SUPERillu.de, 23.11.2011
Rechte Szene organisierter als angenommen - Das Netz der Nazi-Helfer
Die rechte Szene ist organisierter, als viele vielleicht denken. Das Terror-Trio aus Jena hatte offenbar ein Netzwerk von Helfern, Mitwissern und Unterstützern. Der Thüringer Verfassungsschutz ermittelt gegen 20 Rechtsextreme, die Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in den letzten Jahren geholfen haben sollen.
Neun Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern, der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter, 14 Banküberfälle, der Nagelbombenanschlag von Köln und die Frage: Wie schaffte es das Jenaer Killer-Trio, 13 Jahre lang unentdeckt im Untergrund zu agieren?
Zwei Wochen nach dem Auffliegen der Nazi-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe scheint klar, dass sich die drei auf ein Netzwerk rechter Helfer stützen konnten. Das meint auch die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): „Die Morde lassen Rückschlüsse auf ein Netzwerk im Untergrund zu.“
Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Thomas Oppermann, ist sicher: „Das Terror-Trio hatte weitere Helfer, ohne die ein Leben 13 Jahre im Untergrund nicht möglich gewesen wäre. Es gibt noch eine Reihe weiterer Verdächtiger. Ich rechne mit weiteren Festnahmen.“
Generalbundesanwalt Harald Range, der die Ermittlungen in der Mord- und Terrorgeschichte des Trios an sich gezogen hat, bestätigt, dass aktuell mindestens zwei Verdächtige im Visier der Ermittler sind. Bei den LKA-Leuten in Sachsen hingegen ist sogar von fünf möglichen Helfern die Rede. Und die Thüringer Verfassungsschützer sprechen gleich von etwa 20 Leuten.
Allein im Erzgebirgs-Ferienort Johanngeorgenstadt sollen mindestens fünf Personen Mitwisser oder Unterstützer des Trios gewesen sein. Dabei handelt es sich um eine Friseuse, einen Lkw-Fahrer, ein Ehepaar und den Bruder des Ehemannes. Nur eine könnte dazu gewiss etwas sagen: Beate Zschäpe. Aber die schweigt. Der Sprecher des Generalbundesanwalts zu SUPERillu: „Sie können versichert sein, wir ermitteln gegen alle.“ Gemeint sind jene, die Kontakte mit dem Trio hatten. Dabei handelt es sich bisher um folgende Namen – wobei ihre Reihenfolge keine Wertung ist ...
Holger G., der Autobeschaffer
Er wohnte einst in Jena, wurde in Hannover vernommen und hinterher gleich in U-Haft gesteckt. Zunächst behauptete G., dass er das Trio zwar aus alten Zeiten kenne. Aber: 2004 sei er jedoch aus der Szene ausgestiegen und hätte keine Hilfsdienste geleistet. Das war gelogen. Als ihn die Ermittler mit den ihnen bekannten Fakten konfrontierten, gab er zu, dass er doch einige „Gefälligkeiten“ geleistet hätte. Dabei soll es sich um die Anmietung von Wohnmobilen, die Herausgabe seines Führerscheins und später seines Reisepasses gehandelt haben.
André K., der Jugendfreund
Ihn haben die Ermittler von Anfang an auf ihrer Unterstützer-liste. Denn fest steht, dass der sich selbst so nennende „Führer“ der „Kameradschaft Jena“ als einer der engsten Freunde des Trios noch aus Jugendtagen gilt. Gegen ihn wird zurzeit wegen des Verdachts auf einen Verstoß gegen das Sprengstoffmittelgesetz ermittelt. Bekannt ist auch, dass K. den Abgetauchten eine Reise nach Südafrika organisieren wollte. Kontakte zu Gleichgesinnten dort bestehen schon seit den frühen 90er-Jahren.
Ralf W., der NPD-Kamerad
Er war 2002 stellvertretender Landesvorsitzender der NPD. Er ist mehrfach wegen Nötigung und Körperverletzung aufgefallen und kennt das Trio ebenfalls aus den Anfangsjahren. Insider vermuten bis heute bei ihm großes Hintergrundwissen. Doch der Immobilienmakler, der einst in Jena mit André K. die Nazi-Gaststätte in Lobeda „Das braune Haus“ betrieb, schweigt.
André & Susann E., die Video-Experten
Sie stehen im Verdacht, dass sie bis zuletzt in Kontakt mit Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos waren. Es heißt, dass die beiden einst eine Videothek in Johanngeorgenstadt betrieben hätten und nun die Firma „Aemedig“ betreiben. Unter diesem Logo bieten sie neben einem Versandhandel für Szene-Shirts auch Solarmontagen und Montagen für Videos an. Bei den Fahndern besteht der Verdacht, dass die beiden möglicherweise Anteil am Zustandekommen der Bekenner-CD unter dem Logo „Der rosarote Panther“ haben. Fest steht die Beziehung zum Trio für die Fahnder schon jetzt. Man fand zwei Bahncards, die zwar auf die Namen André und Susann E. ausgestellt und deren Kosten von ihrem Konto abgebucht sind, aber von Zschäpe und Böhnhardt benutzt wurden.
Matthias D., gab seine Identität
Unstrittig ist die persönliche Beziehung zwischen dem Johanngeorgenstädter und dem Trio. Der gelernte Fleischer ist als LKW-Fahrer unterwegs und wagt sich schon nicht mehr nach Hause ins Neubaugebiet der Bergstadt. Er befürchtet, in seiner Einfalt schon viel zu viel über seine Beziehung zu den dreien gesagt zu haben. Denn schon zwei Tage nachdem die Zwickauer Wohnung in die Luft geflogen war, musste sich D. den Fragen der Ermittler stellen. Grund: Sein Name soll sich sowohl auf dem Mietvertrag der ersten Wohnung in der Zwickauer Polenzstraße und dann später auch auf dem der Frühlingsstraße befunden haben. Sein Potsdamer Anwalt Klaus Baumgart zu SUPERillu: „Mein Mandant wurde reingelegt. Er kannte die drei unter falschen Namen. Für ihn war die Zschäpe immer nur Lissi. Eine junge Frau mit einem Freund, für die er eine Wohnung mietete, weil sie eine negative Schufa-Eintragung hatte.“ Zu engeren Kontakten in die Szene äußerte sich der Anwalt nicht. „Wir haben schon kurz nach dem Brand bei der Polizei alles offen gelegt.“ Anders die Mutter von D. Die freundliche ältere Dame hat kein Problem mit der Vergangenheit ihres Sohnes: „Natürlich war der als Jugendlicher bei den Rechten. Das sind doch hier alle irgendwie. Aber nun hat er damit nichts mehr zu tun.“
Tino Brandt, der Ex-V-Mann
Er gibt ganz offen seine Beziehung zum Trio zu und erklärt per Mail, dass er den Tod der Kameraden Böhnhardt und Mundlos sehr betrauert. Brandt war in den 1990er-Jahren einer der bedeutendsten Neonazis von Thüringen. In seiner Heimat in Rudolstadt plädierte er schon als Schüler für „national befreite Zonen“, gründete 1996 den „Thüringer Heimatschutz“, ein „deutsches Kameradschaftsnetzwerk“. Im April 2000 wurde er stellvertretender Landesvorsitzender der Thüringischen NPD. Am 12. Mai 2001 kam dann ans Licht, dass Brandt jahrelang als Informant auf dem Ticket des Verfassungsschutzes lief. Im Gespräch mit SUPERillu berichtet er offen über seine Kontakte zu den dreien. „Die kamen damals, das war so Mitte der 90er- Jahre, also in der Gründerzeit des „Thüringer Heimatschutzes“, mit einigen anderen jungen Leuten aus Jena immer zu uns nach Rudolstadt. Möglicherweise, weil sie hier genau auf die kameradschaftliche Atmosphäre stießen, die es in Jena nicht gab. Bei uns musste man sich nicht in der Kälte zwischen den Plattenbauten herumdrücken. Will sagen: Wir trafen uns anfangs immer in der gemütlichen Gastwirtschaft „Goldener Löwe“, oftmals mehr als 50, manchmal bis zu hundert Leute. Das Lokal war unser Sammelpunkt.“ Bewertend setzt er hinzu: „Die drei waren von unserer Sache überzeugt, Nationalsozialisten.“
Pikant an dieser Geschichte ist, dass Brandt selbst 2001 als V-Mann des Verfassungsschutzes geoutet wurde. Er sagt dazu: „Ich habe meine Überzeugung aber nie aufgegeben und für meine V-Mann-Arbeit so um die 200.000 Mark herum bekommen.“
Zur Frage, was er denn damit getan hätte, sagt Brandt ohne zu zögern im Interview: „Das Geld habe ich natürlich in die Bewegung investiert.“ Damit auch in Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos? Brandt: „Die drei gehörten doch zu uns ...“ Über seine Arbeit als V-Mann sagt der bekennende Neonazi heute: „Ich habe denen doch nur gesagt, was die ohnehin schon wussten.“ Brandt, der meist mit seinem Decknamen Otto unterzeichnete, bestätigt: „Manchmal reichte mir mein Kontaktmann – im Laufe der Jahre waren es drei – die Scheine unter dem Tisch zu, manchmal drückte er sie mir konspirativ in die Hand, manchmal gab es Geld in einem Briefumschlag, und manchmal war es in der Speisekarte versteckt. Das erfolgte immer dann immer mit der Bemerkung: Sehen Sie sich doch ruhig noch mal die Karte an.“
Auf die Tatsache angesprochen, dass er die Ziele seiner „Heimatschutz-Truppe“ mit Verfassungsschutz-Geld finanzierte, grinst Brandt nur dreist: „Na und. Ist das mein Problem...?“
Den Fall Tino Brandt bezeichnet Albrecht Schröter, Oberbürgermeister von Jena, der Stadt, aus der die Mitglieder der braunen Terrorbande NSU stammen, als Skandal. Schröter zu SUPERillu: „Wenn der Verfassungsschutz V-Männern hohe Geldbeträge gibt, und dieses Geld direkt in den Aufbau von rechtsradikalen Strukturen fließt, dann herrscht da eine Grauzone, die dringend politisch diskutiert werden muss. Es gibt also ein Versagen beim Verfassungsschutz. Es gibt aber auch bei denen ein Versagen, die die Gefahr von rechts bisher relativiert haben, zum Beispiel auch, indem sie ihn mit linker Gewalt in einen Topf warfen. Am Ende kam Verharmlosung dabei heraus. Und das Ergebnis davon sehen Sie jetzt.“ Schröter fordert als Reaktion darauf ein Verbot der NPD.
Die aus Thüringen stammende B90/Grünenpolitikerin Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, hält Forderungen nach einem schnellen Verbot der NPD dagegen für fragwürdig. Katrin Göring-Eckardt zu SUPERillu: „Zudem lenken diese Forderungen von den Fehlern in Politik und Sicherheitsbehörden ab. Ein Parteiverbot verhindert keinen Terror. Statt ein Verbot als Allheilmittel zu verkaufen, muss es vielmehr darum gehen, die Verbreitung von rechtsextremem Gedankengut zu verhindern und eine wehrhafte Zivilgesellschaft bei ihrem Kampf gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu unterstützen. Nicht zuletzt: Wenn ein solches Verbot erneut scheitern würde, dann wäre die NPD gestärkt und der demokratische Rechtsstaat erneut blamiert.“
Lorenz Caffier (CDU), der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, wo die NPD schon zum zweiten Mal in den Landtag gewählt wurde, ist für ein Verbot der Partei. Caffier zu SUPERillu: "Es gehört zu meinen politischen Grundüberzeugungen, dem Rechtsextremismus in allen seinen Erscheinungsformen entschlossen entgegen zu treten. Die von mir zu diesem Zweck entwickelte "Initiative für eine wehrhafte Demokratie" wird offensichtlich auch von den Verfassungsfeinden außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern registriert. Das bestärkt mich nur in meiner Entschlossenheit im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Ich werde keinen Schritt zurück weichen und weiter für ein NPD-Verbot werben".