Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 20.10.2011

Der Elbtal-Populist

Um Sachsens FDP aus der Krise zu führen, schielt Parteichef Holger Zastrow auf den rechten Rand. Damit wird er zunehmend zur Belastung - auch für den Koalitionspartner CDU. Eine Analyse von Jürgen Kochinke.
 
Dresden. Wenn es um die Stimmung in der schwarz-gelben Koalition geht, kommt der große Mann mit der Brille schon mal ins Schwärmen. "Ich bin von der Reformkraft dieser Regierung sehr, sehr überzeugt", entfuhr es Sachsens FDP-Chef Holger Zastrow 2009, beim Start des Bündnisses mit der CDU. Und auch mit Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) klappe es bestens. Immer wieder sei es zu Vier-Augen-Gesprächen mit ihm gekommen, da sei "eine ganz besondere Nähe entstanden".

Diese Jubeltöne liegen jetzt zwei Jahre zurück, und der offizielle Tenor ist bis heute derselbe. Doch hinter der Fassade sieht es anders aus, die Lage hat sich rapide gewandelt. Viele Abgeordnete aus CDU-Reihen rollen mittlerweile mit den Augen, wenn sie auf den kleinen Koalitionspartner angesprochen werden. Und dass die Wertkonservativen um CDU-Fraktionschef Steffen Flath seit jeher mit der liberalen Truppe des PR-Profis Zastrow wenig anzufangen wissen, gilt sowieso als offenes Geheimnis. Indiz für die akute Klimaverschlechterung ist die Tatsache, dass auch die Riege der CDU-Jungpolitiker erkennbar auf Distanz geht zu Zastrow.

Eben das war erst vergangene Woche zu beobachten, bei der beinharten Landtagsdebatte zu den Neonazi-Aufzügen am 13. Februar. Er sei für "Proteste in Sicht- und Hörweite" zu den braunen Marschierern, hatte der CDU-Jungpolitiker Christian Hartmann neue Töne angeschlagen; er sei bereit, einen Dialog mit allen demokratischen Kräften zu führen - "auch mit den Linken". Damit sorgte der gelernte Polizist nicht nur bei der Opposition von Linken, SPD und Grünen für Aufsehen, auch die FDP war erkennbar irritiert. Zastrows Berater seien hinterher "stinksauer" gewesen, sagt ein CDU-Mann, und ein anderer meint: "Die wahren Scharfmacher beim Thema sind die Liberalen, denen passt der Kurs von Hartmann überhaupt nicht ins Konzept."

Wie sehr diese These zutrifft, demonstrierte Zastrow nur wenige Stunden später. Er sei gegen eine Kooperation à la Hartmann, gab er zu Protokoll. "Die CDU darf linken Kräften nicht auf den Leim gehen, die gewalttätigen Extremisten einen politischen Schutzschirm aufspannen und ihnen ein demokratisches Deckmäntelchen umhängen." Das war Klartext an die Adresse der jungen Christdemokraten, und ganz nebenbei zeigt es: Zastrow ist ganz offensichtlich gewillt, die Konservativen rechts zu überholen.

Dahinter steht Strategie. "Zastrow zieht die nationale Karte", sagt ein CDU-Abgeordneter. "Er will aus der FDP eine sächsische FPÖ machen." Damit ist die Freiheitliche Partei Österreichs gemeint, deren Aushängeschild der tödlich verunglückte Rechtspopulist Jörg Haider war. Grund dafür sei die miese Lage der Partei, auf Bundesebene, zunehmend aber auch in Sachsen. In der Tat ist es FDP-Bundeschef Philipp Rösler bisher nicht gelungen, das liberale Profil zu schärfen und die Partei aus ihrem Umfragetief herauszuführen. Und auch im Freistaat droht Zastrows Truppe der Fall ins Bodenlose, bei katastrophalen zwei Prozent sehen sie Demoskopen neuerdings.

Entsprechend hat für die FDP der Überlebenskampf begonnen - nach dem heimlichen Motto: erst die Partei, dann die Belange der Koalition. Machterhalt nennt man das gemeinhin. Was manchen CDU-Mann mit Sorge erfüllt, nehmen Oppositionspolitiker zum Anlass für Kritik. Die Grüne Antje Hermenau zum Beispiel meint: "Offensichtlich ist Herr Zastrow der Auffassung, er könnte die FDP wiederbeleben, indem er sie auf eine neue Wählerklientel ausrichtet" - eine Art Jürgen Möllemann aus dem Elbtal.

Das populistische Kokettieren mit wenig liberalen Parolen hat durchaus Tradition in Sachsen. So war es Zastrows FDP, die Möllemann Mitte Juni 2002 zur Bootstour auf der Elbe einlud, obwohl dieser wegen Antisemitismus-Vorwürfen in der Kritik stand. Und bereits zwei Jahre zuvor hatte er der rechtslastigen Jungen Freiheit ein Interview gegeben. Doppelter Tenor: Er teile zwar Haiders Fremdenfeindlichkeit nicht, meinte Zastrow. Gleichzeitig fügte er hinzu: "Die FPÖ hat den Mut gehabt, sich mit den Etablierten anzulegen - und dieser Mut ist belohnt worden."

Dahinter steht das, was Zastrow "bürgerliche Protestpartei" nennt. Kostproben dafür gab es in den vergangenen Jahren reichlich. Ob Zastrow im Fall des Stephanie-Peinigers Mario M. mitteilte, statt zu diskutieren hätte man diesen doch einfach vom Gefängnisdach "holen müssen"; oder wenn er auf dem Chemnitzer Parteitag 2010 das miese FDP-Image mit einer SPD-gesteuerten Presse erklärt - stets offenbart er seine Vorliebe für einfache Wahrheiten. Dazu passt auch der unvergessene Wahlkampf-Slogan aus dem Jahr 2004. "Herz statt Hartz" lautete die Parole, die stark nach PDS oder rechtsextremer NPD klang. Erfolgreich war sie trotzdem, schließlich spülte es Sachsens FDP nach zehn Jahren Abstinenz wieder in den Landtag.

Daraus zieht der Dresdner seine Stärke, die Nachteile allerdings sind ebenso klar. Sachsens FDP, das zeigt sich immer deutlicher, ist allein Zastrow, danach kommt ganz lange nichts. Ausgesprochen klein und verschworen erscheint der innere Zirkel seiner Vertrauten; damit erwecken die sächsischen Liberalen zuweilen eher den Eindruck einer Polit-Sekte als einer demokratischen Partei.

Das hat sich mittlerweile herumgesprochen an der Elbe. Kurios daran ist allerdings, dass es selbst Resultat einer Erfolgsgeschichte ist. Sorgte die FDP als Opposition mit derben Attacken noch jahrelang für Aufsehen, so ist es seit der Wahl 2009 stiller geworden um sie. Damals holten die Liberalen satte zehn Prozent und sitzen seitdem mit auf der Regierungsbank. Damit allerdings tun sie sich schwer. Kaum einer wagt sich aus der Deckung, selbst der ehemals dezidiert linksliberale FDP-Mann Jürgen Martens ist vom Esprit früherer Tage weit entfernt, seit er Justizminister ist. Und auch die anderen FDP-Spitzen - allen voran Wirtschaftsminister Sven Morlok - machen keine glückliche Figur. Die Mühen der Exekutive, so scheint es, haben bei den Erfolgsverwöhnten tiefe Spuren hinterlassen. Ob sich dieser Makel durch Rückbesinnung auf populistische Parolen wird beheben lassen, ist offen.

Vom schwarz-gelben Bündnis im Freistaat, hatte Zastrow 2009 noch kraftstrotzend gesagt, könne sich auch die Bundespolitik einiges abgucken. "Von Sachsen lernen, wie man siegt", lautete sein Credo. Die Frage ist nur, wie lange das die CDU-Spitze um Tillich genauso sieht.

Karl Nolle im Webseitentest
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