DNN/LVZ, 19.11.2011
"Zocker vom Amt"
Riesa im Zwielicht: Untreueverdacht gegen Finanzbürgermeister, NPD im Anmarsch, Streit um Arena
Riesa. Große Besorgnis in der Stahl- und Sportstadt Riesa im Kreis Meißen. Es drohen Millionenverluste durch hochriskante Zinswetten. Gegen Finanzbürgermeister Markus Mütsch (CDU) wird wegen Untreue ermittelt. Und die NPD könnte sich hier breitmachen.
Der Finanzbürgermeister ist nicht zu sprechen. Verwiesen wird an die Pressestelle der Stadtverwaltung. Die teilt auf ihrer Homepage schriftlich mit, dass ihr bislang "keine Inhalte zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dresden gegen den Riesaer Bürgermeister für Finanzen, Bau und Ordnung, Markus Mütsch, bekannt" seien. Man werde "selbstverständlich vertrauensvoll mit der Staatsanwaltschaft Dresden zusammenarbeiten", um Schaden von der Stadt abzuwenden.
Aber der Schaden ist bereits da. Spätestens seitdem bekannt wurde, dass bei der Dresdner Staatsanwaltschaft zwei Anzeigen gegen den CDU-Kämmerer eingegangen sind, hat die 33000-Einwohner-Stadt einen Skandal. Der Verdacht lautet Untreue und ein mögliches Steuervergehen. Mehrere Medien hatten berichtet, dass Anzeige gegen Mütsch erstattet worden sei, weil er Provisionen von Banken für die Abschlüsse von Zinswettgeschäften erhalten haben soll.
Die Zinswetten des Kämmerers Mütsch, seit Jahren sind sie ein Aufreger. Mütsch, von dem gern behauptet wird, er sei ein Zocker mit Leib und Seele. Die hochriskanten Wetten auf Kursverläufe ausländischer Währungen, zu denen sich einige sächsische Kommunen verleiten ließen, habe er mit Kalkül und Spieltrieb abgezogen. So sehen es viele Beobachter, Mütsch selbst hat sich in der Vergangenheit so inszeniert. 2008 ließ er sich vom MDR in seinem Büro filmen als taffen Börsenexperten, der am Bildschirm Kurse verfolgt und dabei selbstzufrieden lächelt. Später mehrten sich die Berichte über Städte und Gemeinden in ganz Deutschland, die sich mit solchen Swap-Geschäften in den Ruin treiben. Riesa war ganz oben mit dabei. Seitdem hat Markus Mütsch seinen Ruf weg, er ist der "Zocker vom Amt", dessen Geschäfte die Stadt über 32 Millionen Euro kosten könnten, wenn sie jetzt fällig wären. Und das in einer Stadt, die mit 45 Millionen Euro verschuldet ist.
Anzeigen gegen Mütsch
Als die Prüfer des sächsischen Rechnungshofs im vergangenen Jahr warnend die Finger hoben, guckten sich auch die Riesaer Stadträte genauer an, was Mütsch da tat mit öffentlichem Geld. Einige waren empört, die Linken-Fraktionschefin Uta Knebel wollte den Kämmerer gar verklagen. Andere äußern sich mittlerweile vorsichtiger. Wie Horst Hofmann. Der SPD-Stadtrat räumt ein, dass wohl die wenigsten im Stadtrat wirklich von A bis Z verstanden, was genau hinter den Geschäften steckt, für die der Finanzbürgermeister jahrelang warb. Er habe auch Zweifel, dass der Stadtrat über jeden einzelnen Vorgang in Sachen Swaps informiert wurde. "Wenn ich eine Sache nicht in zehn Minuten absolut verstehe", sagt Hofmann, "darf ich sie nicht beschließen." Und doch gab es viele Beschlüsse dafür.
Nun liegen zwei Anzeigen gegen Mütsch vor. Hofmann, der sonst nicht mit Kritik an der Finanzpolitik des Rathauses spart, unterstellt dem Kämmerer dennoch "dass er bei alledem davon ausging, unsere Stadt soll reicher werden". Was aber die Geschäfte unterm Strich wirklich bringen, ist kaum greifbar. Aus der Stadtverwaltung hieß es kürzlich auf Anfrage, man habe seit 2003 durch die hochriskanten Deals rund 3,2 Millionen Euro gespart. Stadtrat Hofmann geht indes von 1,3 Millionen Miesen aus und ist zudem ernstlich besorgt angesichts der Minusgeschäfte, mit denen Kommunen wie Flöha in Mittelsachsen oder Reichenbach in der Oberlausitz kämpfen. Mütsch selbst verteidigte seine Geschäfte mit dem Argument, dass seine Swaps der Stadt ihre Erdgas-Arena erhalten habe, jene krass überdimensionierte Spielstätte aus grauem Beton, die jährlich mit zwei Millionen Euro bezuschusst werden muss.
Seit Jahren streiten die Riesaer darüber, was mit der Arena passieren soll. Soll man sie dicht machen? Soll man weiter 100000 Euro jährlich an den Ex-OB Wolfram Köhler (CDU) zahlen? Denn der hat, obwohl inzwischen in Florida wohnhaft, noch bis Ende 2013 einen Beratervertrag mit der Stadt laufen, der ihn verpflichtet, den Betonklotz zu bespielen. Ein anderer seltsamer Deal, der auf Riesa lastet. Im Oktober hieß es, Köhler habe sich bereit erklärt, seinen Beratervertrag ein Jahr früher aufzulösen - um die Stadt zu entlasten. Als Gegenleistung verlange er aber, dass die Arena, sein großes Werk aus besseren Zeiten, erhalten bleibt.
Widerstand gegen Apfel
Und dann ist da noch ein möglicher Zuzug, gegen den sich die Riesaer wehren. Nach der Wahl des rechtsextremen Riesaers Holger Apfel zum Bundesvorsitzenden der NPD könnte demnächst auch die Bundesgeschäftsstelle nach Riesa ziehen. Dort im Merzdorfer Gewerbegebiet haben die Stadtoberen im Herbst 2010 unter großem bundesweiten Beifall eine Straße umbenannt. Die Mannheimer Straße heißt seitdem Geschwister-Scholl-Straße. Keine passende Geschäftsadresse für eine Neonazi-Partei, die dort im eigenen Verlag ihre Pamphlete herausgibt. Ob die NPD-Zentrale nach Riesa kommt, sei noch nicht klar, erklärte Apfel am Dienstag in Dresden. Oberbürgermeisterin Gerti Töpfer (CDU) zeigte sich zuletzt zuversichtlich. Es würde sicher niemand bereit sein, der NPD ein Grundstück zu verkaufen. Zumindest darin waren sich die Riesaer einig.
Von Christine Keilholz