Agenturen, dpa, 17:13 Uhr, 24.04.2012
Stadtrat entscheidet über Umbenennung der «Pablo-Neruda-Grundschule»
Darf man so mit einem Literaturnobelpreisträger umgehen? Eltern und Lehrer der Chemnitzer «Pablo-Neruda-Grundschule» wollen einen neuen Namen, weil die Schüler - wie sie sagen - keinen Bezug zum chilenischen Schriftsteller hätten. Nun entscheidet der Stadtrat.
Chemnitz (dpa/sn) - Vor 41 Jahren bekam er den Literaturnobelpreis - Pablo Neruda. Zwei Jahre später erlag der chilenische Nationaldichter seinem Krebsleiden. Im damaligen Karl-Marx-Stadt wurde eine gerade neu errichtete Polytechnische Oberschule nach ihm benannt. Nach der Wende wurde zwar aus Karl-Marx-Stadt Chemnitz, aber das berühmte Karl-Marx-Monument durfte bleiben - so wie auch Pablo Neruda.
Er wurde, so beschlossen es die Chemnitzer Stadtverordneten im Januar 1993, zum Namensgeber der neuen Grund- und Mittelschule. Die Mittelschule wurde 2002 aufgelöst. Die Grundschule überlebte das sächsische Schulsterben, gerade wird sie frisch saniert. Wenn die Erst- bis Drittklässler, die wie auch die Viertklässler wegen der Bauarbeiten gerade in eine Nachbarschule ausweichen, nach den Sommerferien wieder zurückkommen, sollen sie einen neuen Namen sehen: «Grundschule Kaßberg».
So wollen es zumindest Eltern und Lehrer. In der Schulkonferenz beschlossen sie Ende November 2011 einstimmig die Namensänderung. «Grundschüler der jetzigen Generation haben keinen Bezug mehr zu Pablo Neruda», schrieb Schulleiterin Martina Schwermer in der Begründung des Antrags, über den der Chemnitzer Stadtrat am Mittwoch entscheidet. Im zuständigen Schulausschuss ist das Begehren in nicht-öffentlicher Sitzung durchgefallen, und auch im Stadtrat will sich das linke Lager geschlossen zeigen.
Dabei steht die kommunistische Gesinnung von Neruda für die Gegner der Namensänderung gar nicht im Vordergrund. «Die Benennung einer Schule nach einem der bedeutendsten Dichter dieser Erde ist nicht nur eine Würdigung des Künstlers, sondern sendet auch einen Reiz aus an die, welche täglich in die Schule hinein oder an ihr vorbei gehen», heißt es in einem von Chemnitzer Künstlern verfassten offenen Brief an die Stadträte.
Der Brief ist nach Angaben von Mit-Initiatorin Sabine Kühnrich inzwischen von mehr als 450 Menschen aus elf Ländern unterzeichnet worden. Kühnrich liegt Neruda besonders nahe: Seit Jahren arbeitet sie an einer deutschsprachigen Übersetzung des von Mikis Theodorakis als Oratorium vertonten Gedichtzyklus «Canto General» - im nächsten Jahr könnte es die Uraufführung in Chemnitz geben.
Pablo Neruda (1904-1973) war 1971 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden. Während der Pinochet-Diktatur standen seine Bücher auf dem Index. Schulleiterin Schwermer begründete den Wunsch auf Namensänderung auch damit, dass Neruda angeblich «in der damaligen DDR bekannt gemacht wurde durch sein Engagement als Schriftsteller gegen die Militärdiktatur Pinochets in Chile». So intensiv scheint sie sich mit Neruda nicht befasst zu haben: Als Pinochet an die Macht kam, hatte der schwerkranke Poet nur noch zwölf Tage zu leben.
Autor: Tino Moritz
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241713 Apr 12