Agenturen, dapd, 11:16 Uhr, 11.12.2011
Die ungehörte Nazi-Gegnerin
Linke-Politikerin Köditz kämpft seit Jahren gegen Rechtsextremismus - Kritik an sächsischer Landesregierung
Grimma (dapd-lsc). Kerstin Köditz versteht es nicht. Gebetsmühlenartig hat sie in den vergangenen Jahren über das Gewaltpotenzial der extremen Rechten berichtet. «Und jetzt ist das Erschrecken plötzlich groß», sagt die Linke-Abgeordnete des sächsischen Landtages. Erst die Enthüllungen rund um die rechtsextreme Gruppe «Nationalsozialistischer Untergrund» hielten der Politik vor Augen, zu welchen Taten Rechtsextreme fähig seien.
Dafür, dass die Rechten keine friedfertigen Demokraten sind und auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, hält Köditz einige Beispiele parat: Bei Durchsuchungen der 2001 verbotenen Kameradschaft «Skinheads Sächsische Schweiz» wurden Waffen, Sprengstoff und Granaten gefunden. Nach Angaben des Innenministeriums besitzen 38 Rechtsextremisten im Freistaat legal 156 Waffen. Und in regelmäßigen Abständen verüben Neonazis Brandanschläge - zuletzt im Sommer 2010 in Dresden. «Das Problem ist nicht neu», sagt Köditz.
Ernsthaft wahrgenommen wurde das Thema nach Einschätzung von Köditz in den vergangenen Jahren nicht. «Ich sehe in Sachsen eigentlich immer wieder, dass die Thematik nicht gesehen werden will», sagt sie. Im Alltag fange es schon an, wenn die Polizei von «Schmierfinken» rede, nachdem Häuser mit Hakenkreuzen beschmiert wurden. Die Landesregierung betreibe gar eine «Problemverschleierung» und spiele alle Fälle immer herunter.
Gefragte Gesprächspartnerin
Seit 2001 sitzt die gebürtige Leipzigerin im sächsischen Landtag. Für die damalige PDS und die jetzige Linke agiert Köditz seit 2004 als antifaschistische Sprecherin. Geht es um den Kampf gegen Rechtsextremisten, ist sie eine gefragte Gesprächspartnerin. Vor allem jetzt, da das Thema wieder auf der politischen Tagesordnung steht, wollen vor allem viele Journalisten vom Fachwissen der 44-Jährigen profitieren. «Mein Telefon steht nicht mehr still», sagt sie. Neben zahlreichen regionalen und überregionalen Presseleuten meldeten sich in den vergangenen Wochen auch die BBC und das schwedische Fernsehen bei ihr.
Ein Besuch im Bürgerbüro der Linke-Politikerin in Grimma macht deutlich, wie ernsthaft Köditz den Kampf gegen Rechts betreibt. Da stehen rund 3.500 Bände, darunter zahllose zum Thema Nationalsozialismus und Rechtsextremismus. Die Schränke im Nebenraum sind mit etwa 400 Ordnern komplett zugestellt. Dort lagern parlamentarische Dokumente aus den vergangenen Jahren, Berichte über rechte Gewalttaten und eine Sammlung von rechten Zeitschriften aus ganz Europa. Auch die NPD-Zeitschrift «Deutsche Stimme» bekommt Köditz monatlich zugeschickt. «Man muss die Sachen kennen, um sich damit auseinandersetzen zu können», argumentiert Köditz.
Drohbriefe und eingeschlagene Haustür
Diese Auseinandersetzung verschafft der 44-Jährigen immer wieder Probleme. Regelmäßig wird ihr Türschild am Bürgerbüro in Grimma mit Hakenkreuzen und Parolen beschmiert. Die Haustür wurde schon einmal eingeschlagen. Drohbriefe und Hass-Mails bekommt sie sowieso. «Da habe ich mich mittlerweile leider dran gewöhnt», sagt sie. Dies sei eben der Preis für das Engagement.
Dass der Kampf gegen die extreme Rechte nach den Enthüllungen um die NSU in Sachsen künftig einfacher wird, daran glaubt Kerstin Köditz bisher nicht. Noch sei die Landesregierung viel zu sehr damit beschäftigt, die komplette Verantwortung wegzuschieben. Zwar werde eingeräumt, dass das Trio jahrelang in Sachsen gelebt hat. In einem Atemzug komme dann aber direkt die Verteidigung, dass die Morde woanders stattgefunden haben. «Sie haben noch nicht verstanden, dass es auch ein sächsisches Problem ist.»
Von Christian Wolf
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111116 Dez 11