Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 13.02.2012

Zwickauer Neonazi-Zelle: Hilfe von der Hassfamilie

 
Immer donnerstags kamen sie zu Besuch: Der 32 Jahre alte André E. und seine Familie waren enge Vertraute des Zwickauer Terrortrios. Jetzt bekommen die Ermittler über E. immer mehr Einblick in die Gespenster-Welt der braunen Zelle. Auf einem Computer fanden sich Bilder von Opfern der NSU-Mörder und im Ordner "bildermix" Fotos von Gerhard Schröder - mit Judenstern.

Fast zeitgleich, genau um 6:29 Uhr und um 6:30 Uhr, suchten am Morgen des 24. November in Zwickau und im brandenburgischen Mühlenfließ Beamte der GSG 9 und ein Großaufgebot von 26 Polizeibeamten zwei Wohnungen der Familie E. heim. Die Sprengstoffspürhunde "Taro" und "Muck" waren im Einsatz, an beiden Orten waren Spezialisten für Netzwerkforensik dabei.

Der 32-jährige André E., der sich auf dem Hof seines Zwillingsbruders Maik in Brandenburg aufhielt, wurde gefesselt und festgenommen. Er steht im Verdacht, einer der wichtigsten Unterstützer der Zwickauer Terrorzelle gewesen zu sein. So soll André E. bei der Produktion des Selbstbezichtigungsvideos der Terrorvereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) geholfen haben. Seit einigen Wochen wird auch gegen seine Frau Susann ermittelt. Sie steht im Verdacht, eine der Helferinnen der Bande gewesen zu sein. Nachbarn der Terroristen in Zwickau hielten sie für eine Schwester von Beate Zschäpe.

Zumindest seit 2003 war vermutlich keiner der anderen mutmaßlichen Unterstützer so dicht dran an der braunen Zelle wie die Familie E. An Donnerstagen besuchte das Ehepaar mit den beiden Kindern die Terroristen in der Zwickauer Frühlingsstraße. André E. soll dem Trio auch bei privaten Angelegenheiten behilflich gewesen sein.

Nachdem sich die Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November vergangenen Jahres das Leben genommen und Beate Zschäpe die gemeinsame Wohnung angezündet hatte, rief sie sofort bei André E. an. Erst nach mehreren Versuchen erreichte sie ihn. Das Gespräch dauerte eine Minute 27 Sekunden. Umgehend schickte André E. seiner Frau eine SMS. Der Anruf und die SMS sind für die Ermittler, wie es in amtlichen Papieren heißt, weitere Hinweise, dass "ein besonderes Vertrauensverhältnis" zwischen der Familie E. und der Zwickauer Zelle bestanden haben muss.

Spendendose für "Propaganda und Schulung"

Bei dem Versuch, das Leben und Morden der Terrorzelle zu rekonstruieren, setzen die Fahnder sehr stark auf die Ermittlungen im Fall der Familie E. Am Anfang der neunziger Jahre, das ist klar, bildeten die Kameraden vom "Thüringer Heimatschutz" und von "Blood and Honour" im Untergrund den Untergrund. Dann kamen neue Leute, die in Jena nicht dabei gewesen waren.

Die früheren Helfer und die späteren Helfer waren alle extrem rechts - wie auch Familie E. Im Schlafzimmer des André E. in der Zwickauer Wohnung stand eine Dose mit der Aufschrift "Nationale Sozialisten Zwickau" und "spendet für Propaganda und Schulung".

In einem Bericht des Bundeskriminalamts über die Durchsuchung auf dem Vierseitenhof des Maik E. findet sich die Beschreibung, anhand der "Gestaltung des Hauses mit Bildern und Gegenständen", die einen "thematischen Bezug zum Dritten Reich und seinen Symbolen" aufweise, könne auf eine "rechtsgerichtete Gesinnung" geschlossen werden. Maik E. war mal eine Größe bei den Jungen Nationaldemokraten.

Das nächste Wohnmobil für die Zwickauer war schon angemietet

André E. hatte auf seinem Computer Dateien mit Aufschriften wie "Hitlersbilder" und "Nazibilder". Die Ermittler fanden auf der Festplatte eines offenbar von André E. benutzten Computers Dateien von drei der neun Opfer der Ceska-Morde. Ein weiteres Foto zeigt die 2007 von der Bande ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter.

Der ehemalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder wird in einer Datei mit dem Namen "bildermix" verunglimpft. Er wird hinter gekritzelten Gitterstäben gezeigt, auf der linken Brust hat er einen gelben Stern, der den Judenstern symbolisieren soll: "Niemand entgeht der Gerechtigkeit" oder "Don't forget you are the next" steht auf Entwürfen für ein "Schröder T- Shirt". Diese Familie war eine Hassfamilie.

Im Unterordner "bildermix/bilder" findet sich eine Datei mit einem Einladungsschreiben zu einer Führung durch die Burg Schönfels: "Je nachdem wie die Stimmung ist, werden wir selber singen, natürlich alte HJ-Lieder, wie es sich für Nationalsozialisten gehört", steht auf der Einladung. Eine "angemessene Kleiderordnung" müsse schon sein, da "dies keine Skinhead-Veranstaltung wird, sondern ein Treffen von Nationalsozialisten für Nationalsozialisten". Als Kontakt war "bei Fragen" eine Nummer angegeben, deren Anschlussinhaber der Vater von Maik und André E. war. Ob er etwas mit der Einladung zu tun hatte, ist aber unklar. Dieses Einladungsschreiben ist mit Runen-Zeichen umrahmt, die mit "Sieg Heil" übersetzt werden können.

Um in diese Gespenster-Welt Einblicke zu bekommen, haben die Ermittler etliche der Verdächtigen in den vergangenen Monaten observiert und abgehört. Mehr als ein halbes Dutzend Handys wurde bei den Durchsuchungen in den Wohnungen beschlagnahmt. Die Auswertung der vielen sichergestellten Asservate wird noch dauern, andere sind ausgewertet. Dazu gehört auch eine Autogrammkarte von "Cindy aus Marzahn", die im Zwickauer Brandschutt gefunden wurde. Die gleiche Karte befand sich auf dem Kühlschrank von E. in Zwickau.

Ein Freund - bis zuletzt

André E. war ein Freund - bis zuletzt. Drei Tage vor seiner Festnahme meldete sich beim Camping- und Ferienpark "Wulfener Hals" auf der Ostsee-Insel Fehmarn, wo Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe seit 2008 jedes Jahr Urlaub gemacht hatten, ein Mann, der sich E. nannte. Er versuchte, die Bestellung des von den Terroristen für Juli 2012 reservierten Wohnwagens zu stornieren. Es brauche eine schriftliche Stornierung, wurde dem Anrufer mitgeteilt. Kurz darauf wurde die Stornierung per E-Mail bestätigt.

Die Helfer der braunen Zelle sind unter Druck. Wie es so geht, lautet die am häufigsten gestellte Frage in diesen Kreisen. "Nu na ja, es geht so . . . ich glob, jetzt treibt sich scho de antifa vor mein haus rum, wie presse sehn die nett aus". Diese SMS aus den Novembertagen findet sich in der Ermittlungsakte des André E.

Von Hans Leyendecker

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