Sächsische Zeitung, 13.02.2012
Rechte Gewalttäter im Visier der Justiz
Seit dem Jahr 2000 wurde in Sachsen gegen mehrere Neonazi-Gruppen ermittelt. Das Material könnte für einen Antrag zum Verbot der NPD wichtig sein.
Dresden. Schlummern in sächsischen Gerichtsakten noch nicht ausgewertete Fakten, die bei einem möglichen NPD-Verbotsverfahren eine wichtige Rolle spielen könnten? Experten, die sich regelmäßig mit den Gewalttaten der rechten Szene im Freistaat beschäftigen, schließen dies jedenfalls nicht aus. Tatsächlich musste jetzt aber Sachsens Staatsregierung einräumen, dass das umfangreiche Aktenmaterial noch nicht auf eine rechtliche Verwertbarkeit in einem möglichen Parteiverbotsverfahren überprüft wurde. Auf eine parlamentarische Anfrage des
SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle teilte Sachsens Justizminister Jürgen Martens (FDP) zudem mit, dass eine solche Überprüfung zwar für die Zukunft nicht auszuschließen sei, derzeit aber auch nicht beabsichtigt wäre.
Viele Verfahren, neue Anklagen
Das zur Verfügung stehende Material ist jedenfalls äußerst beachtlich. So ermittelte die Justiz laut Angaben von Minister Martens allein im Fall der Gruppierung „Skinhead Sächsische Schweiz SSS“ gegen rund 80 Mitglieder und Sympathisanten und leitete anschließend gegen über 40 Personen Verfahren ein. Mehrheitlich wurden dabei Jugendstrafen und Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesprochen.
Im Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Kameradschaft „Sturm 34“ wurde schließlich in 16 Verfahren gegen 53 Mitglieder ermittelt. Die Strafverfahren gegen zehn Verdächtige sind hier immer noch nicht abgeschlossen. Weitere Ermittlungen gab und gibt es seit dem Jahr 2000 zudem gegen die „Kameradschaft Oberlausitz“ und den „Jungsturm 41“ sowie derzeit gegen die „Terrorcrew Muldental“ und gegen Mitglieder der „Hooligans Elbflorenz“, eine etwa 50-köpfige Vereinigung von rechtsextremistisch motivierten jungen Männern. Gegen die Rädelsführer wurde mittlerweile Anklage vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden erhoben.
Nolle: Nazis stärker verfolgen
SPD-Politiker Nolle sieht auf jeden Fall großen Handlungsbedarf für eine Aktenauswertung: „Einige Hundert gerichtsbekannte braune Gewalttäter betreiben in Sachsen seit Jahren, verflochten mit der NPD, eine Wiederbelebung der verbrecherischen Nazi-Ideologie im Umfeld und im Freundeskreis der NSU. Die Justiz hält sich aber für überfordert, die Regierung ist sprachlos, die Polizei mit Hunderttausenden Handy-Daten von couragierten Bürgern befasst – glaubwürdige und konsequente Verfolgung der Nazis sieht anders aus“, kritisiert er.
Von Gunnar Saft