Agenturen, dpa, 18:21 Uhr, 25.04.2012
Stand 18:30 Uhr: Reaktionen im Bund zum Urteil: «Extremismusklausel» ist rechtswidrig
Beim Kampf gegen Extremismus erhalten Vereine nur Fördergeld vom Bund, wenn sie ihre Verfassungstreue schriftlich bekunden. Diese Praxis ist rechtswidrig, urteilte jetzt ein Dresdner Gericht.
Dresden (dpa/sn) - Das Verwaltungsgericht Dresden hat die vom Bund geforderte «Extremismusklausel» für rechtswidrig erklärt. Die Klausel - offiziell heißt sie Demokratieerklärung - muss von Vereinen unterzeichnet werden, wenn diese Fördergelder des Bundes im Kampf gegen Extremismus in Anspruch nehmen. Damit einher geht die Versicherung, dass sich auch alle an dem Projekt beteiligten Partner zum Grundgesetz bekennen. Genau diese Passage monierte das Gericht am Mittwoch in Dresden. So sei unter anderem unklar, wer etwa «Partner» sei und welches Verhalten den Vereinen konkret abverlangt werde. Das Urteil hat bundesweite Relevanz, da diese Regelung in allen Ländern gilt.
Hintergrund der Entscheidung war eine Klage des Alternativen Kultur- und Bildungszentrums Sächsische Schweiz e.V. aus Pirna gegen den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Dieser hatte 2011 die Auszahlung von schon bewilligten 600 Euro aus dem Bundesprogramm «Toleranz fördern - Kompetenz stärken» an die Unterzeichnung der Klausel geknüpft. Das sei eine Auflage des Bundes gewesen, sagte die juristische Vertreterin des Kreises in der Verhandlung. Der Verein hingegen sah darin einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot. Zudem werde mit einer solchen Regelung Misstrauen und Bespitzelung Tür und Tor geöffnet.
Es sei rechtswidrig gewesen, die Unterzeichnung dieser Erklärung zu verlangen, urteilte die Erste Kammer des Verwaltungsgerichts in Dresden. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) begrüßte die Gerichtsentscheidung. Die Demokratieerklärung widerspreche dem Geist der Verfassung. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, forderte Familienministerin Kristina Schröder (CDU) auf, die umstrittene Klausel zurückzunehmen: «Statt Initiativen grundlos zu verdächtigen, soll sich die Ministerin an Recht und Gesetz halten», betonte er.
«Das Urteil ist ein harter Schlag gegen Kristina Schröder und ihre unverantwortliche Politik des Misstrauens», erklärte die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth. Schröder müsse sich bei den von ihr unter Generalverdacht gestellten Initiativen entschuldigen und sie im Kampf gegen Rechts fördern, statt ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen, forderte sie.
In Sachsen war die Extremismusklausel von Anfang an umstritten. Ursprünglich hatte der Freistaat für seine eigenen Programme den Wortlaut der Erklärung aus dem Schröder-Ministerium übernommen. Nach massiven Protesten entschärfte das Land später seine Klausel. Darauf hob am Mittwoch auch die schwarz-gelbe Koalition ab. «Wir haben uns in Sachsen bewusst für eine andere Lösung entschieden, in der wir nur auf das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung setzen», sagte Innenminister Markus Ulbig (CDU) der Nachrichtenagentur dpa. Durch das Urteil sehe man sich nun bestätigt.
«Das Gericht hat ausdrücklich die vom Bund vorgegebene Fassung der Demokratieerklärung verworfen. Im Unterschied zur Bundesfassung verlangt die im Februar 2011 neu gefasste sächsische Demokratieerklärung von den betroffenen Vereinen nicht, bei deren Partnern die Verfassungstreue zu überprüfen», erklärte der FDP-Politiker Carsten Biesok.
Die Opposition in Sachsen wertete das Urteil als Niederlage für Bundesministerin Schröder. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils wurde die Berufung am Oberverwaltungsgericht in Bautzen zugelassen. Der klagende Verein wird die betreffenden 600 Euro trotz des Urteils nicht mehr erhalten. Die Förderperiode 2011 sei abgelaufen, und der Verein habe keine Verwendungsnachweise vorgelegt, begründete die Vertreterin des Kreises.
Autoren: Ralf Hübner, Jörg Schurig
dpa rah/jos yysn z2 eni
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