welt-online.de, 04.01.2012
Gespaltene Nation: Auch Wulff gehört zu Deutschland - nur zu welchem?
Kommentar von Henryk M. Broder
Wulff will Präsident von einem Land sein, in dem man sich Geld von Freunden leihen darf. Aber die, die dieses Land tragen, haben selten Freunde mit einer halben Million Euro.
Der Bundespräsident hat die Notbremse gezogen und der ARD und dem ZDF ein Interview gegeben. Jetzt werden sich alle Kaffeesatz-Analysten der Republik über den Text hermachen und jeden Satz auseinander nehmen.
Was Wulff gesagt hat und was er nicht gesagt hat. Wie er es gemeint hat und wie er es gemeint haben könnte. Ob es der Befreiungsschlag war oder nur ein weiterer Schritt in Richtung Abgrund. Einige Kernsätze sind schon im Voraus bekannt geworden, unter anderem Wulffs Bekenntnis, er habe "nichts Unrechtes getan, aber nicht alles richtig". Und: "Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, in dem man sich nicht von Freunden Geld leihen kann."
Ganz gleich, wie die Causa Wulff ausgehen wird, eines kann man jetzt schon sagen: Auch Christian Wulff gehört zu Deutschland. Fragt sich nur, zu welchem.
Denn Deutschland ist ein tief gespaltenes Land. Nicht nur zwischen Arm und Reich, Bio-Deutschen und Deutschen mit Migrationshintergrund, Ost und West, sondern vor allem zwischen jenen, die arbeiten und denjenigen, die ihr Geld arbeiten lassen.
Zwischen Schnäppchenjägern und Partyhopsern
Zwischen den Schnäppchenjägern, die Geiz geil finden und denjenigen, die wissen, dass Qualität ihren Preis hat; zwischen den Gutmenschen, die von einer Party zur nächsten hopsen, um sich gut zu fühlen, und den guten Menschen, die keine Charity-Galas und keine Benefiz-Konzerte besuchen, wenn sie hungernden Kindern in Afrika helfen wollen.
Dass dieses Land noch so erstaunlich gut funktioniert, hat es nicht den "Freunden" von Christian Wulff zu verdanken, sondern den Müllmännern und den Feuerwehrleuten, den Polizisten und den Krankenschwestern, den Handwerkern und den Malochern auf dem Bau, den Arbeitern bei Ford und den Kassiererinnen bei Aldi.
Also "den Menschen, da draußen", wie es die Politiker "da drinnen" sagen, die es für ein verbrieftes Menschenrecht halten, bei ihren reichen Freunden übernachten zu dürfen. Und diese "Menschen, da draußen", die niemand haben, der ihnen schnell mal eine halbe Million leiht, müssen sich verarscht fühlen, wenn sie Christian Wulff sagen hören, er "möchte nicht Präsident in einem Land sein, in dem man sich nicht von Freunden Geld leihen kann". Dann soll er es sein lassen.
Dann soll er entscheiden, was ihm wichtiger ist: Präsident sein oder sich Geld zu extrem günstigen Bedingungen von Freunden leihen, die ihrerseits ihr Geld unter teilweise dubiosen Bedingungen gemacht haben. Niemand wird gezwungen, in die Politik zu gehen, es gibt genug anständige Berufe, in denen man keine Rechenschaft darüber geben muss, ob man im "Ritz" oder auf dem Klappsofa von Freunden genächtigt hat.
Wulff gehört zu dem Deutschland der Spesenritter
"There ain't no such thing as a free lunch", sagen die Amerikaner, "man bekommt nichts geschenkt" oder "alles hat seinen Preis". Ein Ministerpräsident mit ca. 150.000 Euro Jahreseinkommen mag im Vergleich zum VW-Chef oder einem Hedgefonds-Manager unterbezahlt sein, aber er ist nicht auf Tipps und Gefälligkeiten angewiesen.
Er wird auch in Naturalien entlohnt, Dienstauto, Dienstwohnung und der Chance, eine Person der Zeitgeschichte zu werden, über die Generationen von Abiturienten Besinnungsaufsätze schreiben werden. Das ist viel mehr als ein geldwerter Vorteil. Und dafür muss er eben auf einiges verzichten, und wenn es nur eine Runde Tischfußball mit Carsten Maschmeyer und Veronica Ferres ist.
Ja, Christian Wulff gehört zu Deutschland, zu dem Deutschland der Partygänger und Schnäppchenjäger, dem Deutschland der Eventmanager und Spesenritter, dem Deutschland der Aufsteiger, die voller Bewunderung zu Aufsteigern hinauf schauen, die es noch weiter gebracht haben. "Durch diesen Umgang mit Dingen hat man dem Amt nicht gedient", sagte er im Interview mit der ARD und dem ZDF.
Stimmt, hat man nicht. Dafür sollte man gehen und nicht in der dritten Person herumeiern.