Agenturen, dapd, 10:39 Uhr, 21.01.2012
Sachsen schränkt das Versammlungsrecht ein - Koalition will umstrittenes Gesetz beschließen
Verfassungsgerichtshof kippte die erste Version
Dresden (dapd-lsc). Vor den geplanten Februar-Aufmärschen von Neonazis in Dresden soll in Sachsen das Versammlungsrecht verschärft werden. Einen entsprechenden Gesetzentwurf will die schwarz-gelbe Koalition am Mittwoch (25. Januar) im Landtag beschließen. Mit dem Gesetz sollen Demonstrationen an historisch herausragenden Orten unter bestimmten Bedingungen verboten werden können. Es ist bereits der zweite Anlauf der Koalition, nachdem der sächsische Verfassungsgerichtshof den ersten Entwurf im vergangenen Jahr gekippt hatte.
Das Gesetz soll erlassen werden, um die Würde von NS- und Kriegsopfern zu schützen und gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Linksextremen zu verhindern. Geschützt werden das Leipziger Völkerschlachtdenkmal und die Dresdner Frauenkirche mit dem Neumarkt. Am 13. und 14. Februar - dem Jahrestag der zerstörerischen alliierten Bombenangriffe auf die sächsische Landeshauptstadt - wird das Demonstrationsrecht zudem für Teile der Dresdner Altstadt und der Neustadt eingeschränkt. Gedenktage sollen auf diese Weise von Neonazis nicht missbraucht werden können.
Gericht kippte Entwurf wegen gravierender Formfehler
Für eine Gesetzesverschärfung gab es bereits mehrere Anläufe. Ein erster Entwurf war noch von der Koalition aus CDU und SPD erarbeitet, aber nicht beschlossen worden. Einen weiteren Anlauf unternahm dann die seit 2009 amtierende Koalition aus CDU und FDP. In einer bundesweit Aufsehen erregenden Entscheidung erklärte der sächsische Verfassungsgerichtshof den Entwurf im April 2011 jedoch wegen gravierender Formfehler für nichtig. Begründung: Den Abgeordneten habe für ihre Entscheidung der Wortlaut des Gesetzes gefehlt.
Der Wortlaut sei «weder in die Gesetzesvorlage noch in nachfolgenden Parlamentsdokumenten enthalten gewesen», kritisierten die Richter. Die Parlamentarier könnten aber nur eigenverantwortlich abstimmen, wenn ihnen alle Informationen zur Verfügung stünden. Justizminister Jürgen Martens (FDP) kündigte unmittelbar nach der Entscheidung an, dass die Landesregierung inhaltlich an dem Entwurf festhalten werde, weil die Richter nur formale Fehler geltend gemacht hätten. Derzeit gilt in Sachsen das Bundesversammlungsgesetz.
Opposition zog vor den Gerichtshof
Martens' Ankündigung rief erneut die Opposition auf den Plan, die das Gerichtsverfahren ins Rollen gebracht hatte. 52 Abgeordnete von Linken, Grünen und SPD hatten geklagt. Ein erneuter Gang vors Gericht ist nun nicht ausgeschlossen. Streitpunkt ist der Inhalt Entwurfs, zu dem sich die Richter nicht geäußert hatten. Die Beschränkung der Demonstrationsfreiheit hält die Opposition für verfassungsrechtlich bedenklich. Der Rechtsexperte der Grünen-Fraktion, Johannes Lichdi, sagte deshalb, er hoffe, «dass die Koalition nicht so wahnsinnig ist, das Gesetz erneut dem Landtag vorzulegen».
Die Koalition hat den Formfehler ausgemerzt. Nachdem auch Juristen heftige Kritik in Landtagsausschüssen an dem Entwurf übten, nahm die Koalition einige Änderungen vor. Nach Ansicht der Opposition reicht das aber nicht aus, weil Meinungen von Neonazis ohnehin nicht verboten oder verhindert werden können. Am 13. und 18. Februar nun planen wieder Tausende Neonazis Aufmärsche in Dresden. Der Neumarkt sowie die nördliche Altstadt und die südliche innere Neustadt werden für sie eine Sperrzone sein, wird das Gesetz am Mittwoch wie geplant im Landtag verabschiedet.
Von Gregor Klaudius
dapd/grk/stu
211039 Jan 12