Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 09:00 Uhr, 08.01.2012

Wulff setzt auf Vergessen

 
Der angeschlagene Bundespräsident Christian Wulff gibt sich erstaunlich optimistisch: "In einem Jahr ist das alles vergessen", sagte er laut einem Pressebericht vor Mitarbeitern. Dabei bereiten sich Kanzlerin Merkel und Vize Rösler angeblich bereits auf seinen Ausstieg vor.

Hamburg/Berlin - Christian Wulff geht offenbar davon aus, die Krise unbeschadet zu überstehen. Er sei zuversichtlich, "dass dieses Stahlgewitter bald vorbei ist", sagte der Bundespräsident laut "Bild am Sonntag" am Freitag bei einem Neujahrsempfang vor Mitarbeitern. "In einem Jahr ist das alles vergessen." Er wolle weiter Präsident bleiben und dem Amt einen zweiten Rücktritt nach Horst Köhlers Abgang zu ersparen.

Der Begriff "Stahlgewitter" stammt aus der Kriegsberichterstattung. Der umstrittene Schriftsteller Ernst Jünger hatte in seinem Buch "In Stahlgewittern" von seinen Erlebnissen als Soldat an der Front im ersten Weltkrieg berichtet.

Auch sonst nutzt Wulff offenbar gerne martialische Rhetorik. Nach Informationen des SPIEGEL hat der Bundespräsident in der Affäre um seinen Hauskredit nicht nur "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann mit "Krieg" gedroht, sondern auch Springer-Chef Mathias Döpfner. Wulff sprach bei Döpfner auf die Mailbox, um die Berichterstattung der Zeitung über seinen Immobilienkredit zu verhindern.

Die Wortwahl des Präsidenten fiel nach SPIEGEL-Informationen dabei ähnlich aus wie gegenüber Diekmann: Von Empörung über die "Bild"-Zeitung soll die Rede gewesen sein, von einer Kampagne und ungerechtfertigter Skandalisierung. Döpfner habe Wulff zurückgerufen und einen aufgebrachten Präsidenten am Telefon gehabt. Wulff sei sehr deutlich geworden. Wenn der Artikel über seinen Privatkredit erscheine, so wird Wulff im Springer-Verlag zitiert, dann bedeute das "Krieg" zwischen dem Bundespräsidialamt und Springer bis zum Ende von Wulffs Amtszeit.

Laut "Welt am Sonntag" ("WamS") soll Wulff schon in einem früheren Fall beim Springer-Chef interveniert haben, um einen Artikel zu stoppen. Das schreibt "WamS"-Chefredakteurs Jan-Eric Peters in einem persönlichen Beitrag. Wulff versuchte demnach auch, über Kanzlerin Angela Merkel an die Handynummer der einflussreichen Verlagsgründer-Witwe Friede Springer zu gelangen. Peters vermutet hinter den Versuchen ein Vorgehen mit Methode.

Vier-Augen-Gespräch im Schloss Bellevue

Anlass für Wulffs Anrufe bei Döpfner war laut Peters ein mehrseitiges Stück über die Familie des Bundespräsidenten, das Ende Juni erschienen war. Darin ging es um eine Halbschwester Wulffs, zu der er nach Angaben des Blattes keine Verbindung pflegt. "Die Schwester, die es eigentlich nicht gibt. Ihr Leben ist eine unerwähnte Episode im Leben des Bundespräsidenten", schrieben die Journalisten damals. Der Beitrag thematisiert auch die Trennung von Wulffs Eltern.

Schon vor einigen Tagen hatte die "Welt" bekannt gegeben, dass einer der Autoren kurz vor der Veröffentlichung von Wulff zu einem Vier-Augen-Gespräch ins Schloss Bellevue einbestellt worden war. Die Stimmung während des Gesprächs sei "eisig" geworden, als es um das geplante Stück gegangen sei, sagte Chefredakteur Peters SPIEGEL ONLINE am vergangenen Dienstag. Wulff habe dem Reporter "mehrfach und massiv" mit unangenehmen Konsequenzen gedroht, heißt es nun in dem "WamS"-Artikel.

"Jetzt ist eine Methode zu erkennen"

Ob Merkel von Wulffs Vorgehen gewusst haben könnte, geht aus dem Bericht nicht hervor. "Einschüchterungsversuche von oberster staatlicher Stelle" nennt Peters das Verhalten Wulffs. Er habe das zunächst für einen Einzelfall gehalten. "Doch jetzt ist eine Methode zu erkennen. Das Verhalten des Präsidenten gegenüber der "Bild"-Zeitung in der Kreditaffäre offenbart deutliche Parallelen".

Zu den Vorwürfen von "Welt" und "WamS" hat sich Wulff bislang nicht geäußert. Das Bundespräsidialamt verwies gegenüber dem SPIEGEL darauf, dass Wulff über Vieraugengespräche und Telefonate grundsätzlich keine Auskunft gebe.

Anrufe bei Döpfner hatte der Präsident bislang nicht erwähnt - auch nicht in einem Fernsehinterview am vergangenen Mittwoch. Dort hatte Wulff bestritten, dass er mit den Anrufen bei der "Bild" einen Artikel über einen Immobilienkredit verhindern wollte - ihm sei es lediglich um einen Aufschub um einen Tag gegangen.

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid in Auftrag von "Bild am Sonntag" glauben 53 Prozent der Deutschen, dass Wulff in der Kreditaffäre "eher die Unwahrheit gesagt hat". 60 Prozent sind davon überzeugt, dass der Präsident die für ihn unangenehme Berichterstattung in eigener Sache haben unterdrücken wollen.

Suche nach Wulff-Nachfolger soll bereits begonnen haben

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht offiziell weiter hinter Wulff. Doch laut Presseberichten sucht sie gemeinsam mit FDP-Chef Philipp Rösler nach einem Nachfolger. Die beiden Spitzen der Bundesregierung stünden in engem telefonischen Kontakt über die Frage, wer Wulff im Falle eines Rücktritts beerben könnte, meldet die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" unter Berufung auf FDP-Kreise. "Der Vorschlag muss so sein, dass es der SPD schwerfällt, ihre Unterstützung zu verweigern", hieß es.

Innerhalb der Koalition wächst die Kritik an Christian Wulff. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe beklagte im Gespräch mit dem SPIEGEL "Ungeschicklichkeiten und Fehler" des Staatsoberhaupts. Wulff verdiene aber eine Chance, Vertrauen wieder aufzubauen. Der CDU-Parlamentarier Marco Wanderwitz kritisierte die Salami-Taktik des Bundespräsidenten: "Mit der scheibchenweisen Aufklärung des Sachverhalts hat sich Christian Wulff keinen Gefallen getan." Sein Krisenmanagement sei "nicht professionell und seine Kommunikation oft auch nicht", sagte der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein.

CSU-Parteichef Horst Seehofer verteidigte den Bundespräsidenten: "Wir stellen uns hinter Menschen in Schwierigkeiten, es sei denn, die Schwierigkeiten sind so groß, dass man das nicht mehr verantworten kann. Das ist bei Christian Wulff nicht der Fall", sagte Bayerns Regierungschef.

Die Opposition dagegen fordert unverhohlen Wulffs Rücktritt. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, glaubt, dass der Präsident in seiner Zeit als niedersächsischer Regierungschef das Recht gebrochen habe: "Es spricht viel dafür, dass der günstige Zinssatz der BW-Bank ein unberechtigter Vorteil im Sinne des niedersächsischen Ministergesetzes ist. Er versucht, sich als Opfer zu inszenieren. Das ist seines Amtes unwürdig."

usp/stk/Reuters

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