Karl Nolle, MdL

taz - die tageszeitung, 09.04.2012

Mögliche Terrorhelfer der NSU: Internationale der Nationalisten

 
Der NSU pflegte enge Verbindungen zu militanten Nazirockern. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe vollstreckten die Ideen, die „Blood and Honour“ propagierte.

Im Frühjahr 1998 sitzen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in ihrer ersten Wohnung im Untergrund, ein Altbau im Chemnitzer Westen. Sie sind knapp bei Kasse, erst eineinhalb Jahre später werden die Neonazis anfangen, Banken und Postfilialen auszurauben. Zu dem Zeitpunkt versuchen sie noch anders, an Geld zu kommen. „Pogromly“ heißt ein von dem Trio selbst entworfenes Spiel, an dem die drei in der Wohnung in der Limbacher Straße 96 basteln.

So berichten es heute zwei mutmaßliche Terrorhelfer in ihren Vernehmungen. Es ist die Neonazivariante von Monopoly, mit SS-Runen, Hakenkreuzen und einem Adolf-Hitler-Feld auf dem Spielbrett. Auf den Ereigniskarten stehen Texte wie: „Du hattest auf ein Judengrab gekackt. Leider hattest Du Dir hierbei eine Infektion zugezogen.“

Noch brisanter als diese düsteren Details aus der Frühphase des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) sind die Umstände, unter denen das Trio damals in Chemnitz aufgenommen wurde. Denn sie offenbaren, wie wichtig das militante „Blood and Honour“-Netzwerk (B & H) für die drei in den ersten Jahren im Untergrund war.

Zu ihrer Wohnung in Chemnitz gebracht haben soll das Trio zwar ein 18-jähriger Skinhead. Doch die Ermittler glauben, dass ein anderer hinter der Aktion steckte oder zumindest im Bilde war: Der damals einflussreiche Neonazi Thomas S. Auf einem Konzert soll er dem Mann, der die drei in seiner Wohnung versteckte, „anerkennend die Hand geschüttelt“ haben.

Rohrbomben in der Garage

Und wenn stimmt, was ein weiterer mutmaßlicher Helfer des Trios aussagte, dann hatte jener Thomas S. auch maßgeblich mit dem zu tun, weshalb Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe überhaupt in den Untergrund gingen: den Rohrbomben, die im Januar 1998 in einer von Zschäpe angemieteten Garage in Jena gefunden wurden.

Den Sprengstoff dafür, so berichtete der in Untersuchungshaft sitzende Holger G., habe Thomas S. beschafft. Eine Zeit lang sollen Beate Zschäpe und S. sogar „liiert gewesen“ sein, erfuhr der Thüringer Verfassungsschutz. Es sind nur einige von vielen Verbindungen zu „Blood and Honour“, die sich bei den Ermittlungen zum NSU ergeben haben. Wie aus den Akten hervorgeht, war das Trio viel stärker in das im Jahr 2000 offiziell verbotene Netzwerk eingebunden als bisher bekannt.

Sie kannten seit Mitte der 90er führende Köpfe, schrieben in Fanzines der B-&-H-Szene – und vollstreckten die mörderischen Ideen, die in dem Netz offen propagiert wurden. „Blood and Honour“ war weit mehr als nur eine internationale Neonazirockbewegung (siehe Kasten). Ziel sei es, die „Patrioten“ zu einen, „nicht nur in der Musik, sondern im Kampf“, beschloss der deutsche Ableger im Oktober 1998. Was damit gemeint war, konnte man schon 1996 in einem Heft der „Division Deutschland“ lesen.


„Blood and Honour“

„Blood & Honour“ (B & H) wurde 1987 von Ian Stuart Donaldson, dem Sänger der englischen Band Skrewdriver gegründet und entwickelte sich schnell zum internationalen Neonazi-Netzwerk. „Blut und Ehre“ war das Motto der Hitlerjugend. Die deutsche B-&-H-Kultband Landser wurde 2003 als kriminelle Vereinigung verboten, ihr Sänger tritt heute als „Lunikoff-Verschwörung“ auf.

Die nationalen „Divisionen“ von B & H sind militant rassistisch, antisemitisch und demokratiefeindlich. Ihr bewaffneter Arm gab sich den Namen „Combat 18“.

Deutsche Rechtsrocker und Rechtsextreme bauten schon 1991 Verbindungen zu B & H aus. 1994 wurde in Berlin die „Division Deutschland“ gegründet. 1997 entstand in Deutschland eine eigene Jugendorganisation, „White Youth“, die vor allem im Thüringen Aktivisten hatte.

Im „Blood and Honour“-Magazin der „Division Deutschland“ wurde über Bands, Konzerte, Aktionen und CD-Neuveröffentlichungen berichtet, aber immer auch offen der Nationalsozialismus verherrlicht.

„Blood and Honour“ Deutschland organisierte aber nicht nur Konzerte und promotete Bands. Ihre Anhänger waren auch in militante Aktionen involviert. In Fanzines wie dem Totenkopf Magazin wurde die Bildung geheimer Zellen propagiert, die aus nicht mehr als „vier Freiwilligen“ bestehen sollten. Erst wenn man bewaffnet sei, sollte an „die Arbeit“ gegangen werden.

B & H vereinte in Deutschland etwa 200 Rechtsextreme. Am 12. September 2000 verbot das Bundesinnenministerium B & H wegen der „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“. Bis heute gibt es immer wieder Anzeichen, dass alte Kader unter neuem Namen weitermachten. (as)

Dort wurde der „führerlose Widerstand“ in kleinen, unabhängigen Zellen propagiert. „Die Patrioten von heute müssen sich auf den größten aller Kriege, den Rassenkrieg, vorbereiten“, hieß es dort, „und dafür muss man geheime Strukturen schaffen und bereit sein, sein Leben zu opfern.“ Im Rückblick klingt es wie eine Blaupause für den „Nationalsozialistischen Untergrund“.
Kontakte zu „Blood and Honour“ seit 1996

Enge Kontakte zu „Blood and Honour“ pflegten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe seit mindestens 1996. Mundlos, so erfuhr der Thüringer Verfassungsschutz später, soll mit zwei sächsischen B-&-H-Mitgliedern seit jenem Jahr regelmäßig auf Konzerte gegangen sein. Die beiden waren Teil jener Chemnitzer Skinheads, die sich auch die „88er“ nannten – der Neonazicode für „Heil Hitler“. Es war eine Szene, in der man Bomberjacke und Springerstiefel trug und sich gegenseitig derbe Namen wie „Kicke“ und „Kacke“ gab.

Als Chef der Gruppe galt B-&-H-Mann Thomas S. Der heute 44-Jährige habe damals rechte Konzerte organisiert und sei in der Skinheadszene „ein großes Licht“ gewesen, berichten frühere Gefährten. Auch ihn kennen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe seit mindestens 1996. Am 1. November marschierten sie mit S. in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald auf. Mundlos und Böhnhardt trugen dabei eine SA-ähnliche Uniform, die ganze Truppe erhielt Hausverbot.

Doch die Bande zu „Blood and Honour“ ermöglichten offenbar nicht nur den ersten Unterschlupf des Trios im Februar 1998. Sie hielten auch in der Illegalität. Einige Monate später erscheint im Neonazi-Fanzine White Supremacy, das laut Impressum „zu 100% die B&H-Bewegung unterstützt“, ein anonymer Artikel.

Mit Konzerten allein sei keine Schlacht zu gewinnen, beklagt sich der Autor: Wer sich nicht „aktiv am Kampf“ beteilige, der unterstütze „passiv alles, was sich gegen unser Volk“ richte. Geschrieben haben soll den Text einer der beiden Uwes im Untergrund, wahrscheinlich Mundlos.
Szeneintern hieß er „Dackel“

Als Kontaktadresse für White Supremacy war das Postfach 18 in 01720 Wilsdruff angegeben – das nutzte auch der heute 37-Jährige Jan W. für ein von ihm betriebenes Neonazilabel. W. war bei B & H nicht irgendwer, sondern Chef der sächsischen „Sektion“ des Neonazinetzes. Szeneintern nannten sie ihn den „Dackel“.

Auch mit ihm sollen die NSU-Terroristen Kontakt gehabt haben. Seinem ersten Gastgeber im Untergrund erzählte Mundlos, er habe den „Dackel“ getroffen, der sei aber zu bekannt, um bei ihm unterzutauchen. Mundlos soll sogar ein T-Shirt für Jan W. entworfen haben: „The Skinsons“ stand darauf, dazu ein Bild von Bart Simpson. Die T-Shirts sollen dann in der Szene verkauft worden sein, um das Trio zu unterstützen.

Doch all das ist nichts im Vergleich zu dem, was der Brandenburger Verfassungsschutz im September 1998 auf einem Konzert der B-&-H-Sektion Südbrandenburg bei Lauchhammer erfuhr: Jan W. soll mit dem Trio in Kontakt stehen und den Auftrag haben, sie mit Waffen zu versorgen – für einen Überfall.

Ein gutes Jahr später erfährt der Thüringer Geheimdienst von einer Äußerung des anderen „Blood and Honour“-Manns im Umfeld des Trios, Thomas S. Der soll auf einem Konzert in Schorba bei Jena am 13. November 1999 gesagt haben, die drei bräuchten kein Geld mehr, weil sie jetzt „jobben“ gingen. Im Monat davor hatte der NSU zum ersten Mal eine Postfiliale ausgeraubt.
Alter Bekannter für die Karlsruher Ermittler

Ende Januar 2012 ließ die Bundesanwaltschaft die Wohnungen der beiden früheren B-&-H-Männer, Jan W. und Thomas S., durchsuchen. Sie gehören nun zum Kreis der möglichen Terrorhelfer. Ob man ihnen Straftaten nachweisen kann, die noch nicht verjährt sind, ist aber unklar.

Jan W. ist auch für die Karlsruher Ermittler ein alter Bekannter. 2000 hatte er beim Herstellen und Verteilen der CD „Ran an den Feind“ der bekanntesten deutschen B-&-H-Band geholfen: Landser. Auf Betreiben der Bundesanwaltschaft wurde die Neonaziband 2003 in Berlin als kriminelle Vereinigung verboten.

Im Brandschutt der letzten Wohnung des NSU in Zwickau haben die Ermittler nun ein Dokument aus genau jenen Zeiten gefunden: Eine Kopie der Vernehmung von Jan W. im „Landser“-Verfahren vom Januar 2002. Was hat das zu bedeuten? Wie ist sie dahin gekommen? Darüber rätseln auch die Ermittler.

Doch nicht alle scheinen brennend interessiert daran zu sein, die Verbindungen zwischen dem NSU und „Blood and Honour“ aufzuklären. Im sächsischen Landtag hat die Linkspartei gerade einen Antrag an die Staatsregierung gestellt, die Entwicklung des Netzwerks seit 1995 zu untersuchen. Der Antrag sei „zu großen Teilen auf die Vergangenheit ausgerichtet“, antwortete der Landesinnenminister. Die „aktuellen Prioritäten“ seien andere.

von W. Schmidt & A. Speit

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: