Karl Nolle, MdL

Spiegel 49/2011, Seite 35, 05.12.2011

Geplante Gewaltanwendung

Eine Serie von Ermittlungspannen hat den rechten Terror begünstigt.
 
Als Beate Zschäpe am 4. November ihre Zwickauer Wohnung in Brand setzte, unterlief ihr wohl ein folgenschwerer Fehler: Sie vergaß, die Fenster zu öffnen. Anstelle eines Großfeuers, das Beweismittel vernichtet hätte, kam es durch die Gase des Brandbeschleunigers zuerst zu einer gewaltigen Verpuffung, die Druckwelle sprengte die Fassade und erstickte teilweise
die Flammen.

Ein Glücksfall für die Ermittler. Denn so konnten sie mehr als tausend Asservate aus dem konspirativen Hauptquartier der Neonazi-Zelle bergen, darunter Skizzen zu einem Mordtatort in Nürnberg und weiteren potentiellen Anschlagszielen, Stadtpläne mit Markierungen und detaillierte Beobachtungsprotokolle zu Zielobjekten.

Mit der Auswertung des Konvoluts sind inzwischen Hunderte Polizisten in der ganzen Republik beschäftigt. Es gilt, das fast 14 Jahre währende Leben und Töten der Zwickauer Zelle im Untergrund zu rekonstruieren. Fast täglich wird das Bild der Terroristen schärfer, aber auch die Pannen bei ihrer Verfolgung sind immer deutlicher zu erkennen.

So erinnert sich der frühere Anwalt von Uwe Böhnhardt an einen „Mann mit Trenchcoat“, der kurz nach der Flucht seines Mandanten 1998 in der Kanzlei in Gera erschienen sei. Er habe sich als Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes ausgewiesen und gebeten, Böhnhardt auszurichten, dass er im Fall einer Rückkehr aus dem Untergrund mit Strafmilderung rechnen könne.

Daraufhin, so der Anwalt, sei er zu Böhnhardts Mutter nach Jena gereist. Doch auch sie will keinen Kontakt mehr zu ihrem Sohn gehabt haben. Er blieb verschwunden.  Dennoch deutet vieles darauf hin, dass Verfassungsschützer nach dem Abtauchen des Trios Dutzende Hinweise auf einen möglichen Aufenthaltsort in Chemnitz hatten, wo die Neonazis im Oktober 1999 ihre ersten Banken überfallen haben sollen. Es gab, heißt es intern, mehr als 20 Observationen in dieser Zeit. Von den Landesämtern, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, von Zielfahndern. Und es gab zwei Volltreffer, die allerdings nicht zur Festnahme führten.

Vom 6. bis 8. Mai 2000 hatten die Geheimen eine mögliche Kontaktperson im Auge. Bei der Observation entstanden Fotos, darunter eine Aufnahme, die auf dem Parkplatz eines Einkaufsmarktes in Chemnitz geschossen wurde. Sie zeigt offenbar Uwe Böhnhardt, der gerade etwas in einen Kofferraum lädt. Der gestochen scharfe Abzug, der jetzt auch den Mitgliedern der Parlamentarischen Kontrollkommission im Thüringer Landtag gezeigt wurde, ging an das Landeskriminalamt und an das Bundeskriminalamt.
 
Doch da war Böhnhardt längst wieder abgetaucht. Auch der Versuch, ihn Monate später, an seinem 23. Geburtstag, in Chemnitz festzunehmen, schlug fehl. Böhnhardt erschien einen Tag früher als erwartet – erneut blieb den Geheimen nur ein Überwachungsfoto, aufgenommen von einer automatischen Kamera (SPIEGEL 48/2011).

Im März 2002 schließlich hatte der Verfassungsschutz einen weiteren Hinweis bekommen, das Trio sei in Chemnitz, doch wieder konnten die Neonazis entkommen. Wurden sie womöglich gewarnt? Im selben Jahr soll der Vater von Uwe Mundlos einen anonymen Brief erhalten haben. Der Absender behauptete darin offenbar, einer von Mundlos’ Partnern im Terror-Trio sei Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes.

Mundlos senior erstattete daraufhin, so heißt es in Sicherheitskreisen, Anzeige wegen Fluchthilfe gegen unbekannt. Doch die Sache verlief offenbar im Sande. Auch Polizei und Justiz fühlten sich stellenweise vom Verfassungsschutz behindert, wie es in alten Vermerken heißt. Die Beamten sahen sich im Raum Chemnitz damals einer stark wachsenden Szene von Rechtsextremen gegenüber.
 
Der sächsische Verfassungsschutz kam seinerzeit zu dem Schluss, dass „die Gefahr einer geplanten Gewaltanwendung durch unberechenbare Einzelpersonen oder konspirative Kleinstgruppen aufgrund des vorhandenen Potentials jederzeit gegeben“ sei. Und die Geheimen waren dicht dran.

Im sächsischen Verfassungsschutzbericht für 1998 wird explizit auf die „Blood & Honour-Sektion Sachsen“ hingewiesen; der Ableger des rechtsextremen Netzwerks gehöre „zu den bedeutendsten in der Bundesrepublik“. Als Hauspostille gab die braune Truppe damals den Titel „White Supremacy“  („Weiße Überlegenheit“) heraus.

Unter der Überschrift „Gedanken zur Szene“ wetterte ein anonymer Autor gegen „Kameraden“, die „nicht den Kampf zum Lebensinhalt“ hätten, „sondern das Vergnügen“, er lästerte über saufende Skinheads und politikfaule Aktivisten. „Wer nicht bereit ist, sich aktiv am Kampf und der Bewegung zu beteiligen, der unterstützt passiv alles, was sich gegen unser Volk und unsere Bewegung richtet.“ Das „antideutsche Pack“ brauche einen „Arschtritt“. Deshalb müsse man „nationale Parteien“ unterstützen.

Der brandenburgische Verfassungsschutz glaubte, den Verfasser des Textes zu kennen, und informierte die Sachsen vertraulich über dessen Identität: Es soll Uwe Mundlos gewesen sein. Herausgeber der Postille war Jan W.,  der nach Erkenntnissen der Brandenburger auch Waffen für das Trio beschaffen sollte und offenbar Kontakte zur rassistischen „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“ hatte. Ermittler gehen inzwischen dem Verdacht nach, dass die Zwickauer Zelle hier André E. getroffen haben könnte – den mutmaßlichen Produzenten ihres Bekennervideos.

Sven Röbel, Steffen Winter

Karl Nolle im Webseitentest
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