zeit-online, 13. Januar 2012, 17:18 Uhr, 14.01.2012
Störungsmelder: Wir müssen reden. Über Nazis.
Initiativen fordern wirksame Aufklärung über NSU-Mordserie
Zeitgleich zur parlamentarischen Diskussion über die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags trafen sich am Freitag in Berlin mehr als 30 Vertreterinnen und Vertreter zivilgesellschaftlicher und antifaschistischer Organisationen zum Thema NSU.
Die anwesenden Initiativen recherchieren und arbeiten seit Jahren, weit vor dem Bekanntwerden der NSU-Verbrechen, zu Strukturen und Erscheinungsformen von Rechtsextremismus und Rassismus. Sie fordern eine lückenlose Aufklärung der Umstände unter denen der NSU seine Mordtaten begehen konnte. Im März sollen zudem mit einem öffentlichen “Hearing” weitere Details und Hintergründe des rechten Terrornetzwerkes beleuchtet werden.
Die ersten Schlussfolgerungen des bundesweiten Treffens vom Freitag lauten:
1. Die Behörden haben über 15 Jahre bei der Verfolgung der Neonazis mindestens versagt, wenn nicht mit ihnen kooperiert, so dass die Opfer ihnen schutzlos ausgeliefert waren.
2. Die Parlamente haben während dieser Zeit ihre Aufgabe nicht erfüllt, die Tätigkeit der zuständigen Behörden zu kontrollieren und haben deren Versagen nicht erkannt. Weder Gesellschaft noch Medien haben die rassistischen Morde und ihren gesellschaftspolitischen Hintergrund ausreichend problematisiert.
3. Auch seit Bekanntwerden der NSU-Morde vor zwei Monaten haben die Parlamente keine befriedigende Aufklärung erhalten, sondern wurden von den zuständigen Behörden hingehalten. Die Aufklärung durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse ist überfällig und darf nicht weiter verzögert werden.
4. Die Ungewissheit über die weitere Einrichtung und Gestaltung von Untersuchungsausschüssen bestärkt das ohnehin bestehende Misstrauen, ob dies überhaupt jemals zu einer vollständigen Aufklärung der Nazi-Morde und der Rolle der Behörden dabei führen kann.
5. Nicht hinnehmbar ist es, dass Behörden Informationen filtern und bewerten: ihnen darf nicht weiter die Deutungshoheit überlassen werden.
6. Weitere außerparlamentarische Aufklärung muss gestärkt und der dort vorhandene Sachverstand der Initiativen genutzt werden. Dazu stehen diese mit all ihrem Fachwissen gegenüber den Betroffenen, der Politik und der Öffentlichkeit bereit. Die bisher völlig unzureichende gesellschaftliche Debatte über Rechtsextremismus und Rassismus muss befördert werden.
7. Die Vertreterinnen und Vertreter des Treffens kündigen zum 3. März 2012 in Berlin ein öffentliches Hearing an, wo sie Einzelheiten ihrer Erkenntnisse, Analysen und Forderungen vorstellen und diskutieren.
Stellvertretend für die Teilnehmenden und für Rückfragen ist das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum apabiz e.V. erreichbar.
von Johannes Radke