jungeWelt, Seite 8, 23.02.2012
»Gegenüber Sachsen ist selbst Bayern Hort des Liberalismus«
Polizeipräsident des CDU-regierten Bundeslandes soll Dienstwagen privat genutzt haben. - Ein Gespräch mit Karl Nolle -
Interview: Markus Bernhardt, Karl Nolle (SPD) ist Mitglied des sächsischen Landtages
Der sächsische Landespolizeipräsident Bernd Merbitz soll Privatfahrten mit seinem Dienstwagen im Wert von 6000 Euro nicht ordnungsgemäß abgerechnet haben - ist er auch eine Art Schnäppchen-Jäger wie der zurückgetretene Bundespräsident Christian Wulff?
Das wäre ein erneuter Fall mißbräuchlicher privater Nutzung eines Dienstwagens durch »arme«, hohe und höchste Landesbedienstete. Wenn sich das bewahrheitet, ist offensichtlich, daß der gemeine Wulff-Virus, eine Selbstbedienungsmentalität, inzwischen von Hannover über Berlin nach Sachsen gezogen ist und hier einen Landespolizeipräsidenten infiziert hat.
Welches Signal würde von der »Causa Merbitz« ausgehen, sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, mit denen sich jetzt auch das Amtsgericht befaßt?
Das sind eben die sächsischen Verhältnisse. Ein Landespolizeipräsident mit mutmaßlicher Selbstbedienungsmentalität auf der einen Seite - während man den Streifenpolizisten das Weihnachtsgeld streicht. Wie soll der so belastete höchste Polizeibeamte in Sachsen da Vorbild sein können für seine Polizeioffiziere und die kleinen Revierbeamten? Und wie will er von ihnen die strikte Einhaltung der Dienstvorschriften einfordern?
Also ist das gesellschaftliche Vorbild, das Bernd Merbitz eigentlich haben sollte, bereits jetzt so stark beschädigt, daß er seinen Posten räumen sollte?
Wie soll sich ein so belasteter höchster Polizeibeamter eigentlich mutig vor seine 12000 Polizisten stellen? Wie soll er sich gegen die von blindem Sparfanatismus der Staatsregierung getriebene Polizeireform oder gegen den trotz aller Sicherheitsbedenken betriebenen Personalabbau stellen? Mich würde es nicht wundern, wenn er es nicht täte, um das eigene Fell zu retten.
Das ist auch eine Form der politischen Erpreßbarkeit. Einen Landespolizeipräsidenten mit Disziplinarverfahren oder gar strafrechtlichen Verstrickungen und Ermittlungen wegen möglicher Vorteilsnahme und Untreue kann ich mir kaum vorstellen.
Sie haben Teilen der sächsischen CDU schon öfter vorgeworfen, in Filz und Korruption verstrickt zu sein …
Erst einmal ist roter oder grüner Filz nicht besser als schwarzer. Aber Sachsen wurde seit über 20 Jahren, im Unterschied zu anderen Bundesländern, vom kleinen Schulhausmeister bis zum Ministerialdirigenten ausschließlich mit dem schwarzen Gesangsbuch der CDU durchorganisiert - auch eine Form von Sachsensumpf. Davon sind natürlich auch Teile der Justiz betroffen; der Begriff »Rechtsstaat« erfährt in Sachsen eine besondere Interpretation. Eine solche Entwicklung haben in anderen Bundesländern wechselnde politische Konstellationen relativiert und verhindert. Daher sage ich: Gegenüber Sachsen ist selbst Bayern ein Hort des Liberalismus.
Der Untersuchungsausschuß zum »Sachsensumpf« arbeitet noch immer an der Aufklärung von Verstrickungen von Polizei und Justiz in kriminelle Netze. Wie ist der aktuelle Stand?
Vor drei Wochen hatten wir erstmals den ehemaligen Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) in öffentlicher Vernehmung im Untersuchungsausschuß. Rainer Stock wurde seit seiner Absetzung Mitte 2007 - wie auch andere kleine und höhere Staatsbeamte aus Polizei und LfV - mit Serien von Ermittlungs- und Disziplinarverfahren zum Sachsensumpf überzogen. Stock hat vor dem Ausschuß aus der Einstellungsverfügung seines Disziplinarverfahrens zitiert und erklärt, daß sämtliche vier Ermittlungs- bzw. Disziplinarverfahren, nachdem sie drei Jahre persönlichen und nachwirkenden gesundheitlichen Schaden angerichtet hatten, wegen erwiesener Unschuld eingestellt wurden.
Dieses Ergebnis sage ich auch für die anderen noch anhängigen Verfahren zum Sachsensumpf voraus, die seit Monaten gegen Polizisten, Mitarbeiter des LfV, Journalisten, Zeuginnen und Anwälte zur Einschüchterung und Abschreckung geführt werden. Die politisch gesteuerte Spezialität der »Sächsischen Demokratie« ist »das Verfahren als Strafe«. Es kommt bei Gericht zwar nichts heraus, aber das Verfahren selbst ist die Strafe.