Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 16:32 Uhr, 22.02.2012

BKA warnt vor neuen rechten Terrorzellen

 
"Mit Tötungsdelikten ist zu rechnen": In einem vertraulichen Lagebild beschreibt das Bundeskriminalamt, für wie gefährlich es rechtsterroristische Kleingruppen und fanatische Einzeltäter inzwischen hält. Die Ausführungen sind beunruhigend.

Meckenheim - Eines wollte die Hauptkommissarin aus dem Staatsschutzreferat ST 44 des Bundeskriminalamts dann doch ganz deutlich machen: "Bis zum Bekanntwerden der Gruppierung NSU", notierte sie vor einigen Wochen in einem Lagebild, "lagen keine Erkenntnisse zur Existenz rechtsterroristischer Strukturen vor." Jedoch sei die Bildung solcher Terrorzellen innerhalb des rechten Spektrums durchaus "in Betracht gezogen worden". Was im Nachhinein nicht wirklich weiterhilft.

Das vertrauliche 20-Seiten-Dokument ("VS - Nur für den Dienstgebrauch") zeigt, wie zügig sich der Rechtsstaat in Sachen rechts neu positioniert hat. Hielten die Beamten es jahrelang eigentlich für unvorstellbar, dass eine Truppe ausländerfeindlicher Terroristen mordend durch das Land zog, warnen sie nun explizit vor "selbstradikalisierten Einzeltätern" und der "Bildung terroristischer Kleingruppen". Bislang wurden solche Begriffe eher im Zusammenhang mit islamistischem Terrorismus verwendet.

Jetzt aber heißt es in dem Kapitel "Politisch motivierte Kriminalität - rechts": Mit fremdenfeindlicher Gewalt, Brandanschlägen und "in Einzelfällen" auch "mit Tötungsdelikten ist zu rechnen". Dabei habe man "neben einem situativen, ggf. durch Alkohol geförderten Tatimpuls grundsätzlich auch ein planmäßiges Vorgehen der Täter einzukalkulieren". Was dann wiederum bedeutet, dass die Zwickauer Zelle ein zwar lange Zeit unbekanntes und daher unvorstellbares Phänomen war, aber eben keines ist, das sich nicht wiederholen könnte.

Niedrige Hemmschwelle

Bei Auseinandersetzungen mit Linken und der Polizei jedenfalls sei die Hemmschwelle der Neonazis, handgreiflich zu werden und "gemeingefährliche Tatmittel" einzusetzen, mittlerweile eher niedrig, schreibt die Beamtin. Gerade im Rahmen von Großereignissen müsse die Möglichkeit solcher Ausschreitungen stets einkalkuliert werden. Grundsätzlich zeichnete sich das Verhältnis von Linken und Rechten durch eine "erhebliche Konfrontationsgewalt" aus.

Ebenfalls auffällig sei, so heißt es in dem Papier, dass "Personen des öffentlichen Lebens, die sich kritisch mit dem Rechtsextremismus auseinandersetzen", zu Zielscheiben der Neonazi-Propaganda würden. Dazu nutzten die Aktivisten vor allem das Internet, das ihnen eine Agitationsplattform von immenser Bedeutung geworden sei. Vereinzelt könne es zudem zu "Gewaltaktionen", Bedrohungen und Sachbeschädigungen kommen.

Als besonders gefährlich stuft das BKA die sogenannten Autonomen Nationalisten ein, von denen es etwa 1000 in Deutschland geben soll. Charakteristisch für diesen Teil der Szene seien die von Linksextremisten übernommenen Aktionsformen, eine "nationalrevolutionäre Ausrichtung" und eine "erhöhte Gewaltbereitschaft".

Das Beispiel des norwegischen Rechtsterroristen Anders Behring Breivik habe wiederum bewiesen, so heißt es schließlich in dem BKA-Lagebild, wie gefährlich ein fanatisierter Einzeltäter sein und welchen Schaden er anrichten könne. Und was die Staatsschützer in diesem Zusammenhang besonders zu beunruhigen scheint: Obwohl der Osloer seine Tat jahrelang vorbereitet habe, habe die Polizei in dieser Zeit kaum Ansatzpunkte gefunden, sie zu verhindern, so die Kriminalisten. Das verdeutliche die "Grenzen der Gefährdungsprognose".

Von Jörg Diehl

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