Karl Nolle, MdL

Der Spiegel 07/2012 Seite 32, 13.02.2012

NPD: Eine unerträgliche Partei

Sammelbecken von Rassisten, Hitler-Anbetern und Verfassungsfeinden.
 

Ihre Politiker geben sich bürgerlich zahm. Doch in Wahrheit ist die NPD mehr denn je das Sammelbecken von Rassisten, Hitler-Anbetern und Verfassungsfeinden. Gründe für ein Verbot gäbe es also genug. Aber wäre ein Verfahren auch klug?
Holger Apfel empfängt in Dresden, in seinem Abgeordnetenbüro, die Semperoper vor dem Fenster. Er rägt zur rechtsextremen Gesinnung heute einen grauen Mittelklasseanzug von Mishumo und Socken von Tommy Hilfiger. Er hat einen gemütlichen Body-MassIndex Richtung 30, der Bauch presst sich gegen die Knöpfe seines blauen Business-Hemds. Und eine Stimme, der alles Scharfe abgeht, auch weil er etwas lispelt. Holger Apfel ist seit November der neue Vorsitzende der NPD, er sagt, dass seine Partei nun endlich bei den Bürgern ankommen wolle, bei den Menschen da draußen im Land, ihren Sorgen, Ängsten, Nöten. Die NPD, eine Partei aus der Mitte des Volkes, für die Mitte des Volkes.
Und bevor Apfel weitermacht mit diesem Schauspiel, nur schnell weg, zu einem anderen Schauplatz, zu einem anderen Gesicht der Partei, nach Mecklenburg -Vorpommern.
Die NPD hat ihr Bürgerbüro dort in Grevesmühlen, an der Ausfallstraße. Erst kommt der städtische Bauhof, dann der Tapetenfachmarkt, dann, vor der örtlichen Niederlassung von Mercedes, die örtliche iederlassung des Deutschen Reiches. Zu erkennen an der schwarz-weiß-roten Flagge über dem Grundstück. Das Deutsche Reich in den Grenzen des Jahres 2012 ist umgeben von einem Palisadenzaun, zwei Meter hoch, mit Stacheldrahtkrone; dahinter steht ein Wachturm, mit Scheinwerfer, daneben ein Haus, die Fenster vergittert. Über dem Eingang hängt die germanische Elhaz-Rune, im „Dritten Reich“ das Zeichen des SS-Vereins „Lebensborn“, der für reinrassig-arische Kinder sorgen sollte.
Willkommen im Thing-Haus Grevesmühlen, hier sitzt die NPD. Nicht in der Mitte des Volkes, sondern dort, wo die Nationaldemokraten in Wahrheit immer noch ihren Platz haben: am Rand. Am Rand der Stadt, am Rand der Gesellschaft, am Rande des Meinungsspektrums.Und vor allem: am Rande der Legalität.
In diesen Wochen prüfen die Innenminister von Bund und Ländern erneut, ob sie die NPD verbieten können, verbieten sollen. Seit die Zwickauer Terrorzelle und ihre Unterstützer vom „Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)“ aufgeflogen sind, stellen sich die beiden Fragen, die für ein solches Verfahren entscheidend sind: wie viel Gewaltbereitschaft in der NPD steckt. Und ob sie „aggressiv-kämpferisch“, mit „Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus“ das demokratische System abschaffen will. Ob sie mithin verboten gefährlich ist.
Da zählen Worte aus der NPD, und wie man sie bewertet, Taten der NPD, und wie man sie gewichtet, da zählen am Ende die Details. Aber am Anfang geht es um Grundsätzliches: Eine Partei soll nicht schon verboten werden können, nur weil sie sich fundamental kritisch mit der herrschenden Regierungsform auseinandersetzt. Das ist die historische Lehre aus den Jahren der Nazi-Schreckensherrschaft, als Hitler die Gesellschaft unter dem Hakenkreuz gleichschaltete und Parteien wie die KPD und die SPD verbieten ließ.
Die Antwort des Grundgesetzes auf diese Willkür ist eine garantierte Toleranz, die auch in der politischen Kampfzone gilt. Verbote sollen der letzte Schutzschild der Demokratie sein, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Bei einer Partei muss dazu jene „aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen“, so hat es das Bundesverfassungsgericht formuliert – die einzige Instanz in Deutschland, die ein Verbot aussprechen darf, und auch das nur mit einer Zweidrittelmehrheit.
Von dieser Anti-Nazi-Klausel im Grundgesetz profitieren nun aber paradoxerweise vor allem die Neo-Nazis der NPD. Das Prüfverfahren wirft deshalb Fragen auf, die über die aktuelle Diskussion hinausreichen: Wie viel Freiheit gegenüber den Feinden der Freiheit will und kann sich eine Demokratie leisten? Und ist es, 67 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ein Ausdruck von Schwäche oder von Stärke der wehrhaften Volksherrschaft, den Gang nach Karlsruhe zu wagen, auf die Gefahr hin, dort zu scheitern und die Rechtsextremen damit noch stärker zu machen?
Diese Fragen begleiten die Innenminister, wenn sie voraussichtlich im März eine Materialsammlung vorlegen. Gesucht werden Belege dafür, dass die NPD den Umsturz will, auch mit Gewalt. Oder dass sie zumindest zu enge Verbindungen zu Neonazi-Kadern hat, denen jedes Mittel recht ist. Viel spricht dafür, dass die Verfassungsschützer dann nicht in Dresdner Abgeordnetenbüros der NPD fündig werden, wo die Partei ihr biederes Gesicht zeigt. Sondern eher an Orten wie dem Thing-Haus Grevesmühlen.
Von einem „nationalen Freiraum“ schwärmte ein Kamerad im Frühjahr 2010 kurz nach der Eröffnung, auf einer Internetseite, die unter der Thing-Haus-Adresse registriert ist. Der Domain-Inhaber ist David Petereit, NPD-Landtagsabgeordneter, Ex-Kader der Neonazi-Kameradschaft Mecklenburgische Aktionsfront, die 2009 verboten wurde.
An Wochenenden spielen im Thing-Haus Nazi-Rockbands wie Stahlgewitter, polizeibekannt für ihre Platte „Auftrag
Deutsches Reich“. Der Auftritt eines früheren Ku-Klux-Klan-Anführers platzte nur, weil die Behörden den US-Hetzer einen Tag vorher in ein Flugzeug nach Hause setzten.
Die Nazi-Festung, benannt nach der germanischen Volksversammlung Thing, gehört dem Rechtsaußen Sven Krüger, der gerade vier Jahre Haft absitzt. Wegen Hehlerei und weil er eine Waffe hatte, aber keinen Waffenschein. Der Verfassungsschutz hält ihn für den Statthalter der „Hammerskin Nation“ in Mecklenburg-Vorpommern, einer gewaltbereiten Bruderschaft aus den USA, die an den Endsieg der nordischen Herrenrasse glaubt.
Und ausgerechnet hier, in diesem Palisaden-Bunker ist auch Udo Pastörs Mieter, hinter Apfel die Nummer zwei im NPD-Bundesvorstand und Fraktionschef im Schweriner Landtag. Im Thing-Haus liegt sein „Bürgerbüro“ – zusammen mit dem von Stefan Köster, dem Landesvorsitzenden der NPD im Nordosten. Diese Nazi-Skinhead-Stahlgewitter-Nachbarschaft scheint beide nicht zu stören.
Warum auch? Es ist gerade die Verzahnung mit Neonazis und anderen Hetz-und Putztruppen der braunen Szene, die diese NPD stark macht.
Mag sein, dass die Ultras der Freien Kameradschaften, die kein Parteibuch haben, hemmungslos hassen und brutaler zuschlagen als die NPD. Aber ohne die NPD wären sie lokale Splitter- und Spinnergruppen. Nur die NPD bündelt die Rechtsextremisten, sichert ihnen bundesweit Bekanntheit – und im Osten auch Bedeutung, als Regionalpartei.
Umgekehrt sucht die NPD die Nähe der Straßenjungs, ihre rohe Kraft, die immer wieder als rohe Gewalt durchschlägt. Es kann keinen wundern, am wenigsten die Führungsfiguren der NPD, dass einige der mutmaßlichen Helfer der Zwickauer Zelle in der Partei waren oder sind. Denn diesen Staat zu verachten ist nicht nur Wesenszug der Freien Kräfte, sondern auch der NPD. Der Wunsch, ihn zu bekämpfen, ist der Grund, warum es die Partei gibt. Und die Grenzverletzung ist das, was man in diesem Kampf ständig tut. Auch wenn sich die Partei von den NSU-Morden ausdrücklich distanziert hat.
Wie weit also geht die NPD, wie tief hinein in die Verbotszone? Innenansichten aus der Partei ergeben heute das Bild einer Truppe, die

  • gegen Ausländer und Juden hetzt;
  • für Adolf Hitler und das „Dritte Reich“ schwärmt;
  • bis hoch in den Bundesvorstand damit kokettiert, das Land notfalls auch mit Gewalt zu verändern;
  • die Arbeit im Parlament als Möglichkeit nutzt, den Staat zu bekämpfen;
  • ihre Weltanschauung mit dem Image einer Kümmerer-Partei kaschiert und damit im Osten tief in bürgerliche Schichten eingedrungen ist.
  • Am Ende gibt es für die NPD ein Ziel: das System zu überwinden, die Demokratie, den Pluralismus. Und das spricht dafür, dass die NPD tatsächlich verboten werden könnte. Eine andere Frage ist, ob man es wirklich tun sollte

Popanz NPD

Eigentlich schafft sich die NPD gerade mal wieder selbst ab. Vor vier Jahren hatte die Partei noch 7200 Mitglieder, jetzt sind es 5900, aber glaubt man Apfel, dem Chef, dann sind auch noch 200 bis 300 Karteileichen dabei; Volksgenossen, die ihre zwölf Euro Monatsbeitrag für die nationale Sache schuldig geblieben sind. Jeder zehnte NPD-Parteigänger ist arbeitslos, das sind mehr als bei jeder anderen Partei.
„Ihr Milieu scheint ausgeschöpft“, heißt es in einer neuen Studie der Konrad
Adenauer-Stiftung. Den harten Kern, die Aktivisten, schätzt auch Apfel auf höchstens 3000 Kameraden, die für die NPD auf die Straße gehen, Wahlkampf machen, sich auf die Listen setzen lassen für Stadträte, Kreistage, Landtage.
Höchstens 3000 – man sollte denken, dass ein Land mit 82 Millionen Bürgern das aushalten kann. Erst recht, weil sich diese Partei ziemlich oft lächerlich macht. Etwa wenn Apfel die deutsche Sprache retten will und ständig vom „Weltnetz“ redet, das 82 Millionen andere Bürger nur als „Internet“ kennen. Eigentlich scheint diese Partei wie ein schlechter Witz, und es würde reichen, wenn man ihn nicht weitererzählte.
Andererseits ist sie das wichtigste Sammelbecken für Ausländerfeinde, Antisemiten, Amerika-Hasser, für die Revisionisten und Revanchisten, die den Holo caust bestreiten und Hitler bewundern, der einzige politische Arm der Ultrarechten, seit von den Republikanern und der DVU nichts mehr zu sehen ist. Und es gibt Landstriche, in denen die NPD tatsächlich eine Macht ist. Sie liegen nicht im Westen, wo die NPD in einem Elf-Millionen-Einwohner-Land wie Baden-Württemberg keine 500 Mitglieder hat.
Im Osten aber sitzt sie in zwei Landtagen, Sachsen und Mecklenburg -Vorpommern, sie ist in Thüringen und Sachsen-Anhalt nur knapp gescheitert. Sie ködert hier vor allem die jungen Männer, ihr Altersdurchschnitt liegt unter dem aller Parteien im Bundestag. Und bei einer Umfrage zur Wahl in Mecklenburg -Vorpommern 2011 sagte jeder Fünfte, die NPD sei eine „Partei wie alle anderen“.
So gesehen können auch 3000 für ein Land von 82 Millionen untragbar sein. Vor allem, wenn die NPD ihr böses Gesicht zeigt, ihre unerträgliche Seite.

Die Hakenkreuz-Partei

Zurück nach Dresden, zu Holger Apfel. Apfel ist, genau genommen, jetzt Chef von zwei Parteien: der Bürger-NPD, erzkonservativ, aber gesellschaftsfähig – so wie sie sich zumindest gern sehen will. Und der Bürgerschreck-NPD: kahlgeschorene Neonazis, schwarze Straßenkämpfer, die Outlaw-Fraktion. Das sind die beiden Flügel der NPD, das ist ihr ständiger Widerspruch. Sie können eigentlich nicht miteinander, so weit liegen sie auseinander. Was sie verbindet, ist die Verachtung für diesen Staat. Aber genauso wenig kann die eine ohne die andere Seite; die Partei wäre halbiert.
Apfel muss also aufpassen, was er sagt. Für die einen ist er zu lasch, für die anderen zu scharf, „lassen Sie das Tonband aus“, sagt er, so gibt es wenigstens keine Beweise, dass er zu lasch oder zu scharf war. Dialoge mit Apfel über die Nazi-Zeit gehen dann ungefähr so:
Frage: Wie bewerten Sie den Holocaust?
Apfel: Ein Verbrechen.
Frage: Wer ein Verbrechen befiehlt, ist ein Verbrecher. Ist Adolf Hitler für Sie ein Verbrecher?
Apfel: Dazu werden Sie von mir keine Aussage bekommen.
Frage: Warum nicht?
Apfel: Darum nicht.
Das „Darum“ ist ein Verhaltensleitfaden der Partei, der empfiehlt, bei Fragen zur NS-Zeit auszuweichen. „Ich werde mich nicht auf weitere Geschichtsdebatten einlassen“, schiebt Apfel hinterher.
In einem internen Thesenpapier seines Vizes Karl Richter aus dem vergangenen Juni heißt es sogar, die Partei solle sich notfalls von den „unverbesserlichen Symbol- und Gedenkfanatikern trennen“. Die passten einfach nicht mehr zu einer „zeitgemäßen Verkaufsstrategie“.
Auch nicht diese ganzen „Trauer- und Erinnerungskundgebungen“, ob für Rudolf Heß oder die Bombardierung deutscher Städte im Krieg; ein Gedenkaufmarsch im Jahr, das müsse nun reichen. Und wer andere „weltanschauliche Wurzeln und Vorbilder“ habe, der solle sich an das Motto halten: „Daran denken, nie zeigen“.
Der Spitzenkandidat für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, Udo Voigt, dozierte, Hitler sei „zweifellos“ ein „großer deutscher Staatsmann“ gewesen, das Stauffenberg-Attentat „hinterhältig“, und nach Kriegsende sei in den Nürnberger Prozessen „ein einzigartiger europäischer Lebensentwurf unterjocht und abgeurteilt worden“. Auch Pastörs, Fraktionschef in Schwerin, verehrt gern öffentlich seine Nazi-Idole. Der schneidige Endfünfziger, der so herrisch und heroenhaft redet, als hätte er zu oft Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ gesehen, nannte Hitler-Stellvertreter Heß einen „absoluten Idealisten, vergleichbar mit Gandhi“. Dar - auf muss man erst mal kommen.
Die „88“, Chiffre für „Heil Hitler“, mit der Ex-Bundesvorstand Thomas Wulff gelegentlich seine Mails unterschrieben haben soll, liegt da schon näher. Oder das braune T-Shirt, das Stephan Jandzinsky-Joecke trug, als sich Reporter des Antifa-Blatts „Blick nach Rechts“ im August am Thing-Haus umschauten. Der Landtagskandidat lief mit einer gedruckten Unterschrift auf dem Shirt herum, der von Adolf Hitler.
Und das soll nun unter Apfels Führung gerade alles anders werden? Wie radikal sich die neue, angeblich seriöse NPD in brauner Tradition treu bleibt, kann jeder selbst überprüfen, freitags von 13 bis 18 Uhr im Thing-Haus. Dann warten die Abgeordneten Köster und Pastörs auf die Bürger.
Der Weg in die Sprechstunde führt erst mal an einer Pinnwand vorbei, in der Mitte zwei Plakate. „Freiheit für Erich Priebke“ steht auf dem einen; „Herbert Schweiger – Unvergessen“ auf dem anderen. SS-Mann Priebke sitzt lebenslang in Italien, als Kriegsverbrecher; der 2011 gestorbene Schweiger gehörte zur SS-Leibstandarte „Adolf Hitler“. Vor dem Eingang zum Bürgerbüro erinnert schließlich ein Schlachtengemälde an die Kraft und Herrlichkeit deutscher Angriffskriege, Titel des Weltkrieg-II-Schinkens: „Panzer im Sturm“.

Die Juden- und Ausländerhass-Partei

Als eine Journalistin kürzlich vor dem Thing-Haus einen Grill entdeckte, in den „Happy Holocaust“ gestanzt war, in Frakturschrift, verstieg sich Köster zu der Bemerkung, da nehme vielleicht „jemand die politischen Repressalien in diesem Land ein bisschen auf die Schippe“. Über solche Scherze schmunzelt nur die NPD.
In Wahrheit gehört auch der Antisemitismus in NPD-Kreisen unverändert zum wohligen Gedenken an die Nazi-Zeit. Nicht mal dieses Erbe aus großdeutschen Herren- und Henkerjahren ist ihnen zu schmutzig, zum Beispiel im Berliner Wahlkampf. Da ließ sich Spitzenkandidat Voigt auf einem Motorrad fotografieren und druckte daneben den Slogan: „Gas geben“. Das Plakat hing auch vor dem Jüdischen Museum in Kreuzberg.
„Das Plakat war unnötig“, sagt Apfel immerhin. Dafür ist er aber heute noch stolz darauf, im Landtag die Bombardierung von Dresden 1945 einen „Bomben-Holocaust“ genannt zu haben.
Selbst einer der scheinbar gemäßigten Apfel-Leute, Bundespressesprecher Frank Franz, leistete sich 2006 bei den notorischen Attacken auf den Zentralrat der Juden und seine damalige Präsidentin den verräterischen Satz: „Frau Knobloch und ihre Freunde sind Gäste in Deutschland.“ Mit anderen Worten: Judentum ist keine Religion, Judentum ist für viele Parteimitglieder eine Nationalität, eine ausländische. Und was mit Ausländern zu passieren hat, auch da ist sich die NPD, von Apfel bis Pastörs, weitgehend einig: Ausländer raus.
Ausländerfeindlichkeit gilt als Markenkern der NPD, da ist die Partei ganz bei sich und ihren Wählern. Bezeichnend die Aschermittwochsansprache von Pastörs 2009 in Saarbrücken, als er von „höchst gefährlichen Samenkanonen“ faselte, die der „muselmanische“ Mann immer bei sich trage und mit denen er das reine deutsche Volk bedrohe. Das Urteil wegen Volksverhetzung ist noch nicht rechtskräftig.
Ausländer kennt die rassistische NPD in der Daseinsform des „Sozialschnorrers“ (NPD-Homepage), des „arroganten Wohlstandsnegers“ (Apfel), der „plündernden Zigeunerbande“ (dito) und – weil immer noch ein paar andere übrig bleiben – als „Arbeitsplatzdiebe“. Die möchte die NPD allesamt nach Hause schicken. Weil aber die Jugend offenbar nicht mehr weiß, wie man Menschen in Züge pfercht und außer Landes schafft, hatte die NPD im Bremer Landtagswahlkampf ein Online-Computerspiel auf ihre Homepage gestellt, „Faust räumt auf“.

In der Hauptrolle der Bremer NPD-Mann Faust, der möglichst geschickt Ausländer in Züge „nach Hause“ setzen sollte.

Da ist es nicht mehr weit, bis junge Männer, mit oder ohne Parteibuch, Ausländer jagen, anpöbeln, zusammenschlagen. Und manchmal erst ablassen, wenn ihre Opfer tot sind. Auch wenn die NPD nicht so weit geht, zur Gewalt gegen Ausländer aufzurufen; sie markiert mit ihrer Ideologie die Ziele für die Schläger aus der Szene. Sie tut das so ungeniert, dass die Faust-Attacken des Pöbels nur wie eine natürliche Fortsetzung der Wort-Attacken der Partei erscheinen. Hauptsache, es trifft die Richtigen, im Parteijargon: die „Kanaken“.
Dass Einwanderer und ihre Familien je zu Deutschland gehören könnten, ist für die NPD ausgeschlossen, jeder Eingliederungsversuch sei ein „Völkermord“. Nur ein „minimaler Anteil“ dürfe bleiben, nach einer ganz genauen Einzelfallprüfung, sagt Apfel. Also auch Grünen-Chef Cem Özdemir? Schließlich ist der in Deutschland geboren und spricht nun mal unbestritten besseres Deutsch als geschätzt 98 Prozent der NPD-Mitglieder. Es folgt ein längeres Hin und Her, dann: „Da redet keiner davon, dass wir so einen in den Flieger setzen“, sagt Apfel. Aber es kostet ihn Mühe.

Die bürgerliche Maske

Es geht jetzt viel um Selbstbeherrschung bei der NPD. Nur kein falsches Wort. Die im November aufgedeckte NSU-Mord - serie und die öffentliche „Was tun?“-Debatte haben dazu geführt, dass der Partei erneut ein Verbot droht. Umso wichtiger
ist es, sich nun brav und besonnen zu geben, bürgerlich und bodenständig. Da passt es gut, dass sich die NPD als „Kümmerer-Partei“ darstellt. Eine Partei, die sich um die Menschen im Land sorgt, die deutschen Menschen, wohlgemerkt.
Früher sprachen sie in der NPD noch provozierend von „Nationalem Sozialismus“. Auch der Begriff gefällt Apfel gerade nicht mehr, der sei ja „historisch verbrannt“. Stattdessen heißt die Parole jetzt „Seriöse Radikalität“. Sie beschreibt den Versuch, den strengen Brandgeruch der Partei – nein, nicht loszuwerden, aber – zu tarnen, um nah genug an die Menschen im Land heranzukommen. Für sie setzt die Partei ihre bürgerliche Maske auf, mit sozialer Graswurzelarbeit, immer in der Hoffnung, die nationale Erweckung der Volksgenossen folge später.
„Nachhilfe, Kinderturnen, Hartz-IVBeratung – wo immer eine Lücke durch den Staat entsteht, gehen wir rein.“ Sagt Peter Marx, ein Mann mit weichem Singsang in der Stimme, den er bei seinem Umzug von Rheinland-Pfalz nach Mecklenburg -Vorpommern vor einigen Jahren mitgenommen hat. Der Fraktionsgeschäftsführer beackert die Felder, auf denen die Saat für die blühenden Landschaften im Osten nie aufgegangen ist. Gäbe es im vorpommerschen Anklam oder in Ueckermünde funktionierende zivilgesellschaftliche Strukturen, wären die Rechtsextremen hier nicht mehr als ein Ärgernis. So aber sind sie gefährlich.
Und 300 Kilometer weiter im Süden, in den Kneipen des thüringischen Eise - nach, liegt der „Wartburgkreis Bote“ aus, ein Lokalblatt. Die Themen: Windräder vor der Wartburg, Schulschließungen, Spenden fürs Tierheim. Euro-Krise und Minarett-Verbote, der Herausgeber Pa trick Wieschke sagt: „Wir erreichen damit konservative Gruppen, an die wir früher nicht herangekommen sind.“ Wieschke sitzt im Bundesvorstand der NPD. Bei der Wahl zum Stadtparlament holten die Rechtsextremen fünf Prozent – und Wieschke damit eines von rund 350 Kommunalmandaten der Partei bundesweit.
Mittlerweile reicht diese bürgerliche Mimikry sogar bis auf die Haut. In den Landesverbänden kursiert ein Entwurf der Bundesspitze, die sich um das Aussehen ihrer Kader sorgt. „Mir geht es darum, dass wir nicht als Randgruppe auftreten, Demos in Schwarz, das wirkt eher abschreckend“, meint auch Apfel und wünscht sich lieber „freundliche Farben“.
Bernd Kümmel, Berater der NPD in Bremen, hält in einer internen Denkschrift „eine Art Wanderkluft“ für angemessen, schließlich sei „Kleidung ein Marketinginstrument“. Und nicht nur die Kleidung: „Wir machen uns angreifbar und unglaubwürdig, wenn Teile von uns Dickleibigkeit und schlechte Körperhaltung zeigen“, schreibt Kümmel. „Es sollte möglichst keine übergewichtigen und unsportlichen Mandatsträger geben. Wo es diese gibt, müssen sie unbedingt an ihrer Erscheinung arbeiten.“ Armer Apfel.

Die Parlaments-Partei

Die wichtigsten Bühnen, auf denen die NPD ihre Show von der „Seriösen Radikalität“ aufführt, öffnen einmal im Monat in Dresden und Schwerin. Hier sitzt die Partei in den Landtagen und borgt sich die Würde des Hohen Hauses aus – ein Haus, das einer wie Apfel schon als „Schwatzbude“ verhöhnt hat. Genauer gesagt, sprach er von der „gleichgeschalteten Schwatzbude“, wieder so eine Anleihe aus dem NS -Wörterbuch.
Man könnte es sich auch ganz einfach machen mit einer Bilanz der NPD-Landtagsarbeit. Dazu reicht ein Blick auf die Einbauwand in Apfels Büro, mit dem Regal darin: fünf Böden, von denen zwei ganz und zwei halb leer sind; von Fachliteratur scheint Apfel nicht viel zu halten.
Aber so einfach ist es nicht. Reden, Anträge, Große und Kleine Anfragen, alles, was öffentliche Aufmerksamkeit bringt, nutzen die Rechtsextremen gern. Da spielt es auch keine Rolle, dass die anderen Fraktionen alle Anträge notorisch ablehnen, schon aus Prinzip. Für die Partei zählt die kalkulierte Grenzverletzung.
In Schwerin sammelten die sechs NPD-Abgeordneten in einer Legislaturperiode 483 Ordnungsrufe; die übrigen 65 Abgeordneten kamen auf 72 Ermahnungen. Allein Pastörs flog 27-mal aus dem Plenarsaal. So ein Rauswurf ist aber auch gleich wieder eine gute Gelegenheit, ihn gerichtlich überprüfen zu lassen – und nichts Schöneres für die Rechtsextremen, wenn ihnen dann das Landesverfassungsgericht auch noch recht gibt.
So hat sich die NPD im Parlamentarismus eingerichtet, man könnte auch sagen: eingenistet. Zumindest im Osten. In Schleswig-Holstein oder Hessen knackte die Partei zuletzt nicht mal die Einprozentgrenze. Deshalb hat Apfel die Jahre 2012 und 2013 auch schon abgehakt – alles Westwahlen. Umso mehr setzt er auf Erfolge 2014 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, außerdem bei der Europawahl, weil hier die Fünfprozentklausel nicht mehr gilt.
Im Wahlkampf 2009 konzentrierte Apfel sich auf Themen wie die Landflucht im Osten, den Ärztemangel, die Kriminalität im Grenzgebiet. So gelang es der NPD erneut, in den Landtag einzuziehen.
Und auch, der Pleite zu entgehen.

Die Alimente-Partei

Mag sein, dass beim Geld die Freundschaft aufhört, die Feindschaft endet dort nicht. Die NPD nimmt vom angeblich so verdorbenen „System“, was sie kriegen kann. In den Jahren 1998 bis 2009 allein knapp zehn Millionen Euro: 70 Cent für jede Stimme bei einer Landtagswahl, bei der sie über ein Prozent kommt. Außerdem für jeden Spenden- und BeitragsEuro noch mal 38 Cent Zuschuss. Ihren Kampf gegen Ausländer und Juden, gegen Demokratie und Parlamentarismus, gegen den Staat, kann die Partei nur führen, weil dieser Staat sie dafür alimentiert.
So kommen seit 2005 rund 40 Prozent der „Kriegskasse“ (Pastörs) aus staatlichen Mitteln (siehe Grafik Seite 34). Nicht zu vergessen die Fraktionszuschüsse, in Sachsen jedes Jahr 1,2 Millionen, in Mecklenburg-Vorpommern 600000, plus Abgeordnetendiäten. Das ist viel Geld für eine Partei, die sich radikal seriös gibt – sich aber mehr Spendenskandale leistet als jede andere. Zurzeit fordert die Bundestagsverwaltung noch 2,5 Millionen Euro wegen falscher Rechenschaftsberichte zurück.
Nur selten gibt es größere Einzelspenden wie die des Rentners Robert Weber, der im August 2009 versuchte, 140 500 Euro in Cash über einen Geldautomaten in Thüringen einzuzahlen. Ein Geldwäscheverfahren erbrachte nichts, der 84- Jährige sagte, er wolle seine Ersparnisse der NPD spenden. Kurz darauf ging das Geld auf dem Konto der Partei ein.
Die nahm es mit den Finanzen oft nicht genau. In Thüringen zum Beispiel schrieb Landeschef Frank G. jahrelang Quittungen für Spenden, die es nie gegeben hatte. Mit den gefälschten Belegen konnten angebliche Gönner das Finanzamt betrügen und die Rechtsextremen mehr Geld beim Staat abzocken. Ein „Ausnahmefall“, behauptete der damalige Bundesschatzmeister Erwin Kemna, nur dass es gleich den nächsten Täter gab: Erwin Kemna.
Am 7. Februar 2008 nahmen Fahnder den Küchenstudio-Besitzer in Nordrhein Westfalen fest. Aus einem Konvolut von Zetteln ging schließlich hervor, dass Kemna nicht nur die Parteieinnahmen um 870154 Euro und 15 Cent zu hoch angesetzt hatte. Er hatte außerdem mehr als 700 000 Euro der Partei auf seine Privat-und Geschäftskonten verschoben. Kemna kassierte dafür zwei Jahre und acht Monate Haft. Allerdings sind die Fahnder überzeugt, dass auch der damalige Vorsitzende Voigt etwas gemerkt haben muss, deshalb läuft bei der Berliner Staatsanwaltschaft noch ein Verfahren. Voigt nennt die Vorwürfe „lächerlich“.
Kemnas Nachfolge übernahm Thing Haus-Mieter Köster („Panzer im Sturm“), und das sollte schmerzhaft werden, für ihn, und für die Partei noch mehr. Abgeschlossen wurde der Rechenschaftsbericht für 2007 erst in der Silvesternacht 2008, in höchster Eile. Durch die „schier unmenschliche Leistung“, so steht es in einem NPD-Schreiben, habe sich Köster sogar eine „Schleimbeutelentzündung am rechten Ellenbogen“ eingehandelt; und die Partei gleich das nächste Strafgeld verfahren.
Köster leistete sich einen Bilanzfehler von fast 900 000 Euro. Die Bundestagsverwaltung setzte deshalb für einige Zeit alle Zahlungen an die NPD aus. Wie sehr das die Partei trifft, zeigte ein larmoyantes Schreiben ihres Anwalts, der gegen den Zahlungsstopp vor dem Berliner Verwaltungsgericht klagte: Ohne die Staatsknete sei die NPD „in ihrer politischen Existenz bedroht“. Aktuell, das geht aus dem frischen Rechenschaftsbericht 2010 hervor, ist das Loch im Parteivermögen größer denn je: Es klafft ein Minus von 1,068 Mil lionen Euro. Der Staat, verhasst, verhöhnt, verteufelt, soll aber bitte zahlen, schnell.

Die Gewalttäter-Partei

Zahlen wofür? Für eine Partei, die nur so tut, als ob. Als wäre sie bürgerlich und honorig. Die stattdessen bis in ihre Spitze mit verurteilten Schlägern und Bombenbauern durchsetzt ist. Die sich mit den Hardcore-Kämpfern der Freien Kameradschaften verbrüdert. Die zwar behauptet, dass sie jede Gewalt strikt ablehnt. Doch die düsteren Gewaltphantasien von Spitzenfunktionären sprechen eine andere Sprache.
Schon seit ihren Anfängen in den Sechzigern und Siebzigern hat die NPD jenes „taktische Verhältnis zur Gewalt“ gezeigt, das ihr der Verfassungsschutz in Köln bis heute bescheinigt. Mit einem Weltbild, geprägt von Verschwörungs- und Untergangsszenarien, liegt ihr Gewalt geradezu in den Genen. Ständig sieht die Partei das deutsche Volk bedroht, bedrängt, in einem Abwehr- und Überlebenskampf: gegen die Vermischung des Blutes, die Verseuchung des kulturellen Erbes, die Versklavung durch fremde Mächte. Dass sich die NPD in diesem angeblichen Kampf an die Spitze des Volkes zu setzen glaubt, macht ihr Selbstverständnis aus.
Mal suchte die NPD die Nähe zu gewaltbereiten Nationalen, mal trennte sie sich brüsk von ihnen, um sie bald danach wieder in die Arme zu schließen. Nach mehreren solcher Kurswechsel begann die Partei Mitte der neunziger Jahre, am rechten Saum alles aufzusaugen, was sich aufsaugen ließ, gewaltbereit oder nicht.
Die NPD litt unter Auszehrung, brauchte neue Mitglieder, ihr neuer Vorsitzender Voigt war nicht wählerisch.
Wenn die NPD also heute von den „abscheulichen Morden“ der Zwickauer Terrorzelle spricht, dann ging der Abscheu zunächst mal der Verlust jeglicher Scheu voraus, sich mit härtesten Neonazis einzulassen – und jeden, auch die schlimmsten Straßenschläger, in die Partei hineinzulassen. Etwa Peter Naumann, eine Zeitlang Fraktionsmitarbeiter in Dresden, 1988 wegen eines Sprengstoffanschlags zu viereinhalb Jahren verurteilt. Oder Thomas Sattelberg, einst Mitgründer der berüchtigten SSS – „Skinheads Sächsische Schweiz“ –, die sich mit paramilitärischen Übungen für die Jagd auf Ausländer trimmte. Auch er ist inzwischen Zuarbeiter der NPD-Abgeordneten im sächsischen Landtag.
Und nicht zu vergessen: jenen Patrick Wieschke, der heute den „Wartburgkreis Boten“ herausgibt, in Eisenach den Kümmerer gibt und es bis in den Bundesvorstand der NPD geschafft hat. Er kommt aus dem Thüringer Heimatschutz (THS), also aus demselben Neonazi-Netzwerk wie Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, das NSU -Terrortrio. Und so wie sie wollte auch Wieschke schon Ausländer aus Deutschland herausbomben: Im August 2000 zettelte er einen Sprengstoffanschlag auf einen Döner Stand in Eisenach an. Ein Gericht verurteilte ihn unter anderem dafür zu zwei Jahren und neun Monaten Haft.
Wer solche Leute mit offenen Armen aufnimmt, muss sich nicht wundern, dass dann auch mutmaßliche Terrorunterstützer des NSU ein Parteibuch hatten – oder sogar noch haben. So interessiert sich die Staatsanwaltschaft heute für André K., NPD-Mann und Neonazi aus Jena. Er soll zu den Fluchthelfern gehört haben, als das Trio 1998 verschwand; K. bestreitet das. In Haft sitzt Carsten S., ehemaliger Kreisvorsitzender der NPD in Jena und auch mal Vize-Vorsitzender der Jugendorganisa tion Junge Nationaldemokraten in Thüringen. Er wurde vor zwei Wochen festgenommen, weil er den Rechtsterroristen eine Waffe besorgt haben soll. Oder Ralf Wohlleben, einst sogar Thüringer Landesvize, seit Ende November wegen seiner NSU-Kontakte in U-Haft.
Lange war die NPD solchen Militanten zu lahm, zu brav, zu verbonzt. Doch so wie die Partei die Kameradschaften brauchte, um Wahlkämpfe zu organisieren und wenigstens ein paar hundert Anhänger für ihre Demos auf die Straße zu schicken, so konnten auch die Freien mit der NPD durchaus etwas anfangen: Die Partei hatte Strukturen, einen bekannten Namen, hatte Geld aus öffentlichen Töpfen – genug Gründe, sie zu kapern.
Im Januar 2009 zum Beispiel machte Maik Scheffler, Kameradschaftsführer aus dem sächsischen Delitzsch, Meldung bei seiner Schar: Die NPD habe ihn angesprochen, sie habe nicht genug Kandidaten und wolle deshalb ihre Listen für Aktivisten aus der Neonazi-Szene öffnen: „Entscheidet selbst, ob wir die personelle Misslage der NPD für uns ausnutzen wollen.“ Man wollte. Der Skinhead, vorbestraft wegen gefährlicher Körperverletzung und unerlaubten Waffenbesitzes, trat in die NPD ein. Stieg zum Kreisvorsitzenden Nordsachsen auf. Zum Landes-Vize. Zum Vertrauten von Apfel.
Noch 2007 hatte Scheffler das Freie Netz gegründet, die gefährlichste und am besten verdrahtete schnelle Eingreiftruppe der Kameradschaftsszene Ost.
Auch Wohlleben, der mutmaßliche NSU-Helfer, tauchte in Chats des Freien Netzes auf. Im Februar 2009, da wollten die Kameraden eine Polizeiwache in Dresden stürmen, schrieb er: „Die Wache der Miliz anzugreifen findet bei uns bestimmt auch breite Zustimmung.“ Die Antwort von Scheffler: „Ohne einen abzustechen? Ist ja langweilig.“ Seit Scheffler zugegeben hat, dass die beiden Sätze tatsächlich von ihm stammen, behauptet NPD-Chef Apfel, das habe Scheffler wohl nur „ironisch“ gemeint.
Und so regelmäßig sich führende Funktionäre zur Gewaltlosigkeit bekennen, so regelmäßig ergehen sie sich auch in düsteren Andeutungen, dass man notfalls auch ganz anders könnte.
Noch gut in Erinnerung ist die PastörsRede von 2009, als er in den Saal rief, man werde sich der „muselmanischen Bedrohung entgegenstellen“. Oder dazu aufrief: „Arbeiten, kämpfen, notfalls auch bluten: Angriff heißt die Parole.“ Oder seine Drohung, wenn man an der Macht sei, werde man alle, die „heute noch uns frech ins Gesicht grinsen“, einer „gerechten Strafe zuführen: Also, liebe herrschende Klasse, seht Euch vor, denn wer Wind sät, wird Sturm ernten. Lasst uns Sturm sein“.
Apfel, der angebliche NPD-Pazifist, lässt sich zwar nicht so leicht erwischen, aber auch das fällt möglicherweise nur unter taktisches Verhalten. Und wie soll man es deuten, dass er demnächst sein Bürgerbüro in einem Haus des Chemnitzer Neonazis Yves Rahmel eröffnen will? Rahmels Plattenlabel „PC Records“, verantwortlich für das Album „Adolf Hitler lebt“, hatte schon 2010 das Lied „Dönerkiller“ veröffentlicht. Lange vor dem Ende der Zwickauer Zelle. „Neunmal hat er bisher brutal gekillt, doch die Lust am Töten ist noch nicht gestillt.“ Rahmel, sagt Apfel, sei nur sein Vermieter, mehr nicht. „Man sagt guten Tag und auf Wiedersehen.“
Gut möglich, dass das so ist. Heute. Nach dem NSU-Schock. Und vor einem möglichen neuen Verbotsverfahren. Die Nationaldemokraten müssen jetzt aufpassen, was sie sagen, und erst recht, was sie tun. Deshalb gilt der bayerische Kameradschaftsführer Martin Wiese neuerdings bei NPD -Veranstaltungen als unerwünscht. Im vergangenen Oktober, beim Bezirksparteitag der NPD Oberpfalz, war man noch nicht so zimperlich. Wiese pries den dortigen nationalen Freiheitskampf. Was er darunter verstand, stellte ein Gericht 2005 fest. Er sei Anführer einer Terrorgruppe gewesen, die mit „Mord und Totschlag“ einen „blutigen Umsturz“ herbeiführen wollte. Seine Haft, sieben Jahre, saß er bis zum letzten Tag ab, wegen fehlender Einsicht. Aus der U-Haft schrieb er einen Brief: „Ich werde erst Ruhe geben, wenn der Endsieg errungen ist. Heil Hitler.“
Heute hält Apfel die Wiese-Gastspiele bei der NPD für „unglücklich“. Er setzt sich ab von solchen Leuten, das passt zur Image-Kur unter seiner Führung. „Der Schutz der Partei steht im Vordergrund, nicht das Einzelschicksal“, doziert der Vorsitzende.
Doch gleichzeitig drückt der neue Kurs die NPD in einen Spagat, den sie jetzt schon kaum aushält. Während die Partei seit einigen Jahren schrumpft, wachsen die freien Neonazi-Verbände, die sich von nichts und niemandem etwas sagen lassen wollen. Je stärker die Partei unter Apfel jetzt zur Mitte dreht, umso mehr enttäuschte Stahlkappen- und Bomberjacken-Kameraden verliert sie an die Freien. Ohne die Jungs von der Krawallfront ist die Partei aber kaum noch fähig, die Fahne hochzuhalten, den Kampf zu organisieren. Schon deshalb muss die NPD-Spitze jedes Verbotsverfahren fürchten: Es zwingt sie noch mehr dazu, stillzuhalten, sich selbst zu verleugnen.

Republik Ratlos

Soll man die NPD verbieten? Kann man sie verbieten? Neun tote Einwanderer, eine tote Polizistin, mit dem Ende der NSU -Terrorzelle hat auch die Debatte um das NPD-Verbot wieder begonnen; irgendetwas muss der Staat schließlich tun, ein Zeichen setzen, mindestens das. Aber weil sie mit dem NSU-Terror losging, ist die Verbotsdebatte eine um die Gewaltbereitschaft der NPD, und das wird, so weit absehbar, zu nichts führen.
Sicherlich, die NPD, ihre ganze Ideologie, ihre Ästhetik, strotzt nur so vor Kraftmeierei. Aber eine aktive Unterstützung der NSU-Gruppe? „Schon aus Selbstschutz wären unsere Aktivisten nicht so blöd, so etwas ernsthaft ins Au ge zu fassen“, sagt Apfel, mit anderen Worten: So eine Vorlage würde die Partei dem Staat nicht liefern – mal abgesehen davon, dass man Gewalt sowieso ablehne.
Natürlich gibt es da die bekannten Querverbindungen zu früheren und heutigen Parteikadern. Es ist auch keine Frage, dass es dasselbe Milieu war, aus dem Teile der ostdeutschen Neonazi-Szene in die NPD hineingewachsen sind, andere in die Militanz und den Untergrund abtauchten. Nicht nur für Bundesinnen - minister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist das „eine geistige Brühe“.
Aber das bedeutet noch nicht, dass die Partei, ihre Gremien, von den Mordplänen der Neonazis gewusst oder sie gar unterstützt hätten. Bisher geben die NSU-Ermittlungsergebnisse dafür nichts her. Keine Geldtransfers der NPD, um dem Killerkommando das Leben im Unter grund zu finanzieren, keine E-Mails, Notizen oder gar Beschlussprotokolle aus der NPD, die sie belasten würden. Als André K. 1998, kurz nach dem Abtauchen des Trios, nach Berlin fuhr, um NPD-Bundesvorstand Frank Schwerdt um Hilfe für die drei Untergetauchten zu bitten, bekam er angeblich sogar eine klare Abfuhr. „Das wollte und konnte ich nicht“, so Schwerdt. Vielleicht ist es eine Schutzbehauptung, aber auch Innenminister Friedrich räumt ein: „Eine direkte Verflechtung zwischen dem NSU und der NPD ist mir bisher nicht bekannt.“
Was bleibt dann noch? Nur die mühselige Puzzle-Arbeit. Hier mal Redefetzen, dort mal ein Chat-Fitzelchen allzu freimütiger NPDler, Belege dafür, dass die Partei es insgesamt mit dem Gewaltverbot nicht so ernst nimmt. „In Einzelbelegen voranschreiten“ nennt das Friedrich. Doch bei allen Kontakten zu gewaltbereiten Kameradschaften und manch dunkelgemunkelter Drohgebärde aus der Partei – ob dafür gerade das Thema Gewalt den richtigen Ansatzpunkt bietet, ist fraglich.
Deutlich besser stehen die Chancen beim Versuch, der Partei eine aggressiv-kämpferische Haltung gegen die Demokratie nachzuweisen. Den Umsturz als Endziel. Es fällt schon auf, wie Holger Apfel in jüngster Zeit geradezu musterbürgerlich betont, dass die NPD auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehe.
Näher heran an die Wahrheit kommt wohl eine Apfel-Aussage von 1998, die schon beim ersten Verbotsverfahren 2001 eine Rolle spielte und von ihm heute als Verhaspler, als „missverständlich“ und „unüberlegt“ entschuldigt wird: „Wir sind stolz darauf, dass wir alljährlich in den bundesdeutschen Verfassungsschutzberichten stehen und dort als feindlich, verfassungsfeindlich, gegen dieses System gerichtet genannt sind – jawohl, wir sind verfassungsfeindlich.“
Kann man das missverstehen? Und auch 2008 tönte Apfel noch im Landtag: „Das System hat keine Fehler, das System ist der Fehler.“ Inzwischen behauptet er, solche Sätze richteten sich nur gegen das „System in dieser Art der Entartung“, es gehe nicht ums Grundsätzliche, also Grundgesetzliche.
Bei NPD-Demonstrationen skandierten Parteifreunde regelmäßig „BRD heißt das System, morgen soll es untergehen“. Das versteht man schon ganz richtig. Und mit Patrick Wieschke sagt selbst jetzt noch, Anfang 2012, ein NPD-Bundesvorstand: „Meine Ziele sind dieselben wie vor zehn Jahren: Ich will die repräsentative Demokratie überwinden. Aber ich habe begriffen, dass der Straßenkampf dafür nicht das geeignete Mittel ist.“
All das zusammengenommen würde ziemlich sicher reichen, um die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrige Partei zu überführen. Doch die entscheidende Frage ist eine andere, ist dieselbe wie vor neun Jahren, als Karlsruhe den ersten Verbotsantrag ablehnte mit der Begründung, es sei nicht zu trennen, was wirklich auf das Konto der Partei gehe und was möglicherweise nur V-Männer des Verfassungsschutzes angezettelt hätten.
Wer mit Bundesinnenminister Friedrich über einen zweiten Anlauf spricht, erlebt deshalb einen zweifelnden Politiker, dem klar ist, was das bedeutet: Gut 130 V-Leute liefern Interna aus der Partei, mehr als ein Dutzend davon sitzt in Führungsetagen. Den Großteil von ihnen müssten Bund und Länder abziehen, auf jeden Fall alle Funktionäre und führende Aktivisten. Friedrich hat intern deutlich gemacht, dass er bereit wäre, Informanten aus den Vorständen abzuschalten, jedoch nicht alle V-Leute.
Aber das wäre noch nicht alles: Womöglich kämen die Ämter nicht darum herum, sogar die Namen preiszugeben, den Verfassungsrichtern, und nicht zuletzt auch der NPD. Das wiederum gilt als unmöglich, weil jeder V-Mann eine Zusage besitzt, dass er unter keinen Umständen enttarnt wird.
Und als wäre das nicht schon schwierig genug: Weil Beweismaterial nicht von V-Leuten stammen oder wesentlich beeinflusst sein darf, könnte eine Sammlung wohl erst beginnen, wenn alle wichtigen Quellen abgeschaltet wären. Wer aber soll dann noch das Belastungsmaterial aus der Partei herausschmuggeln? Der Staat hat sich im Kampf gegen die NPD derart verheddert, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, während eines Verbotsverfahrens zu straucheln.
Zu beobachten ist deshalb ein PolitSchauspiel. Es gibt kaum einen Innenminister, der öffentlich gegen ein NPD-Verbot argumentiert; in Wahrheit aber ist die Skepsis groß. Die Formulierung, auf die sich die Innenminister im Dezember einigten, kaschierte denn auch ebenso viel, wie sie aussagte: Man sei für ein „erfolgreiches Verbotsverfahren“, hieß es da. Im Klartext: Wenn „erfolgreich“ nicht gesichert ist, lässt man es lieber. Die Zurückhaltung hat sich seitdem noch verstärkt: „Wir dürfen und werden bei einem Verbotsantrag kein Risiko eingehen“, warnt Friedrich.
In Sachsen-Anhalt und Berlin arbeitet derzeit eine Arbeitsgruppe an einem Kriterienkatalog, was vor einem An trag zu klären ist. Auf einem halben Dutzend Seiten führen die Ministerialen auf: Wie weiter mit den V-Leuten? Würde man ihre Namen preisgeben? Welche Be - weismittel dürfen beschafft werden? „Diese gemeinsam entwickelten Kriterien für einen erfolgreichen Verbotsantrag müssen eingehalten werden“, sagt Friedrich.
Ende März treffen sich die Ministerpräsidenten. Gut möglich, dass dann oben unten sticht, dass sich die Länderchefs auf ein Verbotsverfahren festlegen, obwohl ihre Innenminister mehrheitlich nicht dafür sind. „Wir sollten da alle an einem Strang ziehen und das Notwendige für ein erfolgreiches NDP-Verbotsverfahren schnellstmöglich auf den Weg bringen“, sagt der bayerische CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer. So sieht es auch der Mainzer Regierungschef und Sozialdemokrat Kurt Beck: „Hier müssen wir als Demokraten zusammenstehen und gemeinsam handeln.“ Und sein Genosse, der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, fordert die Zweifler auf, „über die Parteigrenzen mehr Mut zu zeigen. Wenn es rechtliche Hürden wegen V-Leuten in der Führungsebene der NPD gibt, dann müssen diese Hürden eben beseitigt werden.“
Hinter den Kulissen treibt vor allem Kanzleramtschef Ronald Pofalla von der Union das Verbotsverfahren voran. Er bittet in internen Runden um neue Belege und wirbt für eine parteiübergreifende Einheit. Friedrich würde zwar der Kanzlerin folgen, warnt aber: „Es muss auch allen das Risiko eines Scheiterns bewusst sein, und dass man dann auch die Konsequenzen des Scheiterns gemeinsam tragen muss.“
Natürlich müsste die NPD verboten sein. Sie ist unerträglich und für ein Land mit so einer Vergangenheit eigentlich auch untragbar. Aber am Ende, frohlockt Apfel, könnte „unsere NPD aus einem eventuell folgenden Verbotsverfahren gestärkt herausgehen“.
Eine Stärkung der NPD? Das wäre nun wirklich verboten.

Jürgen Dahlkamp, Günther Latsch, Maximilian Popp, Sven Röbel,
Holger Stark, Andreas Wassermann, Steffen Winter

Karl Nolle im Webseitentest
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