Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 17:35 Uhr, 13.02.2012

Jahrestag der Bombennacht: Neonazis rüsten zum Fackellauf durch Dresden

 
Seit dem Morgen fliegen Hubschrauber über die Stadt, die Polizei hat Straßen abgesperrt: Hunderte Neonazis marschieren am Abend durch Dresden, sie missbrauchen den Jahrestag der Bombardierung für ihren Protest. Linken Gegendemonstranten wird es in der Sachsenstadt immer noch schwer gemacht.

Als Dieter Kroll erkannte, dass er den Konflikt anders nicht begreifen würde, begann er zu malen. In seinem Büro im Dresdner Polizeipräsidium hängen meterlange Papierrollen an der Wand. Polizeichef Kroll hat die Vorgaben an seine Beamten für den 13. Februar zusammengefasst. Ein Wort hat er mehrfach unterstrichen: "Verhältnismäßigkeit."

Denn genau daran fehlte es im vergangenen Jahr. Als zum Gedenken an die Dresdner Bombennacht vom 13. Februar 1945 Tausende Rechtsextremisten demonstrierten und sich Nazi-Gegner ihnen in den Weg stellten, kam es zu Ausschreitungen, Müllcontainer brannten, rund hundert Polizisten wurden verletzt. Die Polizei wurde bundesweit für ihr Krisenmanagement gerügt.

Für diesen Montagabend haben Neonazis erneut mobilisiert. Sie lassen sich nicht irritieren von der verschärften Beobachtung der Szene seit Bekanntwerden der neonazistischen Mordserie von Zwickau. 2000 Rechtsextremisten aus ganz Europa und 10.000 Gegendemonstranten wurden in Dresden erwartet. Bis zum Abend versammelten sich am Bahnhof laut Polizei rund 1000 Neonazis - weniger als gedacht. Hunderte Gegendemonstranten formierten sich in Sicht- und Hörweite.

Krolls Aufgabe ist es, zu verhindern, dass sich die Bilder vom Vorjahr wiederholen. Seit etwa einem Jahr ist er im Amt. Sein Vorgänger musste nach Kritik an den Ermittlungen um den 13. Februar zurücktreten. Kroll hat als Polizeipräsident einen schwierigen Job geerbt. Die Dresdner Bombennacht ist eines der komplexesten und ideologisch anfälligsten Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte.

769 Lancaster-Maschinen der Royal Airforce flogen am 13. Februar 1945 über Dresden und warfen mehr als 2600 Tonnen Bomben ab. Am nächsten Tag entluden 311 amerikanische Kampfflieger 700 Tonnen. Mindestens 20.000 Menschen kamen bei dem Angriff der Alliierten ums Leben. Bis heute streitet die Stadt, wie sie angemessen an die Opfer erinnern soll.

In den Jahren nach der Wende beschränkte sich das Gedenken auf Glockengeläut und Lichterketten vor der Ruine der Frauenkirche. Mitte der neunziger Jahre kamen die Neonazis. Zunächst waren es hunderte, zuletzt 7000.

"Die Bürgerschaft war nicht entschlossen genug, diesem Spuk ein Ende zu bereiten", sagt der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Gruppen engagierter Bürger haben immer wieder gegen die Neonazis mobilisiert. Ein entschiedenes Vorgehen gegen Rechts scheiterte an der Politik.

"In einer Tour aufs falsche Pedal"

"Die Stadt hat Gegenaktivitäten nicht nur nicht unterstützt, sondern phasenweise behindert", sagt Ralf Hron vom sächsischen Gewerkschaftsbund. "In Dresden laufen Sachen, die im Rest der Republik undenkbar sind." Stefan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, kritisiert, dass man "in Sachsen eine politische Auseinandersetzung mit den Rechten scheut."

Tatsächlich scheint es, als würden sächsische Behörden und Justiz mit aller Härte Bürger verfolgen, die sich gegen Neonazis stellen, die Rechtsextremisten aber gewähren lassen. Während NPD und Junge Landsmannschaft Ostdeutschland jahrelang attraktive Marschstrecken bekamen, wurden Demos der Linken konsequent aus dem Zentrum verdrängt. Dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) wurde im vergangenen Jahr eine Mahnwache gegen Rechtsradikalismus untersagt, der Gedenkmarsch eines Linken-Abgeordneten zu Dresdner NS-Tatorten wurde massiv eingeschränkt. "Man hat das Gefühl, es wird in einer Tour aufs falsche Pedal getreten", sagt Robert Koall, Chefdramaturg am Dresdner Schauspielhaus.

In einer bundesweit beispiellosen Spitzel-Aktion spionierte die sächsische Polizei im Februar 2011 in Dresden die Telefone zehntausender Bürger aus - von Anti-Nazi-Demonstranten ebenso wie von unbeteiligten Anwohnern, Abgeordneten, Journalisten, Touristen. Der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig kritisierte den Einsatz als "unverhältnismäßig" und "in Teilen rechtswidrig". Ebenfalls im Februar 2011 stürmten 120 sächsische Elitepolizisten ein Dresdner Jugendzentrum, in dem sie linke Steinewerfer vermuteten.

Neonazis als schutzbedürftige Minderheit

Der Dresdner Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann brandmarkt friedliche Anti-Nazi-Demonstranten weiterhin als "Alliierte der Gewalttäter". Im Dezember verurteilte das Amtsgericht Dresden einen jungen Blockierer zu einer Geldbuße, die über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß hinausging. Bei Neonazis handele es sich um eine schutzbedürftige Minderheit, erklärte der Richter.

Gegen den Fraktionschef der sächsischen Linken wurde erst vor wenigen Wochen Strafbefehl erlassen. Die Staatsanwaltschaft will ihn als "Organisator und Kopf" einer Blockade ermittelt haben - an der er nachweislich nicht teilnahm. Der Landtag hat inzwischen seine Immunität aufgehoben. Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der sächsischen Grünen, fasst es so zusammen: "In Dresden wird alles platt gemacht, was das offizielle Gedenken stört."

Nach verheerender öffentlicher Kritik hat die Stadtregierung begonnen, Fehler zu korrigieren. Sie hat eine Historikerkommission einberufen, um die Opferzahlen vom 13. Februar 1945 zu ermitteln, und sie hat den Theologen und Bürgerrechtler Frank Richter berufen, als Moderator einer "Arbeitsgemeinschaft 13. Februar" den Konflikt zu entschärfen. Doch ein geschlossener Protest aller gesellschaftlicher Gruppen gegen Rechts wird weiterhin durch den Streit ums Gedenken erschwert.

Der Dresdner FDP-Chef verweigert jede Zusammenarbeit mit Linken: "Ich will nicht mit dem Fanclub des einen Massenmörders gegen den des anderen demonstrieren." In Dresden fliegen seit dem Morgen Hubschrauber über der Stadt. Polizisten haben Straßen abgesperrt. Krolls Beamte rüsten sich für den schwierigsten Einsatz des Jahres. Die Rechtextremisten wollen am Abend mit Fackeln durchs Stadtzentrum marschieren. Zwar gibt sich die NPD bürgerlich zahm, seit ein erneutes Verbotsverfahren droht. Den 13. Februar aber wollen die Kameraden weiter für ihre Geschichtsklitterung nutzen.

Von Maximilian Popp, Dresden


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