sz-online/Sächsische Zeitung, 14.02.2012
Dresden war auch eine Stadt der Täter
Künstler erinnerten beim Mahngang an Verbrechen während der Nazizeit. Die große Teilnehmerzahl überraschte selbst die Veranstalter.
Das Bündnis Dresden-Nazifrei hatte gestern Mittag zum Mahngang Täterspuren eingeladen. Mit 500 Teilnehmern wären die Veranstalter zufrieden gewesen, doch schon zu Beginn waren es etwa 1000 Menschen auf dem Comeniusplatz. Zur Abschlusskundgebung gegen 16.30 Uhr an der Blüherstraße hatten sich rund 2500 Menschen in den friedlichen Rundgang eingereiht. In der Mehrzahl waren es junge Menschen, einige von ihnen kamen mit Bussen aus Berlin. Auch ältere Dresdner hatten sich eingereiht, mittlere Jahrgänge fehlten jedoch. Dabei waren auch Prominente wie Linken-Chefin Gesine Lötzsch und Vize-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.
Die Veranstaltung verstehe sich als Gegenpool zur offiziellen Erinnerungskultur der Stadt, hatte eine Rednerin zu Beginn erklärt. Dresden sollte am 13. Februar nicht nur der Opfer der Bombenangriffe gedenken. Die Stadt sei nun mal kein Widerstandsnest der „weißen Rose“, sondern eine Garnisonstadt und eine Stadt von überzeugten Nazis und unzähligen Zuschauern gewesen. Daran müsse erinnert werden. Das tat dann auch der Kabarettist Thomas Schuch vor einer hellgrünen Villa an der Comeniusstraße. Er erinnerte an das Leben und die Verbrechen von Gauleiter Martin Mutschmann, der einst in dieser Villa gelebt hatte. Der NSDAP-Mann wurde nach dem Krieg in Moskau zum Tode verurteilt.
In der Güntzstraße befand sich einst das Asyl- und Altenheim der jüdischen Gemeinde. Es war 1852 vom Bankier Wilhelm Schies gestiftet worden. Die Nazis nutzten es als sogenanntes Judenhaus, als Sammelstelle für den Transport nach Theresienstadt. Von den 47 deportierten Bewohnern des Heimes sollen nur die beiden Frauen Hannchen Brauer und Betty Roth überlebt haben.
Die Mathilde an der Mathildenstraße war ein berüchtigtes Gefängnis während der Nazizeit. Hier Inhaftierte wurden auch als Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie eingesetzt. Benjamin Pauquet vom Dresdner Staatsschauspiel erläuterte den Justizort Dresden und die Todesstrafen gegen Andersdenkende. An der Schießgasse befanden sich Polizeigefängnis und -präsidium, am Münchner Platz die Hinrichtungsstätte.
An der Neuen Synagoge erzählte die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Dresden, dass die Feuerwehrleute 1938 die von Gottfried Semper geschaffene Synagoge nicht löschen durften. Historische Fotos belegen, wie am Morgen darauf etwa 2000 Leute zum Zuschauen kamen. „Viele davon haben sich gefreut“, sagte Nora Goldenbogen. Schon zwei Tage später wurden die Reste der Synagoge gesprengt. Um Themen wie Rassendenken und Euthanasie ging es vor dem Deutschen Hygiene-Museum.
Viele Teilnehmer reihten sich anschließend etwas nachdenklicher als sonst in die Menschenkette ein.
Von Bettina Klemm