DIE ZEIT, 29.09.2011
Intendantenwahl beim MDR - Kanal voll
Bernd Hilder ist gescheitert – ebenso wie eine sächsische Medienpolitik ohne Rücksicht auf Verluste
Am vergangenen Montag zeigte der Mitteldeutsche Rundfunk wie immer seine beliebte Ratgebersendung Hier ab vier . Um 17 Uhr begann der Themenschwerpunkt: »Vorsicht, Fettnäpfchen. Unangenehme Situationen meistern«. Es war genau das richtige Programm für diesen Tag und für diesen Sender. Denn die Lage, in der sich die ohnehin schwer ramponierte Anstalt seit Anfang der Woche befindet, ist: mehr als unangenehm. Und das Fettnäpfchen? Es ist eigentlich ein Fass. Eine ganze Mannschaft mächtiger Männer badet darin.
An jenem Montag tagte der Rundfunkrat des MDR, bestehend aus Vertretern von Politik, Kirche, Verbänden. Das Gremium sollte einen neuen Intendanten wählen. Es tat das Gegenteil: Die Männer und Frauen jagten einen Intendantenkandidaten vom Hof, als wäre der ein Fernsehclown.
Zwölf Stimmen gab es für Bernd Hilder. 29 gegen ihn. 28 Stimmen hätte der Kandidat gebraucht, um gewählt zu werden. Er bekam eine Zweidrittelmehrheit – gegen sich. »Das ist eine Klatsche«, sagt fast jeder Rundfunkrat, den man danach fragt.
Es ist vor allem eine Klatsche für die Sächsische Staatskanzlei, für deren Chef Johannes Beermann und für Stanislaw Tillich, den Ministerpräsidenten. Die Genese von Hilders Nominierung und Scheitern ist ein Lehrstück darüber, wie man mit Machtpositionen schachert – nach Art einer Teleshopping-Show. Das Wahlergebnis des Rundfunkrates ist auch ein Schlag gegen eine CDU-geführte Landesregierung, für die großspurige Medienpolitik der Hebel zu nationaler Bedeutung werden sollte.
Die Geschichte beginnt mit Udo Reiter, 67. Nach über zwei Jahrzehnten Führungsarbeit hatte der mächtige wie müde Gründungsintendant – manche sagen: endlich – im Mai 2011 seinen Amtsverzicht erklärt. Es war seine Reaktion auf eine Kaskade von schmierigen Geschäften und zweifelhaften Verbindungen in der Anstalt, deren bisheriger Höhepunkt die Affäre um Ex-Unterhaltungschef Udo Foht darstellt. Reiters Nachfolger, hieß es, solle aufräumen, er solle aus der Anstalt der Gesetzlosen wieder eine Anstalt öffentlichen Rechts machen. Bernd Hilder, Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung (LVZ), war zuerst einmal Reiters Wunschkandidat, so betont es der Politiker Beermann.
Aber Hilder war gewiss auch der Kandidat der sächsischen Staatsregierung. Die Episode zwischen Hilder und der Macht in Dresden, erzählt ein politischer Insider, habe vor etwa drei Jahren begonnen; in Hilders Leipziger Wohnung.
Er soll dort zwei Prominente zum Essen empfangen haben. Der eine heißt Udo Reiter. Der andere Stanislaw Tillich. Jemand, der damals nah dran war, sagt: Dort, am Tisch, habe man Bernd Hilder zum Kronprinzen des MDR erkoren.
Wie kam er zu dieser Ehre, was sollte ihn als Intendant qualifizieren? Führungserfahrung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat der Zeitungsmann nicht. Selbst Wohlmeinende sagen, Personalführung sei nicht unbedingt Hilders Sache. Und die LVZ gilt nicht gerade als innovatives Blatt.
Den Ruf des Kandidaten hat man auch in der MDR-Redaktion zur Kenntnis genommen. Als Hilders Scheitern in der Intendantenwahl auf den Fluren des Senders bekannt wurde, brach Feierlaune aus, und ein Mitarbeiter berichtete: »Der MDR ist dabei, sich sendeunfähig zu trinken.«
Die Intendantenkür, die so danebenging, hätte eine Art Gesellenstück werden sollen für Johannes Beermann. Der erste große Könnensbeweis in der kürzlich errungenen Funktion – im April war er zum Medienpolitik-Koordinator der unionsregierten Bundesländer erkoren worden. Damals schrieb die Süddeutsche Zeitung : »Man hat den Mann gewählt, der da am kräftigsten auf sich aufmerksam machte.« Fast zur gleichen Zeit gelang Stanislaw Tillich die Berufung in den ZDF-Verwaltungsrat – auch dies eine Schlüsselposition für medienpolitischen Einfluss. Beermann begann, sich zu positionieren als jemand, der den Öffentlich-Rechtlichen Grenzen aufzeigt.
Die Dresdner Staatskanzlei, auf nationaler Bühne bei den meisten Themen auffallend blass, hat damals die Medienpolitik für sich als Renommier- und Kampfplatz entdeckt: Hier suchen Beermann und Tillich überregionale Geltung. Der Staatskanzleichef, der gewöhnlich im Stillen arbeitet, habe mal für sich selbst »Advertising« betreiben können, heißt es in seinem Haus. Er versuche, sich zu profilieren.
Die Kür Hilders war auch ein Versuch aus Dresden, das Revier zu markieren: Wir Sachsen haben in Mitteldeutschland die Hosen an, sollte das heißen. Insofern dürfte die heftige Niederlage für Beermann geradezu einem Herunterlassen der Hose gleichkommen. Das Wahlergebnis vom Montag ist die Abrechnung des Sendergremiums mit Sachsens Anspruch. Mit Beermann, von dem es heißt, er habe womöglich zu viel Fernsehen geschaut: nämlich Rambo. Viele in den Gremien der Anstalt vergrätzte der Christdemokrat schon vor Wochen mit maßlosem MDR-Bashing: »Kaum eine Instanz in diesem Sender ist intakt«, sagte er da. Sein Kalkül war offensichtlich: Kandidaten aus dem Sender sollten unmöglich gemacht werden. Im Gegensatz zu Hilder.
Insofern sei das Misstrauen im Rundfunkrat, sei die krachende Niederlage Beermanns selbst verschuldet. Das beteuern sogar konservative Mitglieder. »Das Wahlergebnis«, sagt ein Rundfunkrat, »ist eine Folge der massiven Direktiven aus der sächsischen Politik. Die haben viele hier brüskiert.« Gremienkollegen berichten von »unzähligen« Anrufen des Staatssekretärs Erhard Weimann (CDU), Sprecher der Landesgruppe Sachsen im Rundfunkrat. Weimann selbst sagt: Er habe nur einige wenige Telefonate geführt – und lediglich Einschätzungen abgefragt. Die Genannten sehen das anders: »Da ist immens Druck aufgebaut worden.«
Rundfunkräte erinnern auch daran, dass die Staatskanzlei gleich zu Beginn der Kandidatensuche begann, sich einzumischen. Den Gremien wurde ein Rechtsgutachten vorgesetzt, aus dem hervorging, dass eine öffentliche Ausschreibung dieser Topstelle den MDR-Statuten widerspreche. Selbst wenn es so sein sollte: Was geht das die Regierung an? Warum erweckte man den Eindruck, es mit dem Gebot der Staatsferne nicht so genau zu nehmen?
Die Ausschreibung unterblieb dann tatsächlich. Hilder wurde nicht nur nominiert, sondern auch gegen eine andere Kandidatin durchgesetzt, die in den Gremien eigentlich beliebter war als er: Karola Wille, die Juristische Direktorin des MDR. Man hoffte wohl in Sachsen, der Rundfunkrat werde den eigenen Anwärter schon durchwinken. Es kam anders. All das zum Schaden des MDR, dessen Intendantensuche am 9. Oktober von vorn beginnt.
Am Mittwochabend stand die Verleihung des Fernsehpreises Goldene Henne an. Im Programm war der erste Auftritt einer aufstrebenden Band angekündigt, als besonderes Bonmot für die Zuschauer. Die Band heißt: Katzenjammer.
Von: Martin Machowecz, Mitarbeit: Jana Hensel und Stefan Schirmer