Urlaubs- und Weihnachtsgelder kaum noch erinnern können, gleichgültig, ob nun gerade wirtschaftlich harte Zeiten oder Aufschwung ausgerufen sind, einen Angriff auf drohende Unabhängigkeit der Justiz sieht der Bittsteller ausgerechnet im Personalabbau nicht. Dafür betrachtet er seine Behörde offenbar als eine Art Garanten für wirtschaftliche Wohlfahrt in Sachsen.
Und freilich käme es Schade kaum in den Sinn, Tillich vorzuwerfen, er schlage das Staatssäckel und meine die Richter oder er selbst schlage Schurig und meine die Unfähigkeit des Justizministers, mehr Personal bereitzustellen.
Schließlich, auch die Eskalation am 19. Februar in der Südvorstadt wurde mit fehlender Polizeipräsenz und dem Personalabbau bei Sachsens Polizei in Verbindung gebracht. Klagen und Frustration auch bei Polizeibeamten. In der Ausweitung von Überwachung die einzig erfolgversprechenden Präventions- und Ermittlungsmaßnahmen zu sehen, erscheint da als logische Konsequenz. Die Rechnung, den Landeshaushalt zulasten bürgerlicher Grundrechte zu sanieren, dürfte indes nicht aufgehen, wie die letzten Monate gezeigt haben; erst recht nicht mit einer zwanghaft konfrontativen Regierungspolitik der sächsischen Union.
Fortsetzung folgt
Die inzwischen an Blockierer verschickten Geldbußen haben die Kluft zur Bürgerschaft weiter vergrößert. Nicht alle unterschrieben das verlangte Schuldeingeständnis und erzwingen damit eine juristische Bewertung des aus ihrer Sicht zivilen Ungehorsams. Das Bündnis Dresden-nazifrei berichtet von Strafanzeigen gegen die Ermittlungsbehörden.
Ein wenig ratlos angesichts des sächsischen Weges zeigt sich in einem Zeit-Artikel auch der ehemalige, eher konservative Präsident des Bundesverfassungsgerichtes:
Nur weiß Papier wie kaum jemand sonst: Nicht der Gesetzestext allein ist immer maßgeblich. Auch der Geist eines Gesetzes ist von Bedeutung. Ein Staatsanwalt muss nicht zum letzten Mittel greifen. “Dreh- und Angelpunkt”, sagt Papier, “ist die Verhältnismäßigkeit.” Das gelte bei einer Funkzellenabfrage wie bei Hausdurchsuchungen. Der Einfall der sächsischen Polizei in Thüringen? “Das ist in jedem Fall ein eigenartiger Stil.”
Thomas Giesen spricht von der Notwendigkeit rechtsstaatlicher Organe „in Form“ zu sein. Was, wenn diese Formen nur Pseudomorphosen sind? Schurigs Vorgänger gewann vor fast zehn Jahren einen Prozess, den Dresdens Staatsanwaltschaft gegen ihn losgetreten hatte. Damals ging es neben Geheimnisverrat auch um Ansehen und Glaubwürdigkeit Sachsens. Der Freistaat zog bis vor den Bundesgerichtshof, um sich eine Abfuhr zu holen.
Bisher hat Andreas Schurig souverän und sachlich auf Angriffe und Widersprüchlichkeiten reagiert, einen längerfristigen Einschüchterungseffekt schließt das nicht aus.
Wenn auch im Falle Schurigs medialer Druck das damalige juristische Vorgehen abgelöst hat, von einem Lernprozess rechtsstaatlicher Institutionen kann keine Rede sein. Vor zehn Jahren prägte Michael Bartsch den Begriff vom System Biedenkopf. Für Bartsch waren die zehn Nachwendejahre für die Heranbildung eines entwickelten Demokratiebewusstseins in Sachsen verloren. Eine weitere Dekade ist verstrichen. Besser wurde es nicht.
Von Johannes Hellmich