Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 16:40 Uhr, 22.12.2011

Die Nazi-Funker aus dem Netz

Prozess gegen Rechtsextreme
 
Sie nannten sich "SS-Engel", "Staatsfeind" und "Terror88": In Koblenz stehen führende Köpfe des vielleicht wichtigsten rechtsextremen Radiosenders in Deutschland vor Gericht. Sie sollen im Internet zum Mord an Ausländern aufgerufen und den Nationalsozialismus verherrlicht haben.

Einer fehlt. In dem kargen Saal 102 des Koblenzer Landgerichts sitzen elf Angeklagte, zwölf Verteidiger, drei Richter, zwei Schöffen, zwei Wachtmeister, ein Protokollführer und ein Oberstaatsanwalt. Zwei Zeugen sind angereist, drei Journalisten gekommen, nur Thomas B., mutmaßlich einer der Köpfe des rechtsextremen "Widerstand Radios" lässt sich an diesem Mittwochmorgen nicht blicken. "Unentschuldigt ferngeblieben", murmelt der Vorsitzende der 12. Strafkammer und wendet sich an eine der Frauen.

"Haben Sie nicht mit ihm telefoniert?"

Die blasse Gestalt mit dem rasierten Schädel nickt und nuschelt, B. habe ihr gesagt, sein ganzes Geld sei weg, er habe es "versoffen".

"In Alkohol umgesetzt?", fragt der Richter erstaunt. Erneutes Nicken der Angeklagten: "Versoffen!" Einer der stark nach Alkohol riechenden Skinheads im Publikum lacht wissend und das Gericht erlässt einen Haftbefehl gegen B. Dann kann die Verhandlung beginnen.

Hetze gegen Ausländer, Juden und Linke

Der Prozess mit dem Aktenzeichen 2090 Js 334/11 - 12 Kls ist nicht irgendeine Neonazi-Sache, sondern die Folge eines der umfangreichsten Ermittlungsverfahren gegen Rechtsextremisten in Deutschland. Monatelang hatte das Staatsschutzreferat ST 14 des Bundeskriminalamts (BKA) mit großem Aufwand recherchiert. "Es war das Radio in der Szene", so ein Kriminaloberkommissar. "Wirklich professionell." Deswegen sei man damals aktiv geworden.

Im Januar 2010 machte das Bundesamt für Verfassungsschutz das BKA auf den Internet-Sender aufmerksam. Dort hetzten Extremisten, die sich "SS-Engel", "Staatsfeind" und "Terror88" nannten, gegen Ausländer, Juden und Linke. Dazu spielten sie menschenverachtende Songs mit widerwärtigen Titeln wie "Hänge, schwarze Sau", "Blut muss fließen" oder "Holocaust2000", in denen zu schwersten Straftaten aufgerufen und die Nazi-Diktatur verherrlicht wurde. An einer Stelle hieß es etwa: " Adolf Hitler, steig hernieder und regiere Deutschland wieder!"

Der 418-Seiten starken Anklage zufolge diente die Plattform dazu, "die nationalsozialistische Ideologie zu verbreiten, die Zustände während des Hitler-Regimes zu glorifizieren, eine fremdenfeindliche, antisemitische und gegen politisch Andersdenkende gerichtete Hetzpropaganda zu betreiben und über das Medium Musik Nachwuchs für die rechte Szene zu rekrutieren."

Mitmachen durfte demnach in der streng hierarchisch gegliederten Gemeinschaft des "Widerstand Radios" nur, wer einen Fürsprecher hatte. Zudem mussten die Moderatoren laut BKA monatliche Mitgliedsbeiträge entrichten, zuletzt seien es wohl etwa zehn Euro gewesen, so ein Beamter vor Gericht. Die Musik stammte aus einer Datenbank und wurde per Zufallsgenerator ausgewählt. Darüber hinaus konnten die Extremisten aber Sendungen auch nach ihrem eigenen Geschmack gestalten. Einem Ermittler zufolge wurde die Seite bis zum November 2010 insgesamt 135.000-mal angesteuert, bis zu 80 Neonazis hörten zeitgleich zu.

Alle Angeklagten räumen ihre Taten ein - bis auf Katrin R.

Die Staatsanwaltschaft wirft Claudia D., Sandra H., Alexandra R., Marty H., Eva F., Katrin R., Jennifer G., Ronny B., Jasmin D., Thomas B., Christian G. und Michael B. daher nun die Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung sowie Volksverhetzung vor. Fast alle Angeklagten haben ihre Taten eingeräumt, nur Katrin R., deren Mann zum Führungszirkel des "Widerstand Radios" gehörte, bestreitet eine strafrechtliche relevante Beteiligung.

R., eine zierliche Person mit lila gefärbten Haaren, roter Brille und Augenbrauen-Piercing, lässt ihren Anwalt, einen ehemaligen NPD-Funktionär, erklären, sie habe zwar im Chatraum mitdiskutiert, aber keinesfalls ihren Mann als Administrator der Seite vertreten, wie es ein Zeuge ausgesagt hatte. Auch habe sie nicht an den virtuellen Redaktionskonferenzen sonntagabends teilgenommen, weil sie zu dieser Zeit ihr Kind habe versorgen müssen, was ihr stets wichtiger gewesen sei.

Ein BKA-Beamter sagt später aus, R. habe einmal ihren Gatten dabei gefilmt, wie er einen anderen Mann blutig geschlagen habe. Das Video sei später ins Internet gestellt worden. Auf eine Frage des Vorsitzenden Richters reagiert Katrin R. indes nicht - und man weiß nicht, ob sie aus Trotz schweigt oder weil sie die Frage schlichtweg nicht verstanden hat. Der Oberstaatsanwalt jedenfalls winkt ab: "Da kommt ja eh nichts."

Claudia D. hingegen, die gemeinsam mit ihrem Mann das "Widerstand Radio" ins Leben gerufen und selbst auch schon einmal "Sieg Heil"-Grüße gesendet haben soll, erklärt vor Gericht: "Heute ist für mich gar nicht mehr nachvollziehbar, warum ich das alles getan habe." Und die fünffache Mutter Eva F. bereut ihr Engagement inzwischen angeblich sogar: "Die Parolen und Lieder wurden immer radikaler."

Im April 2011 hatte das Landgericht Koblenz in einem ersten Verfahren bereits 18 Extremisten zum Teil zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Vorsitzende der Kammer sagte seinerzeit zur Begründung: "Das war menschenverachtend bis zum Gehtnichtmehr." Acht Neonazis haben Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt, ein Beschluss des Bundesgerichtshofs dazu steht noch aus.

Am Ende waren die rechten Radiomacher sogar noch kooperativ. Der Bitte des BKA, die in den USA gehostete Seite abzuschalten, kamen die Nazis freundlicherweise nach. Hätten die Extremisten sich diesem Begehren der Behörden verweigert, so ein Ermittler vor Gericht, "hätten wir nichts machen können." Denn in den Vereinigten Staaten gilt eine fast grenzenlose Meinungsfreiheit, von der zahllose deutsche Hetzer profitieren.
(Der Prozess wird fortgesetzt)

Von Jörg Diehl, Koblenz


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