Agenturen dpa, 15:59 Uhr, 14.11.2011
Der bewaffnete Kampf - Sachsen und die Neonazis
Noch ist nicht geklärt, wie lange der «Nationalsozialistische Untergrund» in Sachsen untergeschlüpft ist. Klar ist, dass der Freistaat für Rechtsextremisten eine besondere Bedeutung hat.
Dresden/Zwickau (dpa) - Die Linken in Sachsen sind überrascht von der allgemeinen Überraschung. Gemeint ist das Ausmaß an rechtsextremer Gewalt, die seit der jetzt aufgedeckten Mordserie einer Neonazi-Zelle aus Jena mit Unterschlupf in Zwickau dokumentiert ist. Acht Türken, ein Grieche und eine aus Thüringen stammende Polizistin fielen den Bluttaten zum Opfer. Seitdem ist von einer «Braune Armee Fraktion» und einer terroristischen Vereinigung die Rede.
Für Politiker wie Kerstin Köditz ist die braune Gefahr nicht einfach so vom Himmel gefallen. Als «antifaschistische Sprecherin» der linken Landtagsfraktion beschäftigt sie sich seit Jahren mit der rechtsextremen Szene. «Ich war regelrecht schockiert, als ich die Antwort auf meine jüngste Anfrage an die Regierung las: Demnach führen 38 Personen, die als Rechtsextremisten geführt sind, ganz legal Waffen - 105 Langwaffen und 51 Kurzwaffen», berichtet Köditz.
Dabei hatte schon der frühere sächsische Innenminister Klaus Hardraht (CDU) im Sommer 2000 ein Waffenverbot für Extremisten gefordert. Wegen des immer noch vorhandenen hohen Gewaltpotenzials müsse der Staat kompromisslos reagieren, sagte er damals. Der Jurist muss offenbar wie jeder andere von einem Waffenarsenal geschockt gewesen sein, dass die 2001 verbotene rechtsextreme Gruppierung «Skinheads Sächsische Schweiz» (SSS) angehäuft hatte.
Am 24. Juni 2000 hatte die Polizei bei einem Großeinsatz gegen die «SSS» ein regelrechtes Waffen- und Sprengstoffarsenal in eine Garage gefunden. Die Experten stellten unter anderem zwei Kilogramm TNT- Sprengstoff, Sprenggranaten, scharfe Zündvorrichtungen, Raketenteile, Pistolen, Panzerfäuste und Munition sicher. In der Garage befand sich auch eine Drehbank und Spezialwerkzeug, die zum Herstellen von Waffen geeignet waren.
Seit der Wende war Sachsen immer wieder mit Rechtsextremismus in die Schlagzeilen geraten. Als im Sommer 1991 der Neonazi Rainer Sonntag von einem Mann aus der Rotlichtszene erschossen wurde, formierte sich ein langer Trauerzug für das Opfer. Nach Angaben des Verfassungsschutzes war Sonntag vom vormaligen westdeutschen Neonazi-Führer Michael Kühnen nach Dresden entsandt worden und hatte dort den «Nationalen Widerstandes Dresden» organisiert.
Die Hatz auf Ausländer im September 1991 in Hoyerswerda brachte den Freistaat erstmals international in die Schlagzeilen. 32 Verletzte waren die Bilanz der Ausschreitungen, etwa 230 Ausländer verließen die Stadt. Die Spur von Rechtsextremismus und Fremdenhass zieht sich über die Schlägertruppe «Sturm 34» aus Mittweida bis zum Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini, die am 1. Juli 2009 aus Hass mitten in einem Gerichtssaal in Dresden niedergestochen wurde.
Und auch der «gepflegte» Rechtsextremismus hielt im Freistaat Einzug - auch wenn Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) die Bevölkerung «resistent» gegen das Übel wähnte: Im September 2004 gelang der NPD erstmals seit 1968 wieder der Sprung in ein deutsches Landesparlament. Sachsens Landtag wurde seither wiederholt zur Bühne für fremdenfeindliche und antisemitische Ausfälle. Auch wenn die NPD am Montag jegliche Form von Terrorismus geißelte - geistige Vorarbeit für braunes Gedankengut hat sie gewollt oder ungewollt geleistet.
Wie lange und wo genau der «Nationalsozialistische Untergrund» in Sachsen unterkam, ist noch nicht sicher. Die bis an die Zähne bewaffnete Zwickauer Zelle fand sich bislang in keinem Verfassungsschutzbericht - wohl weil sie so autonom agierte und sich mit Bekenntnissen bis jetzt zurückhielt. Womöglich wählten die drei aus Jena stammenden Neonazis nur deshalb die viertgrößte sächsische Stadt zu ihrem Domizil, weil Zwickau nah an der Heimat liegt - also Z wie Zufall?
Am SPD-geführten Rathaus dürfte es jedenfalls nicht gelegen haben. So darf Oberbürgermeisterin Pia Findeiß es durchaus als Kompliment verstehen, wenn sie von der NPD-Landtagsabgeordneten Gitta Schüssler als «Hetzerin gegen Rechts» bezeichnet wird. Findeiß selbst zeigte sich am Montag bestürzt, dass ausgerechnet in Zwickau Verbrechen mit rechtsextremistischen Motiven geplant wurden.
Im Melderegister der Stadt war das Trio nie aufgeführt, zumindest nicht unter den echten Namen, auch Polizei und Staatsanwaltschaft in Südwestsachsen waren die Jena-Kader bis zum 4. November nicht bekannt. Die Nachbarn wollen von der stramm rechtsgerichteten Ausrichtung von Beate Zschäpe, Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos nichts mitbekommen haben.
So ähnlich ging es kürzlich Oberbürgermeisterin Findeiß. Nach einem wohl gut gemeinten «Schwimmen für Demokratie und Toleranz» von Stadt und Land Mitte September versandte die NPD als Trophäe ein Foto, auf denen ein Funktionär der rechtsextremen Partei nach der Aktion mit Findeiß posierte. Sie hatte ihn nicht erkannt.
Von Jörg Schurig und Tino Moritz, dpa
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