DNN/LVZ, 18.02.2012
Tauziehen um Schuldenbremse - Beim Ringen um Verfassungsänderung steht für viele Parteien (Wahl-) Taktik im Vordergrund
Dresden. Seit Wochen wird Sachsens Politik von einem Tauziehen um die Schuldenbremse geprägt. Mittlerweile hat ein Sondierungsgespräch der fünf demokratischen Fraktionen stattgefunden, im Kern herrscht Einigkeit: Alle wollen dem Schuldenmachen in der Verfassung einen Riegel vorschieben - aber aus völlig unterschiedlichen Gründen. Um die Sache geht es oft nur am Rande, die Schuldenbremse droht zum politischen Show-Turnen zu verkommen.
Dabei ist die Situation reichlich unübersichtlich. Das fängt bei der Ausgangslage an: In Sachsen existiert bereits seit dem Jahr 2006 ein faktisches Schuldenverbot, eingeführt noch von der damaligen CDU/SPD-Regierung. Seitdem hat der Freistaat keine neuen Kredite aufgenommen, tilgt sogar seit Jahren einen Teil der alten Schuldenlast. Darüber hinaus gilt ab 2020 das Schuldenverbot auf Bundesebene. Davon ist dann auch Sachsen betroffen.
Dennoch hat die CDU/FDP-Koalition das Thema auf die Tagesordnung gehoben, bis zum Sommer soll die Verfassung geändert werden. Doch in Dresden gilt es längst als offenes Geheimnis, dass dahinter auch andere Motive stehen - (Wahl-) Taktik vor allem. So bei den Liberalen: Die Sachsen-FDP von Parteichef Holger Zastrow befindet sich im Dauertief, muss um den Wiedereinzug ins Landesparlament 2014 bangen. Darüber hinaus dürfte der PR-geschulten Truppe aufgefallen sein, dass sie thematisch kaum etwas zu bieten hat. Was fehlt, ist ein kampagnentauglicher Dauerbrenner.
Da kommt die Schuldenbremse gerade recht. Angesichts der Euro- und Bankenkrise, so das offensichtliche Kalkül, wollen sich Sachsens Liberale als Hort der Stabilität präsentieren - und die links-grüne Opposition als Schuldenmacher. Das erklärt auch, warum Zastrow eine weitergehende Modernisierung der Landesverfassung kategorisch ablehnt. Dabei besteht ein Unterschied zur CDU. Zwar gibt es auch in der Union wahltaktische Überlegungen. Doch nicht wenige meinen es durchaus ernst mit der Schuldenbremse, und eben dafür brauchen sie die Stimmen der Opposition - die von SPD und Grünen vor allem.
Damit aber wird die Lage erst richtig kompliziert. Denn auch auf den Oppositionsbänken ist die Motivlage diffus. Am klarsten präsentieren sich noch die Grünen, deren Chefin Antje Hermenau seit Jahren für eine stringente Sparpolitik steht. Allerdings knüpft sie ihre Zustimmung für die Schuldenbremse an handfeste Forderungen: ein transparentes Regelwerk und weitere Änderungen in der Verfassung. Dabei hat die Grüne einen Vorteil: Für ihre Klientel ist ein Nein zum Schuldenmachen alles andere als zentral. Hermenau braucht das Thema gar nicht - sie will es einfach.
Ganz anders die Linke: Deren Fraktionschef André Hahn ist zwar auch zu Gesprächen bereit; eine echte Herzenangelegenheit aber ist die Schuldenbremse für die meisten Führungskader und die Parteibasis nicht. Folge: Wie auch immer sich die Linken positionieren, nach Lage der Dinge können sie dabei weder gewinnen noch verlieren.
Gravierende Probleme dagegen hat die SPD. Sie ist beim Thema gespalten, alte Gräben drohen aufzureißen. Auf der einen Seite steht Landes- und Fraktionschef Marin Dulig, der einen gemäßigt-modernen SPD-Kurs fährt - und für die Schuldenbremse ist. Auf der anderen befinden sich die Traditionalisten rund um Ex-Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange, die das anders sehen. Dabei weiß Stange einen nicht unerheblichen Teil der Basis und der Gewerkschaften hinter sich.
Das erklärt das Agieren von Dulig. Einerseits will er sich nicht von CDU und FDP in eine wahltaktische Falle manövrieren lassen, andererseits darf er nicht die eigene Partei brüskieren. Deshalb setzt er auf eine Mitgliederbefragung. Hintersinn der Übung: Selbst wenn sich dabei SPD-intern der Stange-Flügel durchsetzt, hielte sich sein Gesichtsverlust in Grenzen. Hätte Dulig dagegen den offenen Machtkampf gesucht und verloren, wäre er beschädigt.