Sächsische Zeitung, 13.10.2011
Weg frei für Strafprozess gegen André Hahn
Vor mehr als einem Jahr hat der Fraktionschef der Linkspartei, André Hahn, zu einer Sitzblockade gegen Neonazis aufgerufen. Jetzt droht ihm ein Strafprozess.
Der Landtag hat gestern am späten Abend die Immunität des Fraktionschefs der Linkspartei, André Hahn, aufgehoben. Damit kam das Parlament einem Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden nach. Die Koalitionsabgeordneten von CDU und FDP stimmten dafür, die Oppositionsfraktionen von Linkspartei, SPD und Grünen votierten mit Nein.
Die Justiz wirft Hahn vor, verantwortlich zu sein für die Blockade eines Neonazi-Aufmarsches am 13. Februar 2010. Die sächsische Justiz wertet Sitzblockaden gegen genehmigte Demonstrationen als Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Hahn droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Die Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 500 Euro an einen gemeinnützigen Verein hatte Hahn abgelehnt. Bis zuletzt hatte sich der Links-Politiker gegen die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität gewehrt. Noch am Morgen hatte seine Fraktion beantragt, die Abstimmung bis zur Klärung aller rechtlichen Fragen zu verschieben. Diesem Wunsch waren allerdings nicht einmal die Grünen gefolgt, die ähnlich wie die Linkspartei das Ermittlungsverfahren gegen Hahn für „Willkür“ halten.
Hahn hatte die Abgeordneten vor der Abstimmung gebeten, dem Antrag der Staatsanwaltschaft nicht zuzustimmen. Es gehe in seinem Fall weder um Diebstahl noch um Körperverletzung oder ein Verkehrsdelikt, sondern um eine politischen Protestaktion gegen einen geplanten Neonazi-Aufmarsch in Dresden. Zur vermeintlichen Tatzeit sei er zudem gar nicht am Ort der Sitzblockaden gewesen, sondern habe an der Menschenkette in der Altstadt teilgenommen.
Hahn nannte es einen Missbrauch des Strafrechts, wenn gegen ihn als Fraktionschef einer Oppositionspartei ermittelt werde, gegen andere Politiker aber nicht. Gegen seinen Parlamentarischen Geschäftsführer sei das Verfahren eingestellt worden, obwohl dieser die ganze Zeit vor Ort gewesen sei. „Die politische Absicht ist nicht zu übersehen.“
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Christian Piwarz, erklärte in einer Pressemitteilung, seine Fraktion habe zugestimmt, weil es dem Landtag nicht zustehe, über Schuld oder Nichtschuld Hahns zu urteilen. „Das Parlament ist kein Gericht.“ Es sei aberwitzig, wenn sich Hahn zum Märtyrer stilisiere und dem Landtag vorwerfe, Demonstranten zu kriminalisieren.
Die Abstimmung in der Landtagssitzung war notwendig geworden, weil der zuständige Ausschuss zuvor zwar mehrheitlich, nicht aber einstimmig für die Aufhebung der Immunität votiert hatte.
Grundsätzlich genießen Abgeordnete Immunität vor Strafverfolgung. Das heißt, die Justiz darf gegen sie nur vorgehen, wenn der Landtag keine Einwände hat. Die Immunität soll verhindern, dass die Arbeitsfähigkeit des Parlaments behindert wird, indem zum Beispiel durch ein Strafverfahren die Mehrheitsverhältnisse im Parlament verändert werden. Dieser Schutz dient deshalb in erster Linie dem Landtag in seiner Gesamtheit.
Die Staatsanwaltschaft kann nun Anklage erheben oder einen Strafbefehl beantragen. Zuständig für einen Strafprozess wäre das Amtsgericht Dresden. Das gilt auch für die Verfahren gegen die Politiker der Linken Bodo Ramelow (Thüringen) sowie Willi van Ooyen und Janine Wissler (beide Hessen). Deren Verfahren dürften allerdings zu einem späteren Zeitpunkt beginnen.
Von Karin Schlottmann