Agenturen dpa, 14:14 Uhr, 07.10.2011
Grass fordert von SPD Abkehr vom Kapitalismus
Berlin (dpa) - Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat die von ihm seit Jahrzehnten unterstützte SPD aufgerufen, sich zum Sprecher einer Abkehr vom derzeitigen kapitalistischen System zu machen. «Wir erleben, dass das System in dem wir leben, das kapitalistische, sich in einem Zustand der Selbstzerstörung befindet», sagte Grass am Freitag in der Berliner SPD-Zentrale bei der Vorstellung eines Buchs über seine legendäre sechsmonatige SPD-Wahlkampfreise 1969.
«Wir müssen das aufbrechen, etwas neues machen», sagte der 83 Jahre alte Grass. Die Politik sei den Banken hörig. «Die SPD sollte ihrer Tradition folgen und sich zum Sprecher einer solch grundlegenden Veränderung machen», forderte Grass und ergänzte: «Mir fehlen hier die entscheidenden Worte aus der politischen Richtung, die ich noch so lange unterstützen möchte, wie ich rauchen kann.» Es sei ein Skandal, wie über die griechischen Bürger hergezogen werde, die am wenigsten für die aktuellen Probleme in ihrem Land könnten.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel betonte, 30 Jahre sei zu sehr auf Schlagworte wie weniger Staat, mehr Markt und weniger Regulierung gehört worden sei. Auch die SPD habe dieses Spiel teilweise mitbetrieben. Daher werde es ein hartes Stück Arbeit, neue Wege zu gehen und die Bürger dafür zu gewinnen. «Die Lage ist wegen des Vertrauensverlusts für die SPD nicht ganz einfach.» Mit Blick auf die aktuellen Probleme sagte er, es dürfe keinen Cent mehr für die Banken geben, ohne dass der Staat an ihnen beteiligt werde.
Grass («Die Blechtrommel», «Der Butt») war 1969 sechs Monate in einem alten VW-Campingbus für die SPD und Kanzlerkandidat Willy Brandt durch das Land gereist. 32 000 Kilometer legte er zurück, die Reise führte in 79 Wahlkreise, und er sprach zu 60 000 Menschen.
Die SPD gewann schließlich 42,7 Prozent - dies bildete die Basis dafür, dass die erste sozial-liberale Koalition unter Führung von Willy Brandt gebildet werden konnte. Der heute 83 Jahre alte Grass sagt in einem Interview in dem Buch zu den Folgen des Einsatzes der von ihm angeführten Sozialdemokratischen Wählerinitiative: «Ich habe es öffentlich nie gesagt: Aber ohne die Wählerinitiative wäre die Wahl nicht zu gewinnen gewesen. Das ist meine Überzeugung.»
Autor: Georg Ismar
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071414 Okt 11