Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 22.12.2011

Erster Blockierer verurteilt

Ein Student versucht am 19. Februar mit Hunderten anderen, einen Nazi-Aufmarsch in Dresden zu verhindern. Das kostet 300 Euro, entscheidet der Richter.
 
Mit einer Überraschung endete gestern der Prozess gegen einen Studenten, der sich am 19. Februar in Dresden an der Verhinderung eines Aufzugs von Rechtsextremisten beteiligt haben soll. Der 22-Jährige wurde wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe von 300 Euro verurteilt. Damit ging Strafrichter Hajo Falk vom Amtsgericht Dresden deutlich über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß einer Verwarnung hinaus.

Der Angeklagte Daniel H. ist der erste Blockierer, der in einem öffentlichen Prozess schuldig gesprochen wurde. Zahlreiche Schaulustige vor allem aus dem Lager der Gegendemonstranten verfolgten die Verhandlung mit Spannung. Der Schuldspruch verblüffte sie nun, zumal erst vor einer Woche ein 40-jähriger Student vom Blockade-Vorwurf freigesprochen worden war. Der Mann hatte jedoch glaubhaft gemacht, dass er nicht an der Blockade teilgenommen habe.

Die beiden Prozesse zeigen nun, wie schwierig es nach zehn Monaten ist, die Frage der Schuld im Einzelfall zu beantworten. Inzwischen liegen Dutzende weitere Blockade-Verfahren auf den Tischen der Dresdner Amtsrichter. Neun Zeugen hatte Richter Falk im aktuellen Prozess angehört, darunter allein sieben Polizisten aus Nordrhein-Westfalen. Wenn das auch die Richter der kommenden Prozesse als notwendig erachten, müssen sich die Beamten auf viele Reisestunden einstellen.

„Eine grobe Störung“

Die Uniformierten aus Köln und Dortmund standen am 19. Februar im Zentrum der Ausschreitungen in der Südvorstadt. An dem Tag war es am Rande eines geplanten Nazi-Aufmarschs zu den bislang schwersten Krawallen in Dresden gekommen. Etwa 20000 Menschen demonstrierten friedlich gegen den Aufmarsch. Doch Hunderte Störer – darunter Autonome, linke und rechte Gewalttäter – gingen brutal auf die Polizei los, die die gegnerischen Lager trennen musste.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun nicht nur gegen Dutzende mutmaßliche Gewalttäter, sondern auch gegen mehr als 300 Menschen, die sich an der Sitzblockade beteiligt hatten. Richter Falk ist überzeugt, dass Daniel H. mit bis zu 1700 anderen die Fritz-Löffler-Straße versperrte. Die Straße lag auf der Route eines genehmigten Aufmarschs mehrerer Hundert Rechtsextremisten, die unterdessen am Nürnberger Platz und am Hauptbahnhof ausharren mussten – bis ihr Aufmarsch ganz platzte. Die Verhinderung nannte Falk nun eine „ohne Zweifel grobe Störung“.

Erst als die Nazis abgezogen waren, kesselte die Polizei die Blockade ein, um die Personalien der noch etwa 1000 Gegendemonstranten aufzunehmen. Nach 17 Uhr durchbrachen 800 Störer mit Gewalt den Kessel und rannten davon. Ob Daniel H. darunter oder unter den 200 Verbliebenen war, ließ sich im Prozess nicht mehr klären. Die Beamten hatten nicht die Uhrzeit notiert, als sie ihn anhand seines Personalausweises identifizierten.

Daniel H. hatte sich in dem zweitägigen Prozess nicht zu dem Vorwurf geäußert, dafür seine Verteidigerin Kristin Pietrzyk aus Jena umso deutlicher: Es fehle der Beweis, dass ihr Mandant überhaupt am Ort war, sagte sie. Die Blockade nannte sie eine schützenswerte Versammlung: „Die Polizei hat es versäumt, diese mit Auflagen zu versehen und auf die Seite zu bitten.“ Hinzu komme, dass es kein gültiges Gesetz gebe, um Blockierer zu bestrafen: Das Sächsische Versammlungsgesetz war zum Zeitpunkt der Blockaden nicht in Kraft. Sie forderte einen Freispruch.

Minderheiten haben Rechte

Richter Falk sah das ganz anders. Da es kein sächsisches Gesetz gab, sei automatisch das Bundes-Versammlungsgesetz anzuwenden. Da Daniel H. im Kessel festgestellt wurde, habe er sich an der Blockade beteiligt. Es sei „lebensfremd und nicht nachvollziehbar“, dass er zufällig in den Kessel geraten sei. Es sei das klare Ziel der Blockierer gewesen, den Nazi-Aufmarsch zu verhindern – damit hätten sie sich strafbar gemacht. Falk: „In einem Rechtsstaat haben auch unliebsame Menschen Grundrechte. Ich möchte nicht in einem Staat leben, in dem Minderheiten nicht geschützt werden.“

Von Alexander Schneider

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