Karl Nolle, MdL

Agenturen, dpa, 12:45 Uhr, 23.02.2012

Range: «Das hätte ich eigentlich nicht für möglich gehalten»

Interview: Bettina Grachtrup und Jochen Neumeyer, dpa
 
(Karlsruhe (dpa) - Es war der sprichwörtliche Sprung ins kalte Wasser: Wenige Tage, bevor Harald Range zum Generalbundesanwalt ernannt wurde, kam die Mordserie der Terroristen des selbst ernannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ans Licht. Doch Range, zuvor als Generalstaatsanwalt in Celle tätig, scheint sich auch an der Spitze der Karlsruher Behörde seine Gelassenheit und Ruhe bewahrt zu haben. An diesem Freitag (24. Februar) ist der 64-Jährige 100 Tage im Amt. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa zieht er eine erste Bilanz.

Herr Range, Sie sind jetzt 100 Tage im Amt des Generalbundesanwalts. Wie gehen sie mit dem politischen Druck um, rasch Ermittlungsergebnisse zur Neonazi-Terrorgruppe NSU vorlegen zu müssen?

Range: «Ich sehe das relativ gelassen. Es wird natürlich erwartet, dass wir schnell Ergebnisse vorlegen. Und das wollen wir auch. Genauigkeit und Sorgfalt dürfen dabei aber nicht auf der Strecke bleiben.»

Ist es hilfreich, dass gleich zwei Untersuchungsausschüsse - in Thüringen und im Bundestag - noch vor Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen parallel in Sachen NSU tätig werden?

Range: «Mit unserer Ermittlungsarbeit haben die Untersuchungsausschüsse ja nicht unmittelbar etwas zu tun. Das Problem ist, was wir im Augenblick vorlegen können. Das ist eine personelle und logistische Herausforderung. Wir arbeiten jetzt seit drei Monaten mit etwa 400 Polizeibeamten an dem Fall. Dabei fällt natürlich umfangreiches Aktenmaterial an, das für unser Verfahren geordnet, aber auch für die Ausschüsse aufbereitet werden muss. Und rechtliche Fragen stellen sich, wo es um die Interessen der Beschuldigten geht und um unser Interesse, die strafrechtliche Aufklärung voranzutreiben. So könnte möglicherweise jemand gewarnt werden, gegen den wir noch vorgehen wollen. Wir werden der Gefahr, dass unsere Ermittlungskonzeption durch die Arbeit der Untersuchungsausschüsse beeinträchtigt werden könnte, durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit vorbeugen.»

Was halten sie von der Idee in Thüringen, Beate Zschäpe - die als einzige Überlebende des Zwickauer Trios die Hauptbeschuldigte ist - vor dem Untersuchungsausschuss zu befragen?

Range: «Das habe ich weder zu entscheiden noch zu bewerten.»

Gehen Sie davon aus, dass Frau Zschäpe irgendwann aussagen wird?

Range: «Im Moment rechne ich nicht damit. Wir arbeiten das ab, was wir an objektiven Beweisen, was wir an Zeugenbeweisen haben. Ich bin überzeugt, dass wir die Tatvorwürfe gegen sie auch so belegen können.»

Sie ermitteln gegen Frau Zschäpe und zwölf weitere Beschuldigte. Wie viele Personen haben Sie darüber hinaus im Blick?

Range: «Wie groß der Kreis letztlich ist, kann ich derzeit noch schwer sagen. Durch jede Aussage können sich Hinweise auf weitere Unterstützer ergeben.»

Der in Düsseldorf festgenommene Carsten S. hat wohl ausgesagt...

Range: «Ja, er hat umfangreich ausgesagt. Er hat sich zu seinem eigenen Tatbeitrag geäußert. Und er hat - nach unseren Erkenntnissen auch glaubhaft - gesagt, dass er sich schon vor Jahren aus der rechtsextremistischen Szene gelöst hat.»

Sie hatten gesagt, Sie hätten Bauchschmerzen wegen einer möglichen Anwendung der Kronzeugenregelung auf Frau Zschäpe. Wie sieht das bei Carsten S. aus?

Range: «Das ist keine Frage, die ich mir jetzt stelle.»

Er hat immerhin ausgesagt...

Range: «Auch andere haben ausgesagt. Es ist ja nicht so, dass das alleine schon ausreichend wäre. Letztlich muss am Ende einer Hauptverhandlung darüber entschieden werden.»

In Berlin diskutiert die Politik über einen neuen Anlauf für ein Verbot der NPD. Was wissen Sie über Verbindungen des NSU zur NPD?

Range: «Nach unseren bisherigen Erkenntnissen war der NSU kein militärischer Arm der NPD in dem Sinne, dass es unmittelbare organisatorische Verbindungen gegeben hätte. Es gab einzelne personelle Verbindungen zur NPD, mehr nicht. Endgültig bewerten kann ich das aber erst nach Abschluss der Ermittlungen.»

Aber die Verbindung zum NSU reicht alleine nicht, um ein Verbot zu begründen?

Range: «So, wie ich es im Augenblick sehe, wohl eher nicht. Die Entscheidung darüber müssen aber andere treffen.»

Sie hatten bei ihrem Amtsantritt eine interne Untersuchung angeordnet über die ersten Ermittlungen nach dem Untertauchen der Zwickauer Zelle 1998. Warum und mit welchem Ergebnis?

Range: «Ich wollte natürlich wissen, was wir von der Gruppe gewusst haben. Und: Hätten wir die Ermittlungen früher aufnehmen können? Deswegen habe ich alle unsere Zuständigkeit betreffenden Vorgänge der Jahre 1995 bis 2011 untersuchen lassen. Daraus hat sich ergeben, dass wir von Gesetzes wegen nicht früher einschreiten konnten.»

Das heißt, Sie sehen für Ihre Behörde keine Versäumnisse oder Pannen?

Range: «So ist es. Ich habe bei uns keine Versäumnisse festgestellt.»

Aber Sie würden sich eine Erweiterung Ihrer Zuständigkeiten wünschen?

Range: «Präzisierung ist das bessere Wort. Ich halte es für bedenkenswert, die hohen gesetzlichen Hürden, die wir überwinden müssen, um unsere Zuständigkeit zu begründen, präziser zu fassen. Beispielsweise, dass es die "besondere Bedeutung" des Falles begründet, wenn länderübergreifende Zusammenhänge erkennbar werden.»

Hätten Sie das für möglich gehalten, dass so eine Terrorzelle über Jahre hinweg Morde verüben kann, ohne dass jemand die Taten zuordnen kann?

Range: «Das hätte ich eigentlich nicht für möglich gehalten. Einzeltäter ja, aber eine Gruppe im Untergrund...»

War es Teil des Planes, das Bekennervideo erst am Schluss zu verschicken?

Range: «Das könnte Teil eines Plans gewesen sein. Das ist bislang allerdings nur eine Hypothese. Fest steht für uns hingegen, dass die Beschuldigte Zschäpe mehrere Exemplare des Bekennerfilms verschickt hat.»

Autor: Jochen Neumeyer

dpa jon/bg yyswb a3 ki/aro
231245 Feb 12

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