spiegel-online, 12:00 Uhr, 11.12.2011
130 V-Leute in der NPD - keiner meldete Zwickauer Zelle
Mehr als 130 V-Leute sind nach SPIEGEL-Informationen in der NPD aktiv - in der Parteiführung oder als einfache Mitglieder. Aber der Verfassungschutz scheint von ihnen keine Informationen über die Zwickauer Zelle erhalten zu haben. Am Morgen wurde Matthias D., ein mutmaßlicher Unterstützer der Terrortruppe, festgenommen.
Wussten keiner der V-Leute in der NPD von der rechtsextremen Mörderbande oder gab es womöglich sogar welche, die ihr Wissen nicht weitergaben? Klar ist jedenfalls, es gibt nach wie vor reichlich Informanten des Verfassungsschutz in der rechtextremen Partei - mit womöglich weitreichenden Konsequenzen.
Im Fall eines neuen NPD-Verbotsverfahrens müssten sich die Verfassungsschutzämter vermutlich von mehr als hundert dieser V-Leute trennen. Dabei hatten die Dienste bereits als Konsequenz aus dem ersten gescheiterten NPD-Verbotsverfahren 2003 die Anzahl von hochrangigen Zuträgern reduziert, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Partei würde staatlich gesteuert.
Allerdings berichten immer noch mehr als zehn Informanten aus den Führungsgremien der Partei. Bei mehr als der Hälfte der V-Leute handelt es sich um Neonazis, die sowohl in rechtsextremen Kameradschaften als auch in der NPD aktiv sind.
Sie abzuschalten gilt bei den Innenministern von Bund und Ländern als besonders heikel, weil damit der Zugang in die militante Neonazi-Szene extrem erschwert werde. Der Umgang mit den staatlichen Zuträgern in der NPD ist wichtigster Streitpunkt unter den Innenministern.
Widerstand aus Hessen, Niedersachsen und Bayern
Während die meisten SPD-geführten Bundesländer bereits ihre V-Leute aus den Vorständen abgezogen haben und zumindest teilweise bereit wären, sämtliche Quellen abzuschalten, gibt es in CDU-geführten Ländern wie Hessen, Niedersachsen und Bayern erheblichen Widerstand.
Die Innenministerkonferenz selbst kann keinen Verbotsantrag auf den Weg bringen, sondern nur ein Signal setzen. Nur Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung können einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht stellen.
Im Jahr 2003 hatten die Karlsruher Richter einen ersten Verbotsantrag aus formalen Gründen abgewiesen, weil der Einfluss von V-Leuten des Verfassungsschutzes in der NPD-Führung unklar war. Die Debatte um einen erneuten Vorstoß war durch das Zwickauer Neonazi-Trio, dem zehn Morde angelastet werden, in Gang gekommen.
Neue Erkenntnisse, Verhaftung im Fall Zwickauer Terrorzelle
Die Ermittlungen im Umfeld der Zwickauer Terrorzelle machen derweil Fortschritte. Am Sonntag wurde Matthias D. festgenommen, der im Verdacht steht, die Terrorzelle in zwei Fällen unterstützt zu haben. Das Bundeskriminalamt (BKA) ließ insgesamt drei Wohnungen im Landkreis Erzgebirge durchsuchen, darunter die von D. und die einer weiteren möglichen Unterstützerin.
Matthias D. aus Johanngeorgenstadt soll zwei Wohnungen in Zwickau gemietet haben, in denen das Terror-Trio Unterschlupf fand. Die Miete sollen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in bar bezahlt haben. Sein Anwalt sagt kürzlich, D. habe aus reiner Naivität gehandelt und werde als Zeuge, nicht als Beschuldigter geführt. Das sieht die Bundesstaatsanwaltschaft offensichtlich anders. Es habe bereits seit dem 8. Dezember ein Haftbefehl gegen den 36-Jährigen vorgelegen, heißt es.
Matthias D. gehörte zur "Brigade Ost", einer rechtsradikalen Clique. Die meisten der Mitglieder arbeiteten im Westen, lebten im Osten. Sie führen jedes Wochenende nach Hause, frönten ihrer rechtsextremen Gesinnung. Einige Jungs galten als gefährlich, einige sind vorbestraft. Im Ort nannte man sie "Stammtisch-Nazis".
Insgesamt hat sich die Zahl der Beschuldigten im Ermittlungsverfahren gegen die Zwickauer Zelle nach SPIEGEL-Informationen auf sieben erhöht. Neben Matthias D. beschuldigt die Bundesanwaltschaft auch Mandy S., für das rechtsradikale Trio Unterkünfte in Sachsen organisiert zu haben.
Der "Tagesspiegel am Sonntag" berichtet zudem, dass auch ein vom Thüringer Verfassungsschutz geführter V-Mann in Verdacht stehe, das Terror-Trio Ende der Neunziger aktiv unterstützt zu haben. Nach Informationen der Zeitung habe es sich bei dem V-Mann um ein führendes Mitglied des sogenannten Thüringer Heimatschutz gehandelt.