Karl Nolle, MdL

spiegel-online.de, 18:18 Uhr, 15.04.2012

NSU-Terror: Neonazi-Morde - Fahnder waren Verdächtigen auf der Spur

 
Die Ermittler waren den Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt dichter auf den Fersen als bisher bekannt. Nach SPIEGEL-Informationen wurde an den Tatorten immer wieder ein verdächtiges Radfahrer-Duo gesichtet. Hat die Soko "Bosporus" wichtige Zeugenhinweise vernachlässigt?

Hamburg - Es war eine der mysteriösesten Mordserien Deutschlands: Neun Männer, meist Kleinunternehmer, wurden regelrecht hingerichtet - nach gleichem Muster, in Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund und Kassel. Am helllichten Tag, an belebten Straßen und immer durch Schüsse in den Kopf. Acht Deutschtürken und ein Grieche starben. Erschossen mit einer Ceska, Typ 83, Kaliber 7,65 Millimeter.

Jetzt wird nach SPIEGEL-Informationen bekannt: Bayerische Ermittler waren den Terroristen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) offenbar dichter auf der Spur als bisher bekannt. Den Fahndern war bereits früh ein außergewöhnliches Muster im Verhalten der Täter aufgefallen: In vier von neun Mordfällen der sogenannten Ceska-Serie hatten Zeugen jeweils zwei Männer auf Fahrrädern beobachtet.

Das geht aus einem vertraulichen Bericht der Sonderkommission "Bosporus" hervor. Demnach passen die detaillierten Personenbeschreibungen teilweise exakt auf die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die im November nach einem Banküberball in Eisenach erschossen aufgefunden wurden.

Das verdächtige Radfahrer-Duo war dem Ermittlungsbericht zufolge zuerst im September 2000 gesichtet worden, als in Nürnberg ein türkischer Blumenhändler ermordet wurde. Dann tauchte es 2001 in München, 2005 erneut in Nürnberg und 2006 in Dortmund an Tatorten auf.

Verbindung zu Kölner Sprengstoffanschlag wurde untersucht

Überdies hatte die bayerische Polizei eine mögliche Verbindung der Mordserie mit einem Sprengstoffanschlag des NSU in Köln untersucht, bei dem im Juni 2004 22 Menschen teils lebensgefährlich verletzt wurden: Auch hier waren zwei Männer mit Mountainbikes gesehen - und sogar von einer Videokamera gefilmt worden. Die Ermittler zeigten einer Zeugin des dritten Nürnberger Mordes die Aufnahmen. Die Frau erkannte Ähnlichkeiten zwischen den Radfahrern.

In ihrem Bericht fasste die Soko "Bosporus" im Mai 2008 zusammen: Aufgrund der "Opferauswahl (Türken)" und "der Verwendung von Fahrrädern" könne "ein Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden".

Sogar im Fall der 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter gab es Hinweise auf verdächtige Radler: Gleisarbeiter der Bahn hatten damals zwei Mountainbike-Fahrer beobachtet, die in unmittelbarer Nähe des Tatorts miteinander diskutierten. Wenig später seien Schüsse gefallen. Warum der Radfahrer-Spur letztlich keine größere Bedeutung beigemessen wurde, ist unklar.

Ein weiteres potentielles Opfer des braunen Terrorkommandos war offenbar der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl. Durch einen Anruf des Bundeskriminalamts erfuhr der Bundestagsabgeordnete nach dem Tod der Terroristen, dass Mundlos und Böhnhardt ihn offenbar bereits ausgespäht hatten. "Sehr gute Lage, Zugang im Garten", hatten sie auf einer Liste notiert. Uhls Wahlkreisbüro gehört zu einer Reihe von Adressen von Prominenten, Vereinen und Politikern, die Ermittler am Wohnsitz der Terrortruppe in der Zwickauer Frühlingsstraße fanden und die sie für eine mögliche Todesliste halten.

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: